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Pünktlich zum 30 Jahre Mauerfall-Jubiläum hat nach Berlin, Potsdam und Dresden nun auch die sogenannte Heldenstadt Leipzig ihre DDR-Kunst-Ausstellung. Obwohl in Point of No Return, wie sich die vom Museum der bildenden Künste Leipzig ausgerichtete große Gruppenschau fast schon apodiktisch nennt, mit dem Untertitel Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst gerade eben dieses vermeintliche Herkunftsstigma tunlichst vermieden werden soll. Der Wendepunkt von der sogenannten DDR-Kunst zur ostdeutschen Kunst ist mit dem Beitritt der fünf neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland ja nicht qua Verfallsdatum 3. Oktober 1990 vollzogen worden. Aber natürlich identifiziert und definiert sich nicht jeder Künstler durch Staatszugehörigkeit. Die Frage nach dem Definitionsbegriff für Werke ostdeutscher KünstlerInnen vor der Wende ist so alt, wie die mangelnde Rezeption von Bildender Kunst aus der ehemaligen DDR nach der Wende nicht neu ist.

Schon die erste große Retrospektive über 40 Jahre Kunst in der DDR 2003 in der Neuen Nationalgalerie Berlin konnte und mochte in ihrer überbordenden Fülle nicht zweifelsfrei zwischen dissidentischer und sogenannter Staats-Kunst unterscheiden. Staatsnähe, staatstragend oder durch Repressionen unterdrückt, man sieht es dem Kunstwerk nicht in jedem Fall direkt an. Politisch und auch kritisch war Kunst in der DDR aber fast immer. Und was Literatur und Liedtexte in der DDR zwischen Zeilen artikulierten, versteckte sich in der Bildenden Kunst meist in der Symbolik, wie in den neoexpressiven Gemälden der Dresdnerin Angela Hampel mit ihren mythischen Figuren. Gut zu sehen und erklärt war das u.a. in der Ausstellung Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976 bis 1989 2016 im Martin Gropius Bau, deren Kurator Christoph Tannert (Leiter des Künstlerhauses Bethanien in Berlin und kompetenter DDR-Kunst-Kenner) nun auch an der Leipziger Schau mitgewirkt hat.

*

In Leipzig kommt zur Definitions- nun auch noch die Generationenfrage. Nämlich die von erster und zweiter Generation, der auch schon zu DDR-Zeiten international bekannten, vielgelobten „Leipziger Schule“. Ein Herkunftsprädikat, das bereits vor der Wende Sammler aus der BRD anzog. Ansonsten halten sich die Kuratoren der Leipziger Ausstellung mit all zu viel erklären wollenden Kommentaren weitestgehend zurück und lassen dafür geradezu wohltuend die Bilder sprechen. Und die haben tatsächlich jede Menge zu erzählen bzw. bildsprachlich auszudrücken. Im 3. Obergeschoss des MdBK Leipzig sind die einzelnen Räume ganz bestimmten Themen, Werkgruppen oder Vor- bzw. Nachwende-Wehen und -Gefühlen der einzelnen KünstlerInnen zugeordnet. Die Bandbreite der ausgestellten Werke reicht von Portrait- bis Landschaftsmalerei, figurativer bis abstrakter Kunst, Fotografie, Installation und Skulptur. Letztere ist vor allem mit dem 1949 in Potsdam geborenen und 1985 nach West-Berlin ausgereisten Holzbildhauer Hans Scheib eindrucksvoll und stark vertreten.

Über 300 Werke von 106 KünstlerInnen, vorwiegend in der Vor- und Nachwendezeit der 1980er und 90er Jahre geschaffen, werden hier präsentiert. Der alten Leipziger Garde um Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und dem Hallenser Willi Sitte (alle bereits verstorben) widmet die Ausstellung einen Raum mit dem Titel „Quo Vadis?“. In ihren Wendebildern ist der Umbruch zumeist ein Weg ins Ungewisse, wenn auch Heisig 1989 einen aufatmenden Fensteröffner malt. Mattheuers Ikarus ist abgestürzt und wird zum aus dem Touristenbus bestaunten Seltsamen Zwischenfall. Sitte, bis 1988 Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR, SED-Mitglied und Volkskammerabgeordneter, sieht 1990 in seinem Gemälde Erdgeister die Verhältnisse und die bis dato führende Arbeiterklasse sogar auf den Kopf gestellt und mag dabei wohl an Karl Marx gedacht haben. Einzig der in diesem Jahr 90 gewordene Harald Metzkes (Meisterschüler von Otto Nagel) malt 1989 in seinem typisch zirzensischem Stil eine wütende Menge, die im Theater mit Äpfeln nach den Akteuren auf der Bühne wirft. Da hatte offensichtlich jemand genug von der Bevormundung.

Dass viele KünstlerInnen in der DDR nicht das Privileg genossen, ausgestellt und anerkannt zu sein, kann man in den ausgestellten Werken erkennen. Dazu kamen oft noch Repressionen seitens der Stasi, wie sie der Jenenser Frank Rupp in seinen Gemälden Die Verhaftung und Hausbesuch, hier läßt es sich leben malt. Das lässt einige KünstlerInnen sogar verzweifeln. So malt sich der Berliner Joachim Völkner selbst als Gekreuzigter, die Dresdnerin Christine Schlegel das Gemälde Der Tod des Clowns und die Berlinerin Sabine Herrmann Der Artist ist tot. Der Leipziger Jürgen Schäfer schafft eine Serie von Ich und Ich-Gemälden mit einem den Protagonisten zu erdrücken drohenden Beton-Kollos. Gänzlich im Underground agieren Künstler wie der Chemnitzer Fotograf Erich-Wolfgang Hartzsch oder der Leipziger Autodidakt Klaus Hähner-Springmühl, und auch der bekannte Illustrator und Karikaturist Hans Ticha malt seine subversive Popart lieber hinter verschlossenen Türen.



Jürgen Schäfer, Ich und Ich (I),
1980; Privatbesitz | Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © Künstler


Der Berliner Trak Wendisch malt 1988 einen Zungenabschneider und 1983 Mann mit Koffer. Der letzte Ausweg ist für viele KünstlerInnen die Ausreise in den Westen. So auch für die mit Malverbot belegte Berlinerin Cornelia Schleime, die 1984 sogar ausgebürgert wird und Anerkennung erst im vereinten Deutschland erfährt. Der 1982 ausgereiste Dresdner Ralf Kerbach lässt seinen deutsch-deutschen Immigrant einen riesigen Sack hinter sich herzerren. 1984 malt er embryonal verwachsene Deutsche Zwillinge. Der Universalkünstler Einar Schleef, bereits 1976 von einem Theatergastspiel in Wien nicht mehr zurückkehrt, bleibt auch im Westen ein Unangepasster. Seine schemenhaft verwischten Klage-Bilder in der Telefonzelle künden von Klaustrophobie und Sehnsucht.



Cornelia Schleime, o.T. (aus: Horizontebilder), 1985-1986; Sammlung Leo Lippold | Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © Künstlerin


Auch die trennende Mauer ist beliebtes Thema. Rosafarben (wie die sprichwörtliche Brille) ist 1988 Die reizende Mauer des Hallensers Wasja Götze. Der Berliner Klaus Killisch malt 1988 einen Mann vor Mauer und 1987 einen nackt schreienden Menschen vor einem Mauerdurchbruch. Aufbruch heißt das 1990 entstandene Gemälde des 1986 nach Westberlin ausgereisten Dresdners Volker Stelzmann. Passage und Übergangsgesellschaft nennt die Leipziger Malerin Doris Ziegler zwei Gemäldezyklen aus der Aufbruchsstimmung der Wendezeit, die hier erstmals einem breiteren Publikum gezeigt werden können. Werner Tübke lässt in Herbst `89 das Volk durch die geöffnete Mauer strömen, während Martin Mannig in den 2000er Jahren schon wieder Barrikaden aufzieht, hinter denen rote Zipfelmützen zu sehen sind. Der Bezug zu ostdeutschen Themen bleibt auch für die jüngere Künstler-Generation bestimmend. Der 1964 in Halle geborene Moritz Götze arbeitet sich an bekannten DDR-Gemälden von Willi Sitte und Walter Womacka ab. Die 1984 in Zwickau geborene Henrike Naumann gestaltet mit DDR noir eine Ost-Schrankwand. Der Cottbuser Martin Maleschka, der gerade ein Buch zum Umgang mit architekturbezogener DDR-Kunst herausgegeben hat, zeigt seine in ostdeutschen Städten entstandene Fotoserie, und sogar die aus Bayern stammende Künstlerin Peggy Meinfelder packt in ihrer Installation den Inhalt eines typischen Westpakets auf den Tisch. Wie es aussieht, scheint ostdeutsche Kunst noch lange kein abgeschlossenes Sammelgebiet zu sein.



Wasja Götze, Die reizende Mauer, 1988; Privatbesitz | Foto: Künstler, © Künstler


Stefan Bock - 9. August 2019
ID 11610
Weitere Infos siehe auch: https://mdbk.de


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