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Anthologie

Schauerliches

schön verpackt





Bewertung:    



Schauerliteratur ist aus der Mode gekommen, oder läuft sie heute nur unter einem anderen Namen? Wenn wir stattdessen den Begriff "Horror" verwenden würden, wäre sie durchaus en Vogue, was ihr prominentester Autor Stephen King belegt. Schauergeschichten stammen meist aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert und sind der phantastischen Literatur zuzurechnen. In unserer Zeit kommen sie fast unmodern daher, was aber gerade den Reiz dieser Literaturgattung ausmacht. Ich lese also gerne Schauriges, und so habe ich mir die neueste Anthologie von Lars Dangel in ihrer prächtigen Aufmachung vorgenommen.

Neunzehn Autoren sind dort mit fünfundzwanzig Geschichten vertreten. Außer Joachim Ringelnatz, der die titelgebende Geschichte geschrieben hat, sind die meisten dieser Schriftsteller uns heute weniger bekannt. Doch der Herausgeber hat es sich auf die Fahnen geschrieben, gerade eher unbekannte Autoren alter Kurzgeschichten zu finden und näher zu bringen.

Kurios, witzig und auch ziemlich unheimlich geht es in der Geschichte Der silberne Kegel von Hans Watzlik zu. Der Weber Stinus Oppholzer trifft ein dämonisches Kegelspiel:


"In der geöffneten Landschaft erhoben sich triefende Tannen und düsterten den Stinus traurig an. Und vor dem Wald standen drei uralte Männer, der eine im zimtfarbenen Mantel, der andere im Karmesinwams, der dritte in aschgrauer Kutte. Ein paar Spießlängen entfernt von ihnen war ein Kegelspiel aufgestellt, mittendrin glitzernd der Kegelkönig, der den Kranz seiner weiß-hölzernen, mit wunderlich geschnitzten Köpfen versehenen Gesellen hoch überragte." (Abseits der Geographie, S. 65)


Die Idee Kegelfiguren in ein solches Ambiente zu setzten hat mich nicht nur köstlich amüsiert, sondern auch in ihrer Absurdität außerordentlich fasziniert. Und die Kegel betreiben ein ungewöhnliches, ja dämonisches Spiel…

Fast alle der Autoren der Anthologie hatten unter der NS-Herrschaft zu leiden, andere versuchten dem Konflikt auszuweichen. Diesem Aspekt schenkt der Herausgeber besondere Aufmerksamkeit und fördert dabei einige Besonderheiten zu Tage.

Während Hans Watzlik sich mit dem System arrangierte, verbrachte Ernst Wiechert einige Wochen im KZ Buchenwald und konnte es wohl nur seiner damaligen Popularität verdanken, dass er, gezwungen zur Teilnahme an propagandistischen Veranstaltungen, überleben und unter Auflagen publizieren durfte. In der Geschichte Das Kind und die Wölfe reißt ein Kleinkind von zu Hause aus und wird erst Tage später im Wald gefunden. Von da an ist es stumm, bis zu diesem Zeitpunkt:


"Ein heller, hoher, klagender Schrei stieg aus dem Inneren seines Körpers empor, zerbrach den stumm gewesenen Mund, wortlos, der Todesklage eines Vogels gleich, und erlosch. Die Mutter aus der Küche herbeigeeilt, fand den warmen Körper tot, und über den geöffneten Augen lag ein dünner grauer Hauch, abweisend wie über den Augen toter Tiere." (S. 210)


Auch wenn ich hier die Pointe der Geschichte quasi vorweg nehme, so sind es letztlich die Beschreibungen, von denen die Geschichte lebt, die Atmosphäre, die den Leser umgibt und in das düstere, makabere Geschehen hineinzieht.

Schaurig im ganz konkreten Fall ist das Schicksal von A.M. Frey, der im Ersten Weltkrieg persönlich auf den Gefreiten Adolf Hitler traf. Leider entging er später nicht der Aufmerksamkeit des Diktators und sollte von diesem zu propagandistischem Schreiben gezwungen werden. In seinem Text Humaner Vorschlag fällt es zunächst schwer den Menschenfreund in Frey zu erkennen. Doch die Horror-Satire nimmt sehr konkret Bezug auf die übliche Vermarktung medizinischen Materials, so Dangel:


"Die Verbindung von namhaften Ärzten wie Robert Koch und dem deutschen Militär war eine rücksichtslose Machtmaschinerie, deren Gier und Verlogenheit Frey hier schmerzhaft deutlich offenlegt. Einzig die medizinischen Grenzen, keinesfalls aber moralisch-ethische Bedenken dürften dafür gesorgt haben, dass das geschilderte Ausschlachten und Verwerten der Körper von Schwerverletzten nicht umgesetzt wurde." (S. 17)


Es spricht für den Herausgeber, dass er diese wenig bekannten oder einfach bis heute ignorierte Tatsachen benennt und ihnen durch Frey ein Sprachrohr verleiht. So abscheulich es aus unserer heutigen Sicht klingt, es gehört Mut dazu, solche Tabubrüche einer Leserschaft zu präsentieren.


Ellen Norten - 7. Januar 2023
ID 13989
https://dunkelgestirn.jimdofree.com


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