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Werkbetrachtung

Das Eismeer von

Caspar David Friedrich



Auf dem Bild ist es so kalt, dass man schon bei dessen Betrachtung Frostbeulen bekommt.

Mit Bildern wie Der Kreidefelsen auf Rügen hat Caspar David Friedrich (1774–1840) die Landschaftsmalerei neu definiert. Die Friedrich-Romantik, die wir aus solchen Bildern kennen, auf denen Personen mit dem Rücken zum Betrachter sehnsuchtsvoll in die Ferne blicken, wird hier allerdings begraben. Das Eismeer ist ein unwirtliches Bild, es ist abweisend und lässt eine Annäherung kaum zu. Es ist aber durchaus im Sinne von Friedrichs Auferstehungs- und Unendlichkeitssymbolik und ein Kampf zwischen den gewaltigen Naturmächten und der schwachen Menschheit, die keine Chance hat, zu überleben.

Caspar David Friedrichs malt Das Eismeer in den Jahren 1823/24. Das Bild misst 97 x 127 cm und hängt in der Hamburger Kunsthalle. Interessant ist hier, dass Friedrich zwar die Arktis malt, sein Modell aber die zugefrorene Elbe bei Dresden im Winter 1820 ist oder besser gesagt der Moment des Aufbrechens und der Beginn des Eistreibens im Januar 1821. Ein Naturereignis, welches der Naturphilosoph und Freund von Friedrich, Carl Gustav Carus, ausführlich in seinem Tagebuch beschreibt.



Das Eismeer von Caspar David Friedrich | BIldquelle: Wikipedia


Dicke Eisschichten und spitze Eiszapfen zermalmen gerade ein Segelboot. Ein kantiger Eisbrocken rechts weist den Betrachter darauf hin, wo es mit dem Untergang kämpft. Die gelblich-schmutzigen Elb-Eisschollen vorne im Bild verschieben sich in- und übereinander und fusionieren mit Fragmenten des untergehenden Schiffes, das überhaupt keine Chance gegen diese Eisschollen hat. Die Sog-Drehbewegung nach links verschlingt das Boot in einer tänzerischen Dynamik. Vom Schiff sieht man gerade noch einen weißen Segelfetzen, der auf den ersten Blick mit einem Eiszapfen verwechselt wird, sowie zerborstene Mikado-Schiffsmasten und Teile des Rumpfes, die zwischen den Planken hervorragen. Das aufgebrochene Eis gefriert sofort wieder zu und verwandelt die Oberfläche in eine unebene. Auf einer Eisscholle rechts könnte ein menschliches, von Eis überzogenes, Wesen liegen. Friedrich konfrontiert das kalte Blau im Hintergrund mit einer rauen Klippeneislandschaft. Die Diagonale zieht sich von rechts unten nach links oben bis hin zu einer weiteren, identischen Eisschollenformation im Hintergrund. Rechts hinten türmen sich ebenfalls Geschwister-Eisberge auf, nur wirken diese kristalliner, transparenter, sogar friedlich wie sie sich in einem blau-grau-nebeligen Tief verlieren. Am Himmel in der Mitte will gelbliches Licht durch die Wolken entkommen. Der höchste Eiszapfen weist wie eine gotische Kathedrale direkt gen Himmel.

Das grandiose Eisplankendurcheinander steht für Tod und Zerstörung. Die braun-grauen und erdigen Eisschollen werden zu Grabplatten, die das Segelschiff samt Besatzung unter sich bestatten. Das Eismeer ist eine Allegorie der zerstörerischen und bedrohlichen Einsamkeit des Scheiterns.



Zeichnungen im Reisebericht des Polarforschers William Edward Parry weisen darauf hin, dass diese Expeditionserlebnisse neben Friedrichs unzähligen Elbe-Skizzen in das Bild eingeflossen sind. Der Expeditionsbericht erscheint 1821 in London und liegt bereits 1822 in deutscher Sprache vor. Parry beschreibt darin seine Forschungsreise 1819 mit den Schiffen Griper und Hecla auf der Suche nach einer Passage vom Atlantik zum Pazifik. Ein Ereignis, das die Öffentlichkeit aufmerksam mit verfolgt. Gefunden hat er so eine Passage nicht. Seine Schiffe gefrieren 1820 im Eis fest, und die komplette Expeditionsgemeinschaft muss dort überwintern. Umgekommen ist dabei niemand und auch die Schiffe können später geborgen werden.

Friedrich hingegen bleibt beim Scheitern hängen, und sein Bild wird politisch. Er beschreibt die Zeit nach dem Wiener Kongress, und die Szene wird eine Metapher für die verlorenen Freiheitsgedanken, die in Form des Segelschiffes frischen Wind bringen sollten. Die schwimmenden, gefrierenden und untergehenden Schollen, die Kälte und das Eis stehen für die verlorenen Hoffnungen auf Bürgerrechte, Pressefreiheit und demokratische Einheit nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 und für die allgemeine Erstarrung in Deutschland. Friedrich bleibt damit unverstanden, und anlässlich der Ausstellung des Gemäldes 1826 bemerkt der preußische König Friedrich Wilhelm III ironisch „Das große Eis im Norden möchte wohl anders aussehen.“
Christa Blenk - 10. Dezember 2020
ID 12643
Caspar David Friedrich kann mit einer Biedermeier-Idylle nichts anfangen und die Zeit nichts mit seinem Bild. Es wird viermal ausgestellt, bleibt unverkauft, und man konzentriert sich auf Carl Spitzwegs einfachere Szenen. So ist diese Eismeer-Inszenierung auch zum persönlichen Scheitern von Caspar David Friedrich geworden. Verkauft wird es erst mit seinem Nachlass an Johan Christian Dahl. Die Witwe von Dahls Sohn schließlich veräußert das Bild 1905 an die Hamburger Kunsthalle, wo es unter dem Titel Die gescheiterte Hoffnung zu einem der Hauptwerke in der Sammlung wird.

Viele Künstler haben Das Eismeer in den letzten 50 Jahren in ihre Werke einbezogen. So inszenierte 1997 Herbert Wernicke für das Theater Basel und die Wiener Festwochen die Kagel-Oper Aus Deutschland. Hier schichtete er Klavierflügel übereinander und die Winterreise-singenden Solisten mussten darauf herum klettern.


Wikimedia-Link zum Bild Das Eismeer


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