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Ausstellung

Gegensätze

und Gemein-

samkeiten



Auf dem Plakat: Ralph Goings, Airstream, 1970, Öl auf Leinwand, 152 x 214 cm, Ralph Goings, Foto: mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung

Bewertung:    



Der Spion, der aus der Kälte kam (The Spy Who Came in from the Cold) ist ein 1963 erschienener Spionageroman des britischen Schriftstellers John le Carré. Die Kälte, ein gebräuchlicher Begriff der Auslandsgeheimdienste aus dem Kalten Krieg der Systeme nach dem Zweiten Weltkrieg, dient auch als Teil des Titels der neuen Ausstellung im Berliner GROPIUS BAU, in der die Malerei der beiden Leader-Staaten dieser gegensätzlichen Blöcke USA und UdSSR aus den Jahren 1960-1990 gegenübergestellt wird. Rund 125 Arbeiten von 80 KünstlerInnen beider Länder aus dem Besitz des Kölner Sammlerpaars Peter und Irene Lud­wig, ausgeliehen aus sechs internationalen Museen, werden hier miteinander in Beziehung gesetzt. Unter den Ausgestellten befinden sich so bekannte Namen wie Andy Warhol, Jasper Johns, Ilja Kabakov, Jackson Pollock, Helen Frankenthaler, Alex Katz, Roy Lichtenstein, Viktor Pivovarov, Natalja Nesterova und Ivan Čujkov.

Als cool gehen bei diesem Vergleich natürlich die West-MalerInnen durch, während die Kälte mit den KünstlerInnen aus der ehemaligen Sowjetunion assoziiert wird. Als Eyecatcher dient da gleich zu Beginn der Ausstellung der Colt ziehende Rock`n`Roll-Star und Schauspieler Elvis Presley, gemalt von der US-amerikanischen Pop-Art-Ikone Andy Warhol, dem ein typisch propagandistisch in stolzer Haltung gemalter überlebensgroßer Lenin des sowjetischen Malers Dmitrij Nalbandjan, Held der Arbeit und zweimaliger Stalinpreisträger, gegenübersteht. Deutlicher lassen sich Unterschiede nicht darstellen. Obwohl Warhols Elvis fast 20 Jahre früher entstand, wirkt er frischer und moderner als der im Stile des sozialistischen Realismus gemalte Lenin von Nalbandjan aus den 1980er Jahren.



The Cool and the Cold. Malerei aus den USA und der UDSSR 1960–1990. Sammlung Ludwig, Installationsansicht, 24.9.2021–9.1.2022, Gropius Bau - Foto (c) Luca Girardini


Ein Gegensatz, der sich aber nicht grundsätzlich durch diese Ausstellung zieht. Nach Zeitstrahl in Dekaden geteilt arbeitet sich die Schau neben dem Trennenden auch an etlichen interessanten Gemeinsamkeiten in Stil und Themenwahl ab. Die Vergleiche reichen hier von der künstlerischen Verarbeitung des Weltkriegs über die Darstellung der verschiedenen Arbeits- und privaten Lebenswelten bis zu Stadtansichten und Landschaftsbildern. Schriftbänder, Losungen, oder Comicelemente werden sowohl in der Pop Art als auch in propagandistischen Werken sowjetischer Künstler verwendet. Beispiele hierfür sind Arbeiten wie Robert Indianas USA 666 (iss, stirb, irre, umarme) II oder oder Roy Lichtensteins Hopeless, die eher kapitalismus- und konsumkritisch zu werten sind. Nikolaj Ovčinnikov mixt sein Remake eines Gemäldes einer russischen Bäuerin mit Kalb des Malers Alexej Wenezianow aus den1820er Jahren mit Parolen der Neuzeit. Comicartig gestaltet ist das Diptichon Die Besessenen mit Sportlervignetten der Malerin Larisa Rezun-Zvezdochetova. Im Gegensatz zu den US-amerikanischen Pop-Art-Bildern aus den 1960er Jahren stammen diese Gemälde aber eher aus der Endzeit der UdSSR, in der die sowjetischen KünstlerInnen begannen Propagandamittel ironischer einzusetzen. So zeigt Erik Bulatov in seinem Gemälde Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang das Staatswappen der UdSSR am Meereshorizont.

Aber auch der sowjetische Underground-Künstler Maxim Kantor mit einem pastösen Doppelportrait eines Mannes oder Oleg Vasilevs Selbstbildnis mit Lunja stehen hier neben dem jüngst verstorbenen US-amerikanischen Fotorealisten Chuck Close oder einem Portrait von Alex Katz. Unterschiedlicher geht es kaum. Was sich nicht nur in der Pop Art von Tim Wesselsmann und Richard Lindner oder dem Detailnaturalismus der Fotorealisten Richard Estes, Ralph Goings und Malcom Morley manifestiert. In den ihnen gegenübergestellten Werken der Sowjetkunst aus den 1970er Jahren spielen diese Extreme der figürlichen Darstellung noch kaum eine Rolle. Hier steht der sozialistische Realismus, wie man ihn auch aus der DDR kennt, in der Tradition von Volkskunst, Expressionismus und Verismus. Beispiele dafür sind Natalja Nesterovas fast naives Gemälde Singende, Maja Tabakas veristische Stadtansicht Riga 1945, Galina Neledvas Familienfest oder Boris Nemenskiys Kriegsbilder Auf der namenlosen Höhe und Nach dem Krieg. Das Schicksal der Frauen.

In der Kunst der Nachkriegszeit kommt man natürlich nicht an der Abstraktion vorbei, die ja in Europa auch als Reaktion auf den völkischen Realismus der Nazikunst entstand, in den USA ihre Wurzeln aber eher in der Abkehr vom bis dahin vorherrschenden Expressionismus hat. Beispielhaft dafür stehen hier die Actionpaintings und assoziativen Drippings von Jackson Pollock aus den 1950er Jahren. Die abstrakte Farbkomposition im Gemälde Das Glück von Aleksandr Charitonov aus dem Jahr 1960 entstand dagegen in einer eher klassischen Malweise des Pointilismus. Sehr ähnlich sind sich dagegen das abstrakte Gemälde Salome der New Yorker Malerin Helen Frankenthaler und das Gemälde Zerstörte Stadt des estnischen Malers Andres Tolts. Eine wahre Entdeckung ist der Moskauer Konzeptualist Viktor Pivovarov, der neben geometrischen Abstraktionen seine Kritik an der sowjetischen Ideologie in den 1970er Jahren vor allem in surrealistische Bildwelten verpackte. Ilja Kabakow, ebenfalls ein bekannter russischer Konzeptkünstler, ist mit kleinen Papierarbeiten zu sehen.

Interessant auch die künstlerische Spiegelung des Weltlaufs der Systeme im Weltall. Dem scheint man hier beiderseits des Eisernen Vorhangs zu huldigen. Jurij Korolevs Gemälde einer Gruppe von strahlenden sowjetischen Kosmonauten von 1982 [s. Foto unten] stehen Lowell Nesbitts fotorealistische Bilder vom Start einer US-Rakete und Landung einer Raumkapsel gegenüber. Auch Street Art von Keith Haring oder Jean-Michel Basquiat sowie explizit systemkritische politische Kunst von Arman Origorjan oder Dmitrij Prigov aus der Glasnostzeit der 1980er Jahre finden sich in der groß aufgestellten Schau.

*

Ausstellungen mit Werken aus der Sammlung Ludwig zu verschiedenen Kunstrichtungen innerhalb der USA oder der Sowjet-Kunst hat es schon öfter gegeben. Nun gelingt erstmals ein unmittelbarer Dialog der parallel vom Sammlerpaar erworbenen Bilder. The Cool and Cold stößt damit auch eine noch zu führende Diskussion an, ähnlich der im wiedervereinigten Deutschland zumeist recht scharf geführten Debatte über die Kunst der ehemaligen DDR im Vergleich zur Kunst der alten Bundesrepublik. Auch zwischen den großen Systemgegnern wäre da noch einiges aufzuarbeiten.



Jurij Korolev, Kosmonauten, 1982, Öl auf Leinwand, 195 x 315 cm, Foto (c) Carl Brunn, Courtesy: Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung


Stefan Bock - 30. Oktober 2021
ID 13256
HP zum Gropius Bau


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