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Ausstellung

Von großen

Meistern und

einem Genie



Bewertung:    



Ob ausgelassenes Saufgelage oder Christus am Kreuz. In der Ausstellung Utrecht, Caravaggio und Europa stellt die Alte Pinakothek in München Caravaggio seinen Nachfolgern gegenüber. Eine düstere Schau gewaltiger Gemälde voller Leiden und Laster, Leben und Licht.

Darunter ist eines von Caravaggios wichtigsten Werken, die Grablegung Christi, der Höhepunkt der Ausstellung. Das Bild ist eine Leihgabe des Vatikan und wurde sogar mit einer Polizeieskorte unter erheblichem Aufwand nach München gebracht, wo es nur bis zum 19. Mai gezeigt werden darf. Ein weiteres kostbares Original ist das berühmte Schild mit dem eben abgetrennten Kopf der Medusa, wahrscheinlich ein Selbstporträt Caravaggios. Diese Medusa schreit so ensetzt auf und schaut einen so durchdringend an, dass man noch heute zu Stein werden könnte. Allein diese Stücke sind einen Besuch wert. Zu den Kopien weiterer berühmter Werke, die zum Teil schon in Caravaggios Werkstatt angefertigt wurden, hat man bedeutende niederländische Caravaggisten gruppiert, die sich mit demselben oder einem ähnlichen Motiv befassen. So lässt sich ein direkter Vergleich anstellen, Entwicklung erkennen – und ein unerreichtes Genie bewundern, nämlich Caravaggio selbst.



Caravaggio, Grablegung Christi, 1602–1604; Öl auf Leinwand, 300 × 203 cm, Vatikanische Museen | Bildquelle: Wikipedia


Rom, die heilige Stadt, war um 1600 das kulturelle Zentrum der Welt. Die Metropole des Südens zog Künstler aus der ganzen Welt an, auch die Utrechter Maler Hendrick ter Brugghen, Gerard van Hornhorst und Dirck van Baburen. Ihr Interesse galt vor allem den Neuerungen der Malerei. Schließlich hatte der niederländische Kunstexperte Karel van Mander von den „wunderlichen Dingen“ berichtet, die ein gewisser Caravaggio dort mache. Ein Meister, der eigentlich Michelangelo Merisi heißt, sich aber nach seinem Herkunftsort Caravaggio nennt. Als die drei in Rom ankommen, ist er jedoch leider nicht mehr dort. Caravaggio hatte im Streit einen Mord begangen, musste fliehen und wurde zur Strafe aus Rom verbannt. Er wird nie mehr zurückkehren können und stirbt unter ungeklärten Umständen mit nur 38 Jahren in Porto Ercole.

Das Genie Caravaggio, immer wieder zum Tunichtgut der Kunstgeschichte stilisiert, war Zeit seines Lebens in Streitereien verwickelt, von massiven Stimmungsschwankungen heimgesucht, süchtig nach Glücksspiel und Alkohol. Um ihn ranken sich viele Schauergeschichten und Legenden. Er ist allerdings auch ein Kind seiner Zeit und Rom damals eine besonders gewalttätige Stadt voller Glanz und Elend. 100.000 Einwohner leben hier, 1.700 davon Prostituierte. Mord und Totschlag auf der Straße sind an der Tagesordnung. Carvaggio schafft den Aufstieg wegen seines ungewöhnlich großen Talentes. Sein Mäzen, der kunstsinnige Kardinal Francesco Del Monte, lässt ihn in seinem Palazzo wohnen und verschafft ihm große Aufträge. Er malt biblische Szenen, aber – und das hat so noch niemand gewagt - es fließt immer auch das Leben ein, das er von der Straße her kennt. Brutalität, Lüge, Betrug, Schadenfreude.

So ist Caravaggio omnipräsent in Rom, als die drei Maler aus Utrecht ankommen. Was sie sehen, für sich übernehmen und weiterentwickeln, ist ein neuartiger Realismus auch bei herkömmlichen, biblischen Motiven: verfaulte Zähne, schmutzige Füße, abgearbeitete Hände, ausgemergelte Körper wie bei der Darstellung des Heiligen Hieronymus, meditierend. Und doch erreichen sie nicht die Strahlkraft ihres Vorbildes, seine starken Kompositionen, seine wilden Farbkontraste, seine hautnahe Präsenz.

Geradezu schockierend für seine Zeitgenossen auch Caravaggios ungemein theatralische Kompositionen, die sich auf die Protagonisten konzentrieren, Architektur und Landschaft aber völlig beiseite lassen. Die Figuren sind hell ausgeleuchtet, gezeichnet von dramatischen Schlagschatten, wobei die Quelle des Lichts völlig ungeklärt bleibt. So wirken sie vieldeutig, heben sich geradezu geheimnisvoll vor dem tiefdunklen, fast schwarzen Hintergrund ab. Hell-Dunkel nennt sich diese Technik, Chiaroscuro. Ausdruck des barocken Lebensgefühls. Caravaggio ist ihr unübertroffener Meister. Man sieht es an seinen Nachahmern.

*

Die Ausstellung geht vom ersten Raum an aufs Ganze, sie beginnt mit dem Thema Gewalt. Und präsentiert eines der grausamsten Sujets der Kunstgeschichte, eine lange Reihe von abgeschlagenen Köpfen. David tötet Goliath, Judith den Holofernes in diversen Variationen von Caravaggisten auch aus Italien und Frankreich. Es geht weiter mit dem Martyrium des heiligen Sebastian, der von Pfeilen durchbohrt wird, der Kreuzigung Petri und der Dornenkrönung Christi. Es folgen großformatige Interpretationen aus dem Leben Christi und diverser Heiliger.



Caravaggio, David mit dem Haupt des Goliath, 1600/1601; Öl auf Pappelholz, 19,2 × 116,2 cm; Kunsthistorisches Museum Wien | Bildquelle: Wikipedia


Dann allerdings steht man vor so lebenslustigen wie schonungslosen Genrebildern, Motiven, die die Caravaggisten mit Begeisterung in ihr Repertoire aufnahmen, waren sie doch sehr beliebt und ließen sich gut verkaufen. Zum Beispiel die Wahrsagerin. Caravaggio stellt eine in reines Weiß gekleidete, junge Unschuld vom Lande dar, wie sie einem wohlgenährten und gutgekleideten jungen Mann aus der Hand liest. Man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass sie ihm dabei den goldenen Ring von der Hand abstreift. Der ausgestreckte Zeigefinger (so die damalige Gestensprache) verspricht dem Opfer zudem ein Liebeserlebnis. Zecher werden von allen gemalt, Falschspieler, tiefdekoltierte junge Frauen, die Federn im Haar tragen, ein Zeichen der Prostitution. Caravaggio ist der erste, der nach lebenden Modellen arbeitet, oft sind es Huren. Sie müssen auch für die Darstellung Heiliger herhalten, Damen der Gesellschaft stehen nicht zur Verfügung. Kardinal del Monte hat nichts dagegen. Memento mori. Und die Utrechter wollen nicht zurückstehen. Gerard van Honthorst karikiert geradezu das miese Geschäft mit jungen Frauen in seinem Werk Die Kupplerin.

Zurück in Utrecht malen die drei Niederländer mit großem Erfolg auch eine Reihe von Genre-Bildern zum Thema Musik: bunte Szenen von frohen Feiern, Konzerten, zahlreiche Einzelfiguren von Musikanten, die von Caravaggios Lautenspielern inspiriert waren. Sie sind gemachte Leute.

* *

Musik spielt übrigens in dieser hochinteressanten Ausstellung eine besondere Rolle. Man kann die Bilder nämlich hören. Für jedes Gemälde haben junge Studierende der Hochschule für Musik und Theater in München stimmungsvolle, individuelle Kompositionen geschaffen. Es lohnt sich deshalb besonders, zum Audioguide zu greifen.



Caravaggio, Der Lautenspieler, ca. 1595; Hermitage Museum St. Petersburg | Bildquelle: Wikipedia

Petra Herrmann - 30. April 2019
ID 11379
Die Ausstellung Utrecht, Caravaggio und Europa (noch bis 21. Juli 2019 in der Alten Pinakothek München) entstand in Zusammenarbeit mit dem Centraal Museum in Utrecht, wo sie bereits zu sehen war.

Weitere Infos siehe auch: https://www.pinakothek.de


Post an Petra Herrmann

petra-herrmann-kunst.de

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