Sind drei
einer
zuviel?
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Bewertung:
„Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden sie alle kommen. Mit ihren Go Pros und ihren Handys und ihren Selfie-Sticks. Sie werden sich im Sand rekeln und wie Meerjungfrauen unter Wasser schwimmen, so lange, bis sie die perfekte Aufnahme davon haben. Es wird tausend Fotos geben, die beweisen, dass sie hier waren, obwohl sie es eigentlich nicht waren, weil sie die ganze Zeit damit verbracht haben, sich hier festzuhalten, anstatt einfach hier zu sein. Ich dachte, Rosa wäre besser als diese Vollidioten, aber gerade ist sie es nicht, gerade verpasst sie nur eine spektakuläre Einsamkeit.“
(Anne Freytag, Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte, S. 278)
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Sie sind erst einsam, dann zweisam, zuletzt dreisam… Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte handelt von drei jungen Menschen kurz nach dem Abitur, die einen Road-Trip durch das Sehnsuchtsland Australien machen. Eine Spannung zwischen dem Trio entsteht zunächst dadurch, dass sich Frank und David in ihre Weggefährtin Rosa verlieben. Beide wollen jedoch ihre seit vier Jahren bestehende Freundschaft aus Schulzeiten nicht gefährden. Auch Rosa fühlt sich zu den beiden jungen Männern hingezogen. Sie schreckt jedoch davor zurück, sich für einen zu entscheiden und so die fragile Gemeinschaft womöglich zu gefährden. Die drei 17- bis 18-jährigen Hauptfiguren – offensichtlich Generation G8 – kommen sich und ihren Ängsten nach und nach näher.
Auf dieser romantisch aufgeladenen Reise in einem Camper befragen die drei ihre teils heftigen Gefühlswelten. Sie versuchen jedoch auch bewusst das Hier und Jetzt zu genießen. Anschaulich, atmosphärisch und detailreich werden intensive Emotionen wie Eifersucht, Wut oder Schuldgefühle beschrieben. Dabei agieren die drei Figuren erstaunlich reflektiert und nachdenklich. Fast schon altersweise blicken sie auf ihr noch junges Leben zurück.
Die 37jährige Schriftstellerin Anne Freytag hat mit ihrem jüngsten Werk ein Jugendbuch und einen Coming –of-Age-Roman vorgelegt, der von der komplexen Verstricktheit in die Empfindungen und Gedanken ihrer Figuren lebt. Sie wechselt zwischen den Innenperspektiven ihrer drei Charaktere, springt ein bisschen zwischen den Zeitebenen und bettet Tagebucheinträge und Smartphone-Chats mit ein. Es gibt starke Momente, etwa wenn Franks ständige Angst davor zu verlieren beschrieben wird. Da immer ein anderer besser sein könnte, probiert er vieles gar nicht erst aus.
Wie in einem Soundcheck für das Leben werden andauernd Musiksongs genannt, die die Figuren gerade im Camper hören und die ihre augenblicklichen Gefühle untermalen oder verstärken. Der solcherart in das Buch eingebundene eigenen Soundtrack nutzt sich alsbald ein wenig ab, insbesondere wenn sich die Songs häufen und man als Leser viele nicht kennt. Erstaunlicherweise reflektieren die Figuren auch nicht ihre ungesunde Ernährung. Sie essen über Monate hinweg scheinbar fast nur Fast Food, Nudeln, Chips oder Kekse, ohne sich viel körperlich zu bewegen.
Der Roman lässt zur Mitte hin deutlich nach und wird irgendwann arg vorhersehbar. Das im aufgesetzten Gestus höchst effektvolle und pathetische Ende ist dann as big as Kitsch can. Immerhin ist es trotzdem schön, dass die drei auf ihrer Reise einigen lebensklugen älteren Frauen begegnen, die sie bekochen und denen sie ein Ohr abkauen können:
„Und dann fange ich an zu reden. Erst einzelne Sätze ohne erkennbaren Zusammenhang, dann wird es ein Netz, etwas, das langsam Sinn ergibt, und irgendwann ist es die gesamte Geschichte, vom ersten Moment bis ins Jetzt. Von meinen Gefühlen für Rosa, meiner Faszination für sie, die alles übersteigt, von der Anziehung, die sie auf mich ausübt, so körperlich, dass ich mich davor fürchte und dafür schäme.“ (S. 242)
Ansgar Skoda - 20. August 2019 ID 11630
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Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte
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