Keine Zwischentöne
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Bewertung:
Arno Strobel hat sein Ambiente gut gewählt. Es ist die Alltagswelt; der sonntägliche Tatort, Facebook als Social Media, diese Dinge sind vielen von uns vertraut oder zumindest bekannt:
Eric Sanders, ein Theaterschauspieler hat seinen ersten Fernsehtatort hinter sich gebracht. Die erfolgreiche TV-Ausstrahlung macht ihn zum Prominenten. Seinen Erfolg kann er kaum genießen, da er anscheinend mindestens einen Neider auf sich zieht, und bald werden unter seinem Namen arrogante und frauenfeindliche Statements auf Facebook gepostet. Sein Gegner benutzt seinen Namen, und es beginnt ein schwieriges Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, bei dem die Follower zum Schluss nicht mehr wissen, wann der echte Eric Sanders schreibt und wann sein Kontrahent.
"Nachdem er seinen Computer angeschaltet hatte, öffnete Eric Facebook und navigierte zu seiner eigenen Seite. Dort waren inzwischen noch etliche Kommentare unter seinen letzten Post geschrieben worden, die von Schimpftiraden über den Fake-Account bis hin zu Tipps reichten, er solle sich nichts aus solchen Hanseln machen. Interessanterweise war der Begriff Hansel, mit dem er auf der kopierten Seite den falschen Eric Sanders – Actor bedacht hatte, relativ häufig übernommen worden, was ihm zeigte, dass wohl recht viele seiner Follower sich diese Seite angeschaut hatten." (S. 76)
Ob Erics Frau, seine Kollegen oder sein Agent, die Charaktere sind für mich wenig überzeugend dargestellt, sie wirken willkürlich. Strobel nimmt uns an die Hand, deutet an, und tatsächlich wird die jeweilige Andeutung literarische Realität.
Der Schlüssel zum Plot liegt in der Vergangenheit des Schauspielers. Obwohl Eric über 40 Jahre alt ist und selbst einen Sohn hat, weiß er nichts über seine eigene Kindheit, seine Identität. Ein traumatisches Erlebnis hatte zu dem kompletten Gedächtnisverlust geführt. Als Eric elf Jahre alt war, kamen seine Eltern bei einem Brand ums Leben, die Großeltern nahmen den Waisen später auf. Nie hatte Eric auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wo die Eltern begraben seien, in welcher Stadt er gelebt hatte. All diese Fragen hatte er sich – für mich nicht nachvollziehbar – nie gestellt. So ist auch der Protagonist für mich eine wenig glaubhafte Person. Erst durch den Facebook-Stalker kommt Eric auf die Idee, mal in die eigene Vergangenheit zu schauen…
Stalker ist zweifelsohne sehr spannend zu lesen, doch die Zusammenhänge wirken konstruiert und wenig nachvollziehbar. Insbesondere der Schluss, den ich hier natürlich nicht verraten kann, wirkt wie drangepappt. Hier wird dem Ganzen eine neue Wendung verpasst, die für mich unlogisch und wenig glaubhaft wirkt. Auch denke ich, dass hier der Medizin und der Psychologie Möglichkeiten zugeschrieben werden, die es so kaum gibt. Dies genau nachzurecherchieren wäre extrem schwierig und lässt den Laien sicher im Glauben, dass die geschilderten Vorgänge so auch tatsächlich stimmen.
Ein Krimi sollte für mich eine gewisse Glaubwürdigkeit besitzen und die innere Logik muss eingehalten sein. Dies habe ich bei der Lektüre völlig vermisst, auch wenn das Buch zunächst spannend daherkommt.
Ellen Norten - 21. September 2024 ID 14927
S. Fischer-Link zum
Stalker
Post an Dr. Ellen Norten
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