Israelische
Kunst!
Tolle Videos im
Martin-Gropius-Bau
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Auf dem Ausstellungsplakat: Mark Rothko, No. 24 (Untitled), 1951. Gift of The Mark Rothko Foundation, Inc., New York, through the American Friends of the Tel Aviv Museum of Art, 1986 | © Kate Rothko-Prizel & Christopher Rothko / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Photo Avraham Hay
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Bewertung:
Man mag nicht wissen wollen, welcher hoher Versicherungswert (in barer Münze ausgedrückt) derzeit, und bis zum Sommeranfang dieses Jahres, an den Wänden und in den Vitrinen des altehrwürdigen Martin-Gropius-Baus Berlin zu sehen ist!
Das Tel Aviv Museum of Art hat, wie es scheint, sein "Tafelsilber" für den Zeitraum von drei Monaten einpacken, versichern & verfrachten lassen, um es in der deutschen Hauptstadt - anlässlich des 50jährigen Bestehens der diplomatischen Beziehung zwischen Israel und Deutschland - auszustellen; ein schier einmaliger Akt in der Geschichte des Museums! Nie zuvor hatte es "seine" Star-Besitzungen mit Werken Alexander Archipenkos, Max Beckmanns, Marc Chagalls, Edgar Degas', Erich Heckels, Alberto Giacomettis, Wassily Kandinskys, Jackson Pollocks, Ludwig Meidners, Pablo Picassos, Mark Rothkos, Egon Schieles und Lesser Urys für Besichtigungen in Europa (und schon gar nicht in Berlin) je aus der Hand gegeben. Dass es jetzt geschah, ist eine Referenz an Deutschland und an das seit Jahren und Jahrzehnten sich (trotz oder wegen der geschichtlichen Erfahrungen und Lehren für die Deutschen aus und nach der Zeit des Holocaust sowie der "Missstimmungen" und/oder Meinungsverschiedenheiten zu dem andauernden Dauerthema israelisch-palästinensischer Konflikt) bewährt habende freundschaftliche Verhältnis beider Staaten.
"Den Klassikern werden kontrapunktisch Videoarbeiten und Installationen von Künstlern aus Israel gegenübergestellt." (Quelle: berlinerfestspiele.de)
Darüber soll hier etwas näher eingegangen sein...
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Guy Ben Ner, Treehouse Kit, 2005; Video Installation (detail) | Tel Aviv Museum of Art | Purchased with the donation of Rivka Saker and Uzi Zucker Fund for Contemporary Israeli Art, through the American Friends of the Tel Aviv Museum of Art, 2009 || © Guy Ben-Ner / Photo Elad Sarig
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"Treehouse Kit" heißt einer der 9 thematischen Räume, die die Ausstellung Jahrhundertzeichen. Tel Aviv Museum of Art visits Berlin vorzuweisen hat - das ist gleichsam der Titel [Treehouse Kit / Baumhaus-Bausatz; s. Foto oben] eines ca. 10minütigen Videos inkl. der in ihm gezeigten und in diesem Raum errichteten und nachgebauten Holzskulptur, um die sich jene Doppel-Arbeit des 1969 geborenen Guy Ben-Ner dreht. Er selbst ist, nur mit Shorts bekleidet, auf dem Film zu sehen. Seine körperliche Schönheit ist geradezu betörend, und man ist (derart ästhetisch attackiert) nicht sofort in der Lage zu erkennen, was Ben-Ner da in dem Filmchen macht, beabsichtigt, bezweckt; beim zweiten Filmdurchlauf kriegt man es allerdings dann irgendwie schon mit:
IKEA-ähnliche Materialien, v.a. aber alles zum Zusammenbau diverser Konstruktionen dieses weltumspannenden Konzerns benötigte und meist mit ausgelieferte Werk-/Handwerkszeug werden vom Künstler sozusagen vorgeführt. Er installiert also (im Film) schweigend und mit schier kindlich und verspielt wirkender Akribie ein Holz-Baumhaus - dasjenige, was dann auch (wie schon angedeutet) nachgerade in dem Themenraum gestellt und zur sachkundigen Betrachtung frei gegeben ist.
Es könnte sein, dass er zum Einen die Verschwendung von natürlichen Ressourcen (Holz!), zum Anderen den fast schon stumpfsinnsähnlichen Aspekt im Zuge solcher Hobby-Bastelei'n von Männern anprangert und sozusagen auf die Schippe nimmt.
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"Und Europa wird überwältigt sein" heißt der zweite der 9 Themenräume. Tatsächlich geht es hier um die dreiteilige Video-Trilogie And Europe Will Be Stunned [s. Foto unten] des 1970 geborenen Yeal Bartana. Eine Großleinwand zeigt nacheinander die drei Einzelteile des über 1stündigen Filmwerks; sie liefen erstmals auf der 54. Biennale in Venedig und waren der damals offizielle Beitrag Polens - wie das?
Quer rechts zur Filmleinwand sind drei Fassungen eines sog. Manifestes der "Bewegung für eine jüdische Renaissance in Polen" (Adlerwappen, schwarze Schrift auf roter Farbe; dreisprachig) von Bartana wuchtig positioniert. Filminhaltlich geht es darum, dass eine überwiegende Anzahl von weltweit "verstreuten" polnischen Juden nicht etwa auf dem heutigen Territorium von Israel ihre heimatlich-örtliche Bestimmung suchen wollen würde, sondern in der eigentlichen (angestammten) Heimat, nämlich: Polen.
Diese inszenierte Video-Trilogie (die Titel sind: Albträume / Mauer und Turm / Attentat) spielt bissig-stark und voller Ironie mit allen nur erdenklichen Möglichkeiten einer propagandistischen Gehirnwäsche der Abgefilmten (Polen bauen beispielsweise voller Enthusiasmus einen Kibbuz, singen dabei Lieder; hymnisch werden Marschmusiken unterlegt); und wer den alten DEFA-Märchenfilm Das kalte Herz kennt und sich an die apotheosische Schlussszene à la "Bau auf! bau auf!!" erinnert, könnte ahnen wie das bei dem Bartana dann abgeht - Leni Riefenstahl lässt grüßen.
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Yael Bartana, And Europe Will Be Stunned, 2007-2011 (Video still) | Tel Aviv Museum of Art | Purchased with funds contributed by the Acquisition Fund of the British Friends of the Art Museums of Israel; co-owned with the Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 2012 || © Yael Bartana
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Andere Themenräume sind mit "Stadt und Land", "Der verwirrte Planet", "Still / Bewegt", "Die Welt von gestern", "Berlin" und "Frauenbilder" übertitelt. In ihnen (außer im "Berlin"-Raum) laufen diese Videos hier:
Marganih und Salit voin Tzion Abraham Hazan (* 1986), Gaza Canal von Tamir Zadok (* 1979), Oriental Arch / Orientalischer Bogen von Niv Evron (*1974), Sabbath von Nira Pereg (* 1969) und The Concerto / Das Konzert von Nevet Yitzhak (* 1975).
Die o.g. Arbeiten aller vorgestellten israelischen Künstler setzen sich sehr intensiv, sehr klug, sehr witzig wie auch nah und fern zugleich mit einer sie umgebenden heterogenen Gesellschaft ihres derart bunten und unfassbar-schönen Landes auseinander. Darin sind sie wohl - betrachtet man sich ihre medienkünstlerischen Werke in Zusammenhänge - einig: Dass es keine 1:1-Abbildung Israels "an sich" je gab und jemals geben kann. Sodurch sind ihre (Menschen-)Sichten schwer von Leichtigkeit und Lebensprallheit!
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Für einen der 9 Themen-Räume haben wir uns ganz zuletzt den Platz hier reservieren wollen; er heißt auf Deutsch "Wenn Diktatoren wüten" und beinhaltet die gleichnamige Installation/Performance While Dictators Rage [s.u.] von Michal Helfman (* 1973):
Sie hat das letzte Gemäldes des in Osnabrück geborenen und 1944 (40jährig) in Auschwitz umgekommenen Felix Nussbaum (Die Gerippe spielen zum Tanz) installativ rekonstruiert.
Noel Gay's "Lambeth Walk", ein Lied aus dem Europa der Vorkriegszeit, spielt hier eine performative Rolle. Die israelische Komponistin Shiura Yasur hat es (in der Tradition der Klezmermusik) für Klarinette und Violine als Variationsstück bearbeitet, und die Klarinettistin Mori Yonekura sowie der Geiger Ori Wissner-Levy - beide inmitten der Installation geraten - führen es auf; zum Ende hin erschlafft (absichtlich) ihre spielerische Kraft, die adaptierte Weise ist von Yasur (sehr ironisch) bis "zum Einschlafen" gebracht; quasi als schwipsig-ausladendes Ende einer durchgezechten langen Nacht...
Grandiose Idee von Helfman, mit so unglaublicher Leichtigkeit dem tiefen Ernst unseres Lebens (und dem ganz konkreten Querverweis zum Bild des im KZ, noch vor seiner Befreiung dort, so jämmerlich Verendeten) auf künstlerische Weise zu begegnen.
Tolle Ausstellung.
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Felix Nussbaum, Triumph des Todes (Die Gerippe spielen zum Tanz), 1944 | Bildquelle: http://michalhelfman.com
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Andre Sokolowski - 27. März 2015 ID 8529
JAHRHUNDERTZEICHEN. TEL AVIV MUSEUM OF ART VISITS BERLIN (Martin-Gropius-Bau | 27.03.-21.06.2015)
Kunst der Moderne und Gegenwart
Kuratorinnen: Raz Samira (für Moderne Kunst), Irith Hadar (für Grafik und Zeichnungen) und Ellen Ginton (für Israelische Kunst)
Öffnungszeiten:
Mi - Mo | 10 - 19 h
Di | geschlossen
Feiertage | geöffnet
Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel +49 30 254 86-0
Fax +49 30 254 86-107
post@gropiusbau.de
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de/gropiusbau
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
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