WARTEN
in der Hamburger Kunsthalle
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Bewertung:
Die Zeit verlangsamt sich auf unerträgliche Weise, scheint stillzustehen, da passiert es, das Unmögliche, der perfekte Moment. Wie wertvoll wäre es doch, die Leere zuzulassen, wie es oft Künstler tun. Warten macht erfinderisch, gibt Hoffnung. Der kreative Prozess ist ja kein Kampf, sondern ein Zulassen. Doch unserer Vorstellung nach hat es stets etwas Grausames, eine Trostlosigkeit, dass da nichts ist, kein Gott, keine höhere Macht, niemand, der einem sagt, was zu tun ist.
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Tobias Zielony: Lee + Chunk, 2000 aus der Serie Car Park; Fotografie, C-Print, 41,6 x 62,4 cm | Courtesy of KOW, Berlin © Tobias Zielony
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Das letzte Kunstwerk in dieser Ausstellung [WARTEN. Zwischen Macht und Möglichkeit] ist ein Film über einen Mann, der durch ein Fenster hindurch einen direkt anschaut. Lässt man es zu, wird man persönlich berührt durch diesen subtilen, durchdringenden Blick, denn er wartet auf den Tod, er verbringt seine letzte Zeit in einem Hospiz. Irgendwann verschwindet er.
Und während einer wartet auf den Bus, passiert ihm vielleicht die große Liebe.
Ein erzwungener Stillstand ist Qual, sei es das Warten auf ein Spender-Organ oder auch nur die Süßigkeit. In den 70er Jahren gab es den "Marshmallow-Test", in dem Kindern ein einziges Marshmallow gegeben wurde mit der Anweisung: Würde es der Versuchung widerstehen und dieses weiche süße Etwas nicht essen, bekäme es nach einigen Minuten ein Zweites. (Auf YouTube gibt es amüsante Clips dazu.)
Jetzt als Erwachsene nochmals befragt, stellt sich heraus, dass Kinder, die warten konnten, erfolgreicher wurden. Doch führen sie auch ein erfüllteres Leben? Man könnte auch fragen: Verpasst man sein Leben nur, um noch mehr zu bekommen? Auch die eine Süßigkeit lässt sich voll Vergnügen genießen. Dann hat man kein schlechtes Gewissen, weil man unschuldig ist. Doch leider ist schon die Kindheit durchgetaktet, und Schule ist zielorientiert angelegt. Geduld und Willensstärke sind bei uns liebenswerte Tugenden.
Wenn man jedoch nichts tut, bedeutet es Langeweile, ohne Engagement zu sein - leer vielleicht, und das wird wiederum mit Faulheit gleichgesetzt. Ist es die Angst vor dem Loch? Oder vielleicht auch vor Erniedrigung? Das englische Wort waiter oder waitress bedeutet Dienen oder eine Aufwartung machen und zeigt unterschiedliche Machtverhältnisse auf. Auf Fotos sieht man die Armseligkeit, wenn Menschen in der Schlange stehen oder stundenlang sitzen, um einen Job zu ergattern oder Sozialleistungen zu beziehen. Ist es das Warten auf Godot? Springt da jemand auf und schreit "Heureka!" "Ich hab's!" Nein!
Es ist das Warten auf eine ungewisse, bessere Zukunft.
Es werden aber auch Jugendliche gezeigt, bei denen heißt es chillen, abhängen und ist gar nicht negativ belegt. Sie verlieren keine Zeit, sie genießen das Zusammensein in der Clique. Lebenszeit ist für manchen kostbarer als Geld und Hektik, der schnelle Blick auf's Smartphone, das Vorbeihetzen auf der Fast Lane am Flughafen. Wir sehen, für den schnellen Erfolgsmenschen sind englische Begriffe angesagt. Schneller, höher, besser, weiter... doch wohin führt das? Zum Burn Out, der schnell vom Arzt behandelt werden muss.
Man möchte auf der Gewinnerseite bleiben. Flüchtlinge aber müssen ausharren unter unmenschlichen Bedingungen, warten sie auf Asyl, um dann vielleicht wieder abgeschoben zu werden.
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Vajiko Chachkhiani: Life Track, 2014; HD-Video, 03:45 Min., Videostill | Courtesy of the artist and Daniel Marzona, Berlin © Vajiko Chachkhiani
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Zur Ausstellung gibt es Performances, in denen nicht viel passiert. Warteschlangen, die sich wieder auflösen, um sich woanders zu formieren. Oder jemand sitzt, mit den Füßen in einem Betonblock, zur Bewegungslosigkeit gezwungen. Worauf wartet er? Seine Füße auf ewig eingeprägt, machen später seine eigentliche Abwesenheit bewusst.
Das Warten hat viele Aspekte, und Zeit ist relativ. Während im Warteraum die eine Zeit stehen bleibt, nämlich genau auf 11:31, zeigt eine andere Uhr etwas anderes an. Gott sei Dank liegen Zeitschriften herum, der Kopf will Unterhaltung.
Schade, das Bild vom Nichts fehlt. Das, was im Verborgenen liegt. Wenn eine Schwangere voll Erwartung auf einem Bett liegt, hat dieses Foto, dieser Bauch etwas Schweres und Belastendes. Es gibt aber Marienbilder aus einer anderen Zeit, die meist sehr unscheinbar, doch voller Hoffnung sind. Das Religiöse oder der Aspekt von Meditation werden nicht erwähnt. Die kreative Leere, aus der Schönheit entspringt, kommt irgendwie zu kurz. Denn nur im Warten, im Zulassen von Stille und Achtsamkeit passiert der Moment.
Schon Leonardo da Vinci war berühmt wegen seiner Beobachtungsgabe. Vielleicht deshalb der Hinweis auf die fast parallel laufende Ausstellung der Venezianischen Malerei, in der es um das Erkunden des Wahren ging, der Vereinigung des Geistigen mit dem Materiellen. Dort wusste man, alles Sehen kommt von Innen. Man hat die Natur beobachtet, Licht und Schatten zugelassen.
Nun ist diese Ausstellung eine von zeitgenössischen Künstlern, die abbilden, deren Anspruch es ist, aufzuzeigen. Und manchmal hilft ein kleiner Hinweis. Ganz unten an der Wand gibt es die Filmprojektion der drehenden Däumchen. Danach sehen wir Film-Loops und Zeitraffer, auch sie können uns den Moment näher bringen.
Vor drei Jahren gab es eine ähnliche Ausstellung unter dem Thema Besser Scheitern. Es sind Befragungen durch Kunst mit der Kunst. Aber wo bleibt die Kunst, welche nicht nur Trostlosigkeit dokumentiert? Es fehlt die poetische Kunst, die wirklich der Stille entspringt, Ideen aus dem Schwarzen Loch, die nicht nur aufzeigen, sondern Seele erkennen lassen!
Wenn ein Angler an einem dreckigen Kanal steht und wartet, wartet er auf den Fisch oder auf eine Eingebung? Möchte er seinem tristen Alltag entfliehen? Da hat jemand ganze Wände mit einer Strichliste gefüllt; wie im Gefängnis die Tage gezählt. Beklommenheit macht sich breit. Auf wen oder was warten wir so sehnsüchtig? Mir fällt dazu der Schlager ein: "Kein Schwein ruft mich an!" von den Comedian Harmonists, anstatt den Hörer selbst in die Hand zu nehmen.
Soviel Gewicht liegt auf dem Tragischen, das Leben ist ein endlos grausamer Fluss, kann hier nur als innere Reflexion kommen. Beim Gehen werde ich nochmal erinnert; draussen vor der Tür steht ein Wartehäuschen mit Bushaltestelle. Das Objekt gehört zur Ausstellung. Hier wird man endlos warten müssen, werden wir es schaffen, wo doch der Bus niemals kommen wird?
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Paul Graham: Waiting Room, Highgate DHSS, North London, 1984 aus der Serie Beyond Caring; Fotografie, 87 x 104 cm | © Courtesy of the artist and carlier | gebauer
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Was machen wir jetzt bloß?! Draußen gibt es zwar ein Meer der Möglichkeiten, wenn dann nicht immer die Orientierungslosigkeit zuschlägt. Wollen wir zu viel? Wie spät ist es? Was, schon so spät!! Ich muss mich beeilen.
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Liane Kampeter - 19. Februar 2017 ID 9851
Weitere Infos siehe auch: http://www.warten-kunsthalle.de
Post an Liane Kampeter
http://www.liane-kampeter.de
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