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Rezension

Junot Diaz - "Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao"

S. Fischer
ISBN: 978-3-10-013920-7


Elf Jahre hat der Autor an diesem Buch geschrieben. Das Resultat ist nicht besonders umfangreich, aber dafür atemberaubend zu lesen, und zu Recht hat Diaz den Pulitzer-Preis für sein Werk bekommen.

Der Roman ist vor allem eine Familiengeschichte. Im Mittelpunkt steht Oscar, ein Dominikaner, der weder tanzen, noch besonders gut Baseball spielen kann und auch keinen Erfolg bei Frauen hat, nachdem er im Alter von sieben Jahren abserviert wurde. „Weh tat es dann, als Maritza mit ihm Schluss machte. (…) Oscar war so tief getroffen, dass er nicht mal mehr sprechen konnte; er setzte sich auf den Bordstein, spürte etwas Überwältigendes in sich aufsteigen und bekam eine Scheißangst. Bevor er wusste, wie ihm geschah, brach er in Tränen aus. Als seine Schwester Lola herüberkam und fragte, was los sei, schüttelte er den Kopf. Guckt euch mal diesen mariconcito an, spottete jemand. Ein anderer trat gegen seine Brotdose und zog einen Kratzer genau über General Urkos Gesicht.“ Vielmehr hat er eine Vorliebe für Fantasy- und Sciencefictionliteratur, liebt Rollenspiele am PC und hat einige Kilos zu viel auf den Hüften. „Während der nächsten Jahre wurde er immer fetter. Die beginnende Pubertät traf ihn besonders hart und verwandelte sein Gesicht in etwas, das man wirklich nicht mehr süß nennen konnte; seine Haut war mit Pickeln übersät, was ihn befangen machte, und seine Begeisterung für Sci-Fi, die vorher keinen interessiert hatte, stempelte ihn auf einmal zum totalen Versager.“

Verbunden werden die einzelnen Schicksale durch den Fukú americanus, dem Fluch dem schon der Entdecker der neuen Welt zum Opfer fiel und seit Generationen weitergegeben wird. „Wie man es auch nennt oder woher es auch kommt, die Ankunft der Europäer auf Hispaniola soll das fukú auf die Welt losgelassen haben, und seitdem sitzen wir in der Scheiße. Santo Domingo mag der Nullmeridian des fukú sein, sein Portal, aber wir sind alle seine Kinder, ob wir es wissen oder nicht.“

Aber Oscar schreibt - und darin wird er zum Vorbild für den Erzähler Yunior, der den oben erwähnten Klischees entspricht und damit den Gegensatz zu Oscar verkörpert. Yunior ist mit Oscars Schwester Lola liiert und ist einige Zeit Mitbewohner von Oscar mit dem Auftrag auf Oscar aufzupassen. Besonders erfolgreich ist er in dieser Hinsicht nicht, denn Oscar widersteht seinen Versuchen, ihn durch Fitness in Form zu bringen und begeht schließlich sogar einen Selbstmordversuch. Dafür wird Yunior zum Chronist der Familie!

So bedauernswert das Schicksal Oscars jedoch ist, seine Erfolglosigkeit im Umgang mit dem anderen Frauen, seine hoffnungslose Sex-Bilanz, die Erfolgreichen sind keineswegs glücklicher. Gleich zu Beginn des Romans wird die Tragödie vom Erfolg Maritzas erzählt. „Nun, bevor man auch nur O große Isis rufen konnte, war Maritza zur schärfsten guapa in Paterson aufgeschossen, zu einer der Königinnen von New Peru. (…) Sie war eine Mary Jane des Ghettos, mit Haar so schwarz und üppig wie eine Gewitterwolke, den wildesten Locken, die er je bei einer Peruanerin gesehen hatte (er hatte noch nie von Afro-Peruanern gehört, oder von der Stadt Chincha Alta), mit einem so umwerfenden Körper, dass er alte Männer ihre Zipperlein vergessen ließ, … „Hieß das sie war dem Fluch entkommen? (…) Das durfte man bezweifeln. So weit Oscar sehen konnte, schien Maritza sich gerne von ihren Freunden verprügeln zu lassen. Schließlich passierte ihr das andauernd.“

Und auch der erfolgreiche Yunior muss sich schließlich die Frage stellen, ob sein Talent, Frauen zu verführen, nicht die Liebe seines Lebens zu Lola zerstört hat und für immer ein melancholisches Gefühl hinterlassen wird. „Eines Tages rief sie an, fragte mich, wo ich am Abend zuvor gewesen war, und als ich keine gute Ausrede parat hatte, sagte sie: Leb wohl, Yunior pass gut auf dich auf.“ Später trifft Yunior gelegentlich Lola mit ihrer Tochter und hier wird Oscar zum Thema und Bindeglied zwischen den beiden. „Als es noch Hoffnung gab, hatte ich immer diesen albernen Traum, dass wir die Sache noch retten könnten, dass wir zusammen im Bett liegen wie früher, mit laufendem Ventilator, über uns Rauchschwaden von unserem Gras, und dass ich endlich versuchen würde, Worte auszusprechen, die uns retten könnten.“ Seine Unfähigkeit die entsprechenden Worte an Lola zu richten, lässt ihn die Geschichte von Oscar erzählen. Und damit wird Yuniors Geschichte von Oscar zu einer Liebeserklärung an seine verlorene Liebe Lola.

Eine Ausnahme in der Erzählperspektive bildet Lola im zweiten Kapitel, die als einzige aus der Ich-Perspektive ihre vergangenen Erlebnisse schildern darf. Stilistisch zeichnet sich der Roman durch seine, dem Erzähler entsprechende, äußerst bildreiche und vitale Sprache aus und der Glossar der vielen in den Text eingeflossenen spanischen Redewendungen und Wörter reicht für mehrere Karibik-Urlaubsreisen aus. Ungewöhnlich für einen Roman, aber absolut lesenswert, sind die Fußnoten im Text zur dominikanischen Geschichte, besonders die verheerende Trujillo-Diktatur, denn diese spielt in der Familiengeschichte (und nicht nur in dieser) eine maßgebliche und schreckliche Rolle. Ein weiteres Stilmittel sind die Vergleiche aus der Fantasy- und Sciencefictionwelt. Das zusammen ergibt eine reizvolle, äußerst kunstfertige und unterhaltende Prosa, die sich zusammen mit dem nie redundanten Plot zu einem Kunstwerk höchster Klasse verbinden!




Michael Kapphan - red / 9. Juni 2010
ID 00000004664
Junot Díaz, "Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao"
S. Fischer
ISBN: 978-3-10-013920-7
Hardcover
Preis € (D) 19,95 | € (A) 20,60 | SFR 34,90

(als Fischer TB voraussichtl. ab Oktober 2010 im Handel)


Siehe auch:
http://www.fischerverlage.de





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