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Ilma Rakusas Poetikvorlesungen im Dresdner Literaturbüro

4. Adelbert-von-Chamisso-Poetikdozentur in Dresden




Gleich zweimal kam Ilma Rakusa dieses Jahr nach Dresden, und obwohl Anlaß und Ort derselbe waren, konnte das Setting für ihren Auftritt nicht unterschiedlicher sein. Da sich die Trägerin des Adelbert-von-Chamisso-Preises von 2003 im Januar dieses Jahres, als sie zur gleichnamigen Poetikdozentur im Dresdner Literaturbüro gastierte, inmitten von Eis und Schnee eine Grippe zugezogen hatte, stand bald darauf fest, daß sie die beiden ausgefallenen der insgesamt fünf Termine nachholen würde. Und so kam es, daß Rakusa, die Übersetzerin und Schriftstellerin, die vielen auch als Jurorin des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs ein Begriff sein dürfte, an zwei warmen Aprilabenden wieder in dem winzigen Vortragsraum am Dresdner Albertplatz einer kleinen Schar von Zuhörern Auskunft über ihr Schaffen gab.

Wissen, was man schreibt und warum

Eines fällt sofort auf, wenn man Ilma Rakusa zuhört: die große Souveränität, mit der sie über das eigene poetische Tun handelt. Man könnte sich ja eine Autorin vorstellen, die mit genialischer Blindheit geschlagen trotzdem überzeugende künstlerische Arbeiten herstellt. Doch so eine ist Ilma Rakusa nicht, im Gegenteil: mit dem von ihr bewunderten Oskar Pastior beruft sie sich auf das Vermögen jedes Künstlers, die eigene Arbeit zu analysieren und zu erklären. Nur wer das beherrsche, so ihr leises, aber mit freundlichem Nachdruck wie nebenbei geäußertes Diktum, sei als Autor ernst zu nehmen. Und so wirken ihre Vorlesungen wie Berichte aus einer Werkstatt, in der mit Akribie und Raffinement Texte wie kostbare Teppiche gewoben werden, in denen Fäden aus vielen Sprachen und sprachlichen Dimensionen zusammenlaufen.
Ilma Rakusa ist keine klassische Chamisso-Preisträgerin. Mit diesem Preis ehrt die Robert-Bosch-Stiftung seit nunmehr zwanzig Jahren Autoren nicht-deutscher Zunge, die deutsch schreiben, von Aras Ören und Rafik Schami bis Feridun Zaimoglu. Ilma Rakusa hingegen, die 1946 im slowakischen Rimavská Sobota als Tochter eines Slowenen und einer Ungarin geboren wurde, kam nach Aufenthalten in Ljubljana und Triest mit sechs Jahren nach Zürich, wo sie die Schule besuchte, den Hauptteil ihres Slawistik- und Romanistikstudiums absolvierte, wo sie promovierte und noch immer ihren Wohnsitz hat. Ihre Mutter- und Literatursprache ist zwar Deutsch, es scheint jedoch, als bündle sie darin das große sprachliche Universum, in dem sie aufwuchs. Denn die Sprachen ihrer Kindheit sind Ungarisch, Slowenisch und Italienisch, und die Vorlagen für ihre Übersetzungen, die sie seit 1972 veröffentlicht, stammen aus dem Russischen, Französischen, Ungarischen und Serbokroatischen.

Mitteleuropäerin par excellence

Als Mitteleuropäerin par excellence – Rakušán heißt auf Tschechisch ‚der Österreicher‘ – hält es Rakusa denn auch besonders mit der Form. Sie knüpft damit an eine Formulierung aus Danilo Kiš’ „Mitteleuropäischen Variationen“ an, in denen der jugoslawische Autor resümiert, „daß eine allen Schriftstellern mitteleuropäischer Herkunft gemeinsame Eigenschaft das Bewußtsein der Form ist“. Dies schrieb der Emigrant kurz vor seinem Tod 1986 im Pariser Exil und verlieh damit dem Gefühl Ausdruck, nicht in einer bestimmten, sondern in der Sprache und Literatur an sich zuhause zu sein. Ähnlich würde es wohl auch Ilma Rakusa sehen, die Kiš’ grundlegende Romane „Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch“ und „Die Sanduhr“ ins Deutsche übertrug.
Mit den Worten von Novalis, daß alles Dichten zugleich auch Übersetzen sei, verrät die Autorin in ihren Dresdener Vorlesungen allerdings auch etwas über ihre eigenen Arbeitsprinzipien. „Parataxe, Ellipse, Tendenz zur Rhythmizität“ – so skizziert Rakusa ihren Stil. Eine eingängige Passage wie „Hélène Lagonelle est beaucoup plus belle que moi“ von Marguerite Duras illustriert, was die Autorin unter dem „Sound“ versteht, den sie einem Originaltext ablauscht, um ihn angemessen übertragen zu können.
„Mein persönliches Übersetzerethos basiert auf grösstmöglichem Respekt vor dem Originaltext“, schrieb Rakusa 2003 in der Neuen Zürcher Zeitung. „Ich sehe meine diskrete Aufgabe darin, ihn optimal wiederzugeben.“ Statt der wortwörtlichen Übertragung müsse der Übersetzer den Mut besitzen, den Text in der Zielsprache so umzubauen, daß er der inhaltlichen und formalen Sruktur des Originals gerecht werde; er müsse eben Übersetzer und Verräter zugleich sein, oder mit einem italienischen Wortspiel: traduttore - traditore.
Immer wieder auch läßt Rakusa sich dazu hinreißen, von ihren Heroen Marina Zwetajewa, Joseph Brodsky oder Vladimir Nabokov russische Gedichte zu rezitieren, obwohl sich die Sprache den meisten Zuhörern entzieht, um die Komplexität des Übertragens in einen neuen sprachlichen Zusammenhang zu verdeutlichen. Daß der Vortrag an diesen Stellen zu Wiederholungen neigt – dem narrativen Kurzgedicht widmet sie eine ganze Vorlesung –, zeigt, wie wichtig ihr dieser Punkt ist.

Mit lyrischem Gehör

Das einzige, was Ilma Rakusa zu übersetzen ablehnt, charakterisiert sie nichtsdestoweniger als Autorin: Lyrik. In den letzten Jahren hat sie mit „Ein Strich durch alles“ und „Love after Love“ Gedichtbände von experimentellem Charakter vorgelegt. Ihre Übersetzungen sind genauso von ihrem ‚lyrischen Gehör‘ geprägt wie ihre Erzählungen und Essays, die sie immer wieder zwischen zwei Übersetzungsprojekten schreibt. Kindheits- oder Landschaftserlebnisse, etwa die camera obscura ihres Triester Kinderzimmers oder der Mont Ventoux, werden zu Ausgangspunkten für Erzählungen wie „Arsenal“ und für Raisonnements wie in „Dreimal Süden. Gefühle“, die an Peter Handke und W. G. Sebald denken lassen. In ihren Vorlesungen rückt Rakusa die unterschiedlichen Koordinaten in das transnationale althabsburgische und mediterrane System ihres Denkens, das sie zusammen mit der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts wohl als eine Art ‚Heimat‘ gelten lassen würde.
Für manchen mochten die fünf Dresdner Poetikvorlesungen ein wenig zu sehr zu Universitätsveranstaltungen geraten. Da wurde mit Polylux gearbeitet, oder die Zuhörer konnten Rakusas Analysen auf Handouts verfolgen und sich ganz als Seminarteilnehmer fühlen, für die dann im Anschluß allerdings ein ausgesuchter Büchertisch und ein Glas Wein bereitstand. Das hohe, oft akademische Niveau, für das die Studenten und Dozenten vom Mitveranstalter, dem Mitteleuropazentrum der TU, und alte Hasen der Dresdner Literaturszene wie Marcel Beyer sorgten, wurde allerdings durch die zurückhaltende Art von Ilma Rakusa und die bisweilen fast familiäre Atmosphäre der Veranstaltungen wieder aufgefangen.
So konnten am Ende alle mit dem schönen Gefühl nach Hause gehen, eine wichtige und interessante Gestalt des Literaturbetriebs einmal fast privat erlebt zu haben. Der Ausblick auf eine Publikation der Vorlesungen, die im Laufe des Jahres als Buch erscheinen soll, machte den guten Eindruck komplett. Und der Gast wird seinen Aufenthalt ohne Schnupfen bei Frühlingstemperaturen sicherlich in besserer Erinnerung behalten als den vor drei Monaten.

Die Stadt Dresden mag sich damit schmücken, schließlich war es vor allem Ilma Rakusa, die dem gebürtigen Dresdner und letztjährigen Bachmann-Preisträger Uwe Tellkamp, der derzeit mit seinem Roman „Der Eisvogel“ von sich reden macht, zu seinem Erfolg verhalf. Und man darf gespannt sein, was die neue Stadtschreiberin Silke Scheuermann aus ihrem mehrmonatigen Aufenthalt in der Stadt an Literarischem herausdestillieren und – wahrscheinlich wiederum im Vortragsraum am Dresdner Albertplatz – zum besten geben wird.


p.w. – red. / 12. Mai 2005
ID 1884


Siehe auch:
http://www.dresdner-literaturbuero.de




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