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Werkbetrachtung

Selbstbildnis, 1916 von

Jeanne Hébuterne

(1898-1920)



Die talentierte und melancholische Jeanne Hébuterne (1898-1920), die mit ihrem Bruder in der Pariser Kunst-Akademie Colarossi studiert und sich vor allem für die Fauves interessiert, ist 19 Jahre alt, als sie 1917 den 14 Jahre älteren Amedeo Modigliani kennenlernt. Bekannt gemacht hat die Beiden die ukrainische Künstlerin Chana Orloff, entweder in der Brasserie La Rotonde, damals ein bekannter Künstler-Treffpunkt, oder im Atelier Colarossi, denn dort profitierten die jungen Künstler gerne von den Lebendmodellen. Die bildschöne Jeanne Hébuterne und der oft vom Alkohol benebelte und kränkelnde Modigliani beginnen eine leidenschaftliche Affäre und beziehen schon kurz nach ihrem Kennenlernen ein gemeinsames Atelier im Montparnasse-Viertel. Ein Jahr vor diesem Zusammentreffen malt Jeanne Hébuterne ein Autoporträt (Selbstbildnis, 1916) ganz im Sinne des Japonismus, der insbesondere die französische Kunst um 1900, den Impressionismus, den Jugendstil und den Expressionismus maßgeblich beeinflussen hat.



Selbstbildnis, 1916 von Jeanne Hébuterne | Bildquelle: Wikipedia


Als Jeanne Hébuterne dieses Selbstbildnis malt, kennt sie Modigliani noch nicht persönlich, war aber sicher mit dessen Bildern und natürlich mit den Arbeiten von Matisse vertraut.


Das Porträt ist nicht sehr groß, und die junge Frau darauf füllt es fast komplett aus. Hébuterne war bekannt für ihre dichten, kastanienbraunen Haare und ihre weiße Haut, was ihr den Spitzname "noix de coco" (Kokosnuss) einbrachte. Auf dem Bild hat sie die Haare schlicht hochgesteckt. Sie blickt seitlich leicht nach unten, sodass eigentlich nur die linke Gesichtshälfte zu sehen ist. Ihre Augen sind dunkel umrahmt, schräg und schmal, die Nase angedeutet, die Lippen rosarot. Auf ihren Wangen im weißen Gesicht liegt nur ein Hauch von Rouge. Sie trägt eine schlichte blaue Kette um den langen, ebenfalls sehr weißen, manieristischen Modigliani-Hals. Ihr dunkles Kleid wird durch einen hellen Stoffstreifen über der Brust aufgehellt. Die junge Frau steht oder sitzt vor einem hellblauen Hintergrund, einer Tafel oder einem Teppich, auf dem auf der einen Seite Tanzmotive von Matisse und auf der anderen Blumenmotive in rosa und weiß sowie geometrische Formen zu erkennen sind. Das Bild ist auf Brusthöhe abgeschnitten, aber so, dass man die hellblaue Verzierung am linken Ärmel noch wahrnehmen kann. Hébuternes Palette ist zart und exquisit. Kopf und Kleid sind mit schwarzen Konturen umrandet. Auf eine Perspektive hat sie verzichtet, wie das auch Matisse in seinen Arbeiten praktizierte. Es ist ein ruhiges, nachdenkliches Bild.


Das Porträt misst 50 x 33,5 cm, entsteht 1916 und gehört dem Musée du Petit Palais in Genf.

*

1918 verlässt Modigliani mit der schwangeren Jeanne, deren Bruder und seinem Freund Chaim Soutine Paris. Jeanne bricht mit ihrer katholischen, bürgerlichen Familie, die den nicht wohlhabenden und den Drogen verfallenen Maler jüdischer Herkunft Modigliani total ablehnt. Der Umzug an die französische Mittelmeerküste ist auf der einen Seite eine Flucht, denn eine Invasion der deutschen Truppen stand bevor, aber vor allem brauchen die beiden kränkelnden Künstler Soutine und Modigliani eine Luftveränderung. Modigliani erholt sich und ist ausgesprochen produktiv. Er malt Jeanne immer wieder, weich, biegsam, lieblich, obwohl er, vor allem im Suff, brutal und wütend ihr gegenüber ist. Seine fertigen Arbeiten schickt er direkt zum Verkauf nach Paris. Die gemeinsame Tochter kommt im November 1918 zur Welt.

1919 lässt sich das bekannte Künstlerpaar wieder in Paris nieder. Jeanne wird erneut schwanger und entwirft nun Schmuck und Mode. Modigliani verlobt sich mit ihr, bevor er die junge Frau aber heiraten kann, erliegt er in der Pariser Charité im Januar 1920 der Tuberkulose. Zwei Tage nach seinem Tod stürzt sich Jeanne Hébuterne im achten Monat schwanger aus einem Fenster im fünften Stock. Sie ist noch keine 22 Jahre alt. Ihre Tochter Jeanne Modigliani wird anschließend von Modiglianis Schwester in Florenz adoptiert.

Hébuternes nur dreijährige Künstlerkarriere dürfte eine der kürzesten in der Kunstgeschichte sein.

Christa Blenk - 5. Dezember 2023
ID 14510
Während Modiglianis Begräbnis auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise im Beisein von seinen Künstlerfreunden stattfindet, wird Jeanne Hébuterne von ihrer Familie in aller Ruhe auf dem kleinen Friedhof von Bagneux begraben. Erst 1930 erlaubt ihre Familie die Umbettung zu ihrem Geliebten.

2018 wurde eine Studie veröffentlicht, laut der Hébuterne an zervikaler Dystonie gelitten haben soll. Dieses Leiden könnte für die schrägen Hälse auf den Porträts verantwortlich sein.

Amedeo Modigliani war zwar zu Lebzeiten bekannt, aber trotzdem meist mittellos. Nach seinem Tod wurde er zum großen Star, während Jeanne Hébuterne als Malerin komplett in Vergessenheit geriet. Es gibt heute nicht mehr als 20 Werke, die ihr zugeordnet werden dürfen. Ein sensibles Portrait in Brauntönen von Modigliani mit Hut könnte auch von ihm selber sein. 2002 hat man in einem Atelier ihres Bruders neun Bilder, hauptsächlich Porträts vor ihrem Leben mit Modigliani, gefunden. Diese wurden in Paris anlässlich einer Modigliani-Ausstellung gezeigt. Das Gemälde Femme au chapeau cloche entstand 1919 in Nizza und ist ein Vorbote für die verrückten Zwanziger Jahre sowie die Unabhängigkeit der Frauen. Es wurde 2018 für 478.00 Euro versteigert.


Wikipedia-Link zum Selbstbildnis von Jeanne Hébuterne


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