Sammlung Viehof
Internationale Kunst der Gegenwart
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Bewertung:
Es ist eine einzigartige Ausstellung, die man als Kunstinteressierter einfach gesehen haben muss.
Ein unglaubliches Volumen und Qualität bietet sich hier sozusagen als Staffellauf der Ideen und Motivationen. Selten kann man sie zusammen sehen, gleichberechtigt, wunderbar gehängt mit einem Brückenschlag zur Dependance Falckenberg in Harburg.
Diese Kunstsammlung von den Gebrüdern Viehof umfasst 950 Werke von über 80 zeitgenössischen Künstlern. Um nur einige zu nennen: Georg Baselitz, Sigmar Polke, Neo Rauch, Peter Doig, Daniel Richter, Per Kirkeby, Jörg Immendorf, Gerhard Richter, Martin Kippenberger...
Es erschlägt einen, und deshalb muss man einen eigenen Weg finden; sie als Ganzes betrachten, Widersprüchliches in den Dialog bringen. Diese Epoche der Nachkriegskunst mit ihren Schlüsselfiguren wie Joseph Beuys fordert auf, über Kunst nachzudenken. Ihm ging es mit seinem symbolhaften Wirken um das Mitgestalten von Gesellschaft und Politik, um Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit. Viel haben sich die Künstler dieser Zeit ausgetauscht, auch international. Das Spektrum reicht von Blutbildern des Herrmann Nitsch zu Strickbildern von Rosemarie Trockel mit dem Thema Freude von 1988. Dabei steht das Wort seitenverkehrt und verweist auf weibliche Klischees, bringt auf zynische Art und Weise das konditionierte Hausfrauen-Dasein auf den Punkt. Ihr Thema ist Schönheit, Sinnlichkeit und eine neue Art der Repräsentation.
Es wird das Täuschungsprinzip der Malerei gezeigt, das Thema Zerstörung und das Gestalterische. Große Ironie und Experimentierfreude begleitet diese Zeit, man zeigt auch mal, was hinter den Bildern ist oder wird theatralisch. Wir sehen einen Abriss der Kunstgeschichte der letzten sechs Jahrzehnte.
Der Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow kuratierte auf geschickte und kunstverständige Weise.
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Daniel Richter, Mann im Gipfel, 2009 | (C) 2016 VG Bild-Kunst, Bonn
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Neo Rauch, Männer mit Flugzeugen, 2012 | (C) 2016 Neo Rauch Courtesy Eigen+Art, Leipzig/Berlin
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Sigmar Polke, Weißer Raum, 1995 | (C) 2016 The Estate of Sigmar Polke/VG Bild-Kunst, Bonn
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Fragt man sich jetzt, was hängt in der Phönixhalle in Harburg? Das Gleiche in Grün? Nein, es sind andere Räumlichkeiten, es wird mit den Sinnen gespielt, Politisches oder auch Dunkles gezeigt, auch gescheiterte Utopien. Es ist eine Form des Denkens, um Realität zu reflektieren und zu gestalten. Wir sehen Filmkunst, Skulptur, Großformatiges auf Papier von Günther Förg oder von Jörg Immendorf. Er thematisiert z.B. die Zeit des Studiums. "1. Semester. Am Pförtner scheitern. Das Bild muss die Funktion der Kartoffel übernehmen." Texte in den Bildern von 1989.
Interessant auch die von Markus Schinwald marionettenhafte lebensgroße Installation eines Mannes im Anzug (2005). Otto heißt er und liegt entspannt auf einer Chaiselongue, schaut einen an, bis sich plötzlich das Antlitz wechselt und seine Augen geschlossen sind. Eine surreal anmutende Situation, plötzlich in den Schlaf gefallen, und Sekunden später sind die Augen schon wieder offen und ziehen einen in den Bann.
Hier ist viel Kunst für Anspruchsvolle zu verdauen, wie z.B. von Thomas Schütte das Kopf-Bild, Titel Gefangener, bewusst ohne Jahresangabe, "B150389232“ ist dort zu lesen. Oder der Filmloop Deeparture von Mircea Cantor 2005; mit einer unglaublichen Spannung treffen hier ein Reh und Wolf aufeinander. Wer ist mehr am Zittern in dieser ungewohnten Umgebung, eingeschlossen in einem super cleanen weißen Raum ähnlich einer Galerie.
Kunst bringt uns also mit anderen Räumen und Dingen zusammen, auch mit Grenzen, die Auseinandersetzung findet damit in uns selber statt. Es ist ein Innehalten. SAD ART becomes RAT ADS von Thomas Schütte, Minimalismus und monochrome Bilder erzeugen eine unausweichliche Stimmung.
Hier wurde Kunst auf Augenhöhe gebracht.
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Liane Kampeter - 4. Oktober 2016 ID 9600
Die Sammlung Viehof, in die wichtige Teile der Sammlung Speck und Sammlung Rheingold eingeflossen sind, vereint Werke aus den Bereichen Malerei, Zeichnung, Fotografie, Skulptur, Installation und Video mit dem Schwerpunkt auf deutsche Kunst von der Nachkriegszeit bis heute.
Ein umfangreicher Katalog (Snoeck Verlag) ist erhältlich.
Es gibt Führungen und ein Rahmenprogramm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Jeden 1. Sonntag im Monat kann man einen Shuttlebus zur Dependance Falckenberg in Harburg nutzen und ohne Führung die Kunst wirken lassen.
Weitere Infos siehe auch: http://www.deichtorhallen.de
Post an Liane Kampeter
http://www.liane-kampeter.de
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