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Die Unbeugsamen aus Thorn

Die rechtskonservative Regierungspartei Liga polnischer Familien profiliert sich auf Kosten der Kunst. Kritische Stimmen sprechen schon von Rechtsmissbrauch.


Tomasz Cebu (27) und Dominik Smuzny (30)



Ein vorsommerlicher Abend im April diesen Jahres. Die jungen Künstler Tomasz Cebu (27) und Dominik Smuzny 30) sind auf dem 18-te Theatertreffen im polnischen Zlotow eingeladen. Der Titel ihrer Performance "Installation - mit performativer Beteiligung des Künstlers". Der ganze Saal ist Dunkel. Im Hintergrund eine Projektion. Es läuft eine Szene aus "Die Passion Christi" von Mel Gibson. Pontius Pilatus fragt vor versammelter Menschenmenge auf Christus weisend "Was soll ich mit ihm machen?" Die Masse antwortet schreiend "Yitstalev!! Yitstalev!!" was wohl auf aramäisch kreuzige ihn! heißt. Die beiden Künstler schließen sich vor dieser Projektion in einer Kiste ein. Nur eine Glasscheibe mit einem Loch ermöglicht ihnen die Luftzufuhr. Plötzlich brechen sie aus der verglasten Kiste auf, und springen nackt heraus. Das Glas wird dabei zerschlagen. Ziemlich gefährlich, die ganze Aktion. Im Hintergrund immer wieder die Schreie "Yitstalev!! Yitstalev!!“. Die beiden Nackten schreiten vor dem Publikum umher. Einer der Künstler fragt das Publikum in Anlehnung an die laufende Szene "Was soll ich mit ihm machen?" und zeigt auf seinen nackten Künstlerkollegen. Aus dem Publikum antwortet jemand "bedecke ihn!". Woraufhin Tomasz eine Jacke aus dem Publikum Dominik über die Schulter wirft. Wieder ertönt die Frage "Was soll ich mit ihm machen?" Diesmal lautet die Antwort aus dem Publikum "kreuzige ihn!!". Die beiden simulieren pantomimisch eine Kreuzigungsszene. Der eine hebt beide Arme des anderen in Form eines Kreuzes.

Dann die Überraschung: 3 Tage später prangt auf der Titelseite des Lokalblattes von Zlotow „Aktualnosci Lokalne“ ein Foto der Performance. Tomasz Cebo und Dominik Smuzny sind dort nackt abgebildet, auf ihren Genitalien sind schwarze Balken aufgeklebt „Zensur“ ist dort zu lesen. Und die Überschrift „Szal Cial“ (Körperwahnsinn!!!).

Und schließlich der Skandal: Janusz Kubiak, der Senator der rechtskonservativen Partei Liga polnischer Familien aus dem Nachbarstädtchen Pi³a ist über das Titelfoto empört. Er bringt das zur Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen beginnen: Auf welcher Grundlage? Artikel 196 "Wer die religiösen Gefühle anderer Personen dadurch verletzt, dass er Gegenstände der religiösen Verehrung oder Orte, die für öffentliche religiöse Praktiken bestimmt sind, öffentlich herabwürdigt, wird mit einer Geldstrafe, mit einer Freiheitseinschränkung oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren bestraft."
Hatten denn Tomasz und Dominik vor die Gefühle des Senators oder anderer Gläubiger überhaupt zu verletzen? „Die Szene stand für etwas völlig anderes. Wir wollten lediglich zeigen das die Massengesellschaft von Geburt an über uns bestimmt“ verteidigt sich der junge Künstler. Senator Kubiak hatte zudem die Aktion gar nicht gesehen. Seine Vermutung die Künstler könnten Rechte verletzt haben basiert lediglich auf dem Zeitungsartikel den er sah.
£ukasz Guzek, ein Kunstkritiker aus Krakau meint dazu „Der unglückselige Paragraph dient der Liga polnischer Familien zur Eigenwerbung. Politiker nutzen ihn aus um mehr Stimmen in ihren Wählerkreisen zu bekommen. Die einzige Waffe gegen die LPR ist es sie lächerlich zu machen. Das ist die einzige Partei in Polen die Zensur in der Kunst zulässt.“ Der Kritiker begann erfolgreich seine im Jahre 2005 begonnene Initiative „Stop LPR“. Auf einer Internetseite gibt es in verschiedenen Formaten Aufkleber zum Aufhängen mit der Aufschrift „diese Ausstellung ist nicht für die Liga der polnischen Familien!“. Mittlerweile eine sehr erfolgreiche Aktion: fast alle Museen und Galerien haben die Aufkleber an ihrer Eingangstür. Guzek betreibt auch unter der Internetadresse www.spam.art.pl eine interaktive Seite für alle Vorfälle von Zensur, dort können Künstler und Kunstkritiker Fälle von Zensur eintragen. Lukasz und Dominik sind bereits dort gemeldet.
Häufiger trifft es insbesondere KünstlerInnen die sich mit kontroversen Themen auseinander setzen: Körper und Sexualität, Fragen der gesellschaftlichen Ordnung und Kritik an der Kirche sind unliebsame Themen. In den letzten 5 Jahren wurden mehrere Ausstellungen geschlossen oder Exponate aus Ausstellungen entfernt. Rechtgrundlage war mehrmals der Artikel 196. Dorota Nieznalska bekam es bisher am meisten zu spüren. In der polnischen Öffentlichkeit erweckte die 33 jährige Künstlerin mit ihrer Videoinstallation „Passion„ großes Aufsehen und traf auf scharfen Widerspruch. 2003 wurde sie vom Bezirksgericht in Danzig wegen eben dem Artikel 196 zu 20 Stunden unbezahlter gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Der Prozess läuft bis heute da die Künstlerin Rechtmittel gegen das Urteil einlegte.

Tomasz "Wir müssen uns vernetzen. Es muss mehr von solchen Initiativen wie „Stop LPR“ geben damit die erzkonservativen wissen wenn sie demnächst einfach so Klage gegen Künstler einreichen dann kämpfen sie gegen eine große Lobby von Künstlern und Liberalen die sich wehren können.

Mit diesen Aussagen gehören Tomasz und Dominik zu den Unliebsamen. In Thorn der Stadt aus der Sender „Radio Maryja“ – die katholische Stimme in deinem Haus- kommt, sind sie Exoten in einer fremden Welt. Sie sind mit einem Club und einer künstlerischen Szene aus Thorn eng verbunden dessen Name für Deutsche ein Begriff ist. Ihr Club heißt „NRD“ was auf deutsch „DDR“ bedeutet. Warum, diese alten Insignien des Kommunismus ? „Wir sind hier in dieser Stadt mit unseren progressiven Ideen genauso abgeschlossen wie damals die Menschen in der DDR, daher der Name“ so Tomasz. Sie werden von der Bevölkerung kritisch beäugt, mit Polizeibesuchen überrascht weil es angeblich zu laut ist und man rückt ihnen auf die Pelle wenn sie die Miete nicht rechtzeitig bezahlen. Statt erhoffter Unterstützung von der Stadtverwaltung legt man den jungen Kunstabsolventen Steine in den Weg. Der einzige Ort in Thorn mit subversiven Ideen. Die Mitbegründer des Clubs kämpfen um das ökonomische Weiterbestehen, und die Künstler wehren sich gegen erzkonservative Gegner ihrer Ideen.





Die Ermittlungen in der Sache der Verletzung religiöser Gefühle laufen. „Am meisten wundert die Tatsache das bisher von der Polizei Niemand gefunden werden konnte dessen religiöse Gefühle dort wirklich verletzt worden wären.“ So berichtet Lukasz Zakrzewski einer der Anwesenden der Performance der bereits verhört wurde.
Tomasz Cebo hat jedenfalls erst mal seine Vorladung vertagen müssen. Am genannten Freitag hatte er einen anderen Termin. Verstecken will sich der junge Künstler jedoch nicht. Ich werde auf jeden Fall hinfahren und in meiner Heimatstadt Zlotow aussagen. Dort herrscht momentan zur Sonntagsmesse ein rabiater Ton. Der Priester äußerte sich empört „Wie können solche Menschen in einem katholischen Land aufgewachsen sein, und was für eine Mutter ist das die so etwas zulässt“. Unter den Gläubigen an diesem Abend war auch die Mutter Tomasz. Sie geht regelmäßig zur Kirche und ist gläubig. Sie ist völlig verwundert.


Text: Berenika Partum, August 2007
ID 00000003383

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