Gemütlicher Schauder
UNHEIMLICH. Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann
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Bewertung:
UNHEIMLICH ist der Titel der Ausstellung im Kunstmuseum Bonn, die seit 20. Oktober zu sehen ist. Unheimlich bedeutet schauerlich, gruselig oder furchtregend. Der Titel ist deshalb nicht sehr aussagekräftig, denn hier geht es auch viel um Angst und Einsamkeit, um Unwohlsein, um Hinweise auf Gewalt, versteckte und offensichtliche, und um Traum und Wirklichkeit.
Kein Entkommen, Dinge, Totenhaus, Alpträume, Einsamkeit, die Anderen, Verschwinden, Tatorte sind die Schlagwörter, und in jene ist die Ausstellung unterteilt.
Der Impressionismus hat die Maler auf die Straße und in die Landschaft geschickt, um das Licht zu suchen, zu verstehen, zu kopieren und zu interpretieren. Die Sonne durchflutet Land und Leute, und die Farbe Schwarz verschwindet fast gänzlich. Die Gegen- oder Folgebewegungen, angefangen mit den Nabis-Vertretern wie Edouard Vuillard und Strömungen v.a. in den nordischen Ländern, suchten wieder das Dunkle, das Unheimliche, das Zurückgezogene, das Abgeschlossene; und damit sind wir auch schon wieder bei der Ausstellung. Dänemark, Norwegen, Belgien, Frankreich und Deutschland sind die Protagonisten. Die im Winter sonnenarmen Gegenden, deren Bewohner genötigt sind, sich ins eigene Heim zurückzuziehen, was paradoxerweise aber nicht gleichbedeutend mit gemütlich ist. Und diese Stimmungen - die klammen, feuchten, finsteren, befremdlichen und unbehaglichen -werden in der Ausstellung analysiert. Es spukt und fremdelt, und man friert.
Der Untertitel Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann relativiert ein wenig den Ausstellungtitel UNHEIMLICH. Aber das macht ihn dann auch wieder unheimlich! Und bei Auguste Chabrauds Hotelflur (1907) könnte man durchaus an Hitchcock's Psycho denken.
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Auguste Chabraud, Hotelflur, 1907/08 - Öl auf Karton, 105 x 76 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 | Foto: Städel Museum – U. Edelmann - ARTOTHEK
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Die Treppe vom Genter Maler Eugène Laermans (1896) ruft Assoziationen an die Radierungen von Hugo Steiner-Prags Golem-Illustrationen hervor. Steiner-Prag fehlt leider in der Ausstellung. Höchstens Goya oder das Kino übertreffen ihn, wenn es darum geht, Angst in Räumen zu erzeugen. Athanasius Pernath kann ein Lied davon singen.
In der Zugluft hängende Kleider können zu Gespenstern werden und das Zwielicht Möbel in Bewegung setzen. Man ist diesen Geschehnissen hilflos ausgeliefert und kann sie nicht verhindern. Der dunkle Raum ist geschlossen und bekommt nur noch etwas Licht von draußen, von der leichten und gefahrfrei-hellen Freiheit.
James Ensors Pierrot und Skelett zeigt einen gedeckten Tisch; zwischen Weinkrug und Brotkorb thronen ein Totenkopf und der lustige Kasperl. James Ensor ist sowieso prominent vertreten in der Ausstellung - wie viele seiner belgischen Landsleute. Ensor war ein Meister des Versteckten und hat all das, was man nicht sehen kann, in seine Bilder gepackt.
Eine große Bereicherung für die Schau und eine Entdeckung überhaupt sind die Werke des belgisches Surrealisten Léon Spillaert (1881-1946). Das Selbstportrait 3, entstand 1908, dient gleichzeitig als Ausstellungsplakat. Es ist mit Aquarell, Farbkreide und Tinte gemalt, 50 x 65 cm groß und kommt aus einer Privatsammlung. Spillaert sitzt, irgendwie ertappt, in einem grau-braun-schwarzen Raum oder Vorraum, blickt schräg auf uns und hat wohl eine blonde, auftoupierte Perücke oder ein Haarteil auf dem Kopf. Was er genau macht oder wo er genau ist, kann man nicht feststellen. Von diesem Künstler hängen einige interessante Werke in der Ausstellung, darunter auch das Aquarell Allein (1909). Es zeigt ein kleines, fast gesichtsloses Mädchen mit blauem Kleid und gelben Haaren in einem seltsam verwinkelten Raum. Sie schaut uns an und tut uns Leid, aber wir wissen nicht, warum. Der Stuhl, auf dem sie sitzt, kippt oder hat ein fehlendes Stuhlbein.
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Léon Spilliaert, Selbstporträt 3. November 1908, Tusche, Farbstift, Pastell, Conté-Stift; 49,7 x 65 cm | © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 -Privatbesitz
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Und natürlich immer wieder Munch, der Traurigste von Allen. Seine Bilder sind nicht unbedingt unheimlich, sie berühren durch Einsamkeit und so viel Gram, dass man wegsehen muss. Munch hatte keinen Schutzengel, nichts Helles in seinem Umfeld. In dem Bild Leichengeruch malt er den Geruch des Todes. Munchs Familie ist fast komplett der Tuberkulose zum Opfer gefallen, und immer liegt irgendjemand im Bett und stirbt gerade, so auch bei Tod im Krankenzimmer (1893) aus dem Munch Museum in Oslo.
Befremdlich hingegen (am Ende der Ausstellung unter dem Thema Tatorte) Munchs Mord (1906). Hier scheint keine Trauer zu herrschen. Die Wände um den Toten sind Van-Gogh-Gelb und fast fröhlich, und nur der rote Fleck auf dem Hemd des Darniederliegenden spricht von Tod. Sonst könnte man auch einen Siesta-haltenden Mann vermuten. In der Ausstellung geht es jedenfalls der Gemütlichkeit und des Geborgenheitsgefühls im eigenen Heime kräftig an den Kragen, was sicher von Allen nachvollzogen werden kann! Denn wer kennt nicht die plötzliche Panik, wenn ein Luftzug die Vorhänge bewegt, man früher eine finstere Kellertreppe runter gehen musste oder ungewohnte Geräusche sich nachts in den Halbschlaf mischen. Der deutsche expressionistische Film - oder natürlich Alfred Hitchcock - haben solche Ideen und Situationen bis zum Letzten ausgeschöpft.
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Über 100 Gemälde, Zeichnungen und Drucke von Munch, Beckmann, Ensor, Spilleart, Vuillard, Redon, Hammershoi, Kubin, Heckel, Hofer u.a. aus zahlreichen internationalen und nationalen Museen oder Privatsammlungen zwischen Ende des 19. bis in die Hälfte das 20. Jahrhunderts sind zu sehen. Die Künstler gehörten zu den Metaphysikern bzw. dem Symbolismus, Expressionsmus oder der Nabis-Gruppe an.
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Karl Hofer, Die schwarzen Zimmer (II. Fassung), 1943; Öl auf Leinwand, 149 x 110 cm | Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie; Erworben durch das Land Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 || Foto: bpk/Jörg P. Anders
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Christa Blenk - 25. Oktober 2016 ID 9635
Weitere Infos siehe auch: http://www.kunstmuseum-bonn.de/
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