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Kulturspaziergang

Als die Baukunst

blühen lernte –

Jugendstilbauten

in Brüssel



Frisch vom Gemüsestand in die Architektur | Foto (C) Christa Blenk


Verspielt, arabesk, anmutig und erfrischend anders präsentieren sich die Häuser der belgischen Architekten Victor Horta, Paul Hankar, Paul Cauchie und Ernest Blérot, die um 1900 in der belgischen Hauptstadt das Stadtbild zu prägen beginnen. Flora und Fauna, Gemüse und Natur inspirieren die Architektur. Knorriges, sich an der Hauswand hochrankendes Zweigwerk, Blätter oder elegantes Gemüse dienen als Vorlage für Hufeisenfenster oder tomatengrüne Kunstschmiedearbeiten an Balkonen. Schwungvolle Holzlinien ziehen über ockergelbe Wände aus Sandstein, unterbrochen von konkaven Einbuchtungen und polychromen Glasmosaiken. Diese lichtdurchflutende Verzierungswut setzt sich im Inneren der Häuser fort und will bis jetzt angesagte rigide Formen verbieten. Filigrane Lampen, schnörkelige Möbel, blühendes Geschirr, aber auch nutzlose Gegenstände folgen dieser neuen Mode, die herkömmliche und praktizierte Neo-Stile zu gestern werden lässt. Wohlgemerkt, es sind vor allem die schönen, reichen und aufgeklärten Bildungsbürger, die auf diesen gläsernen Zug springen, denn die Arbeiterschicht kann sich diesen Luxus natürlich nicht leisten. Und die Muse nimmt eine wichtige Position ein. Maler, Komponisten und Dichter können nicht mehr ohne. Emilie Flöge begleitet Klimt, Freud, Rilke und Nietzsche haben Lou Andreas Salomé und Alma Mahler inspiriert sowohl Kokoschka als auch Werfel.

Ein paar Jahre später wird diese Bewegung in einen geometrisch-minimalen Art-Déco Stil übergehen, aber Häuser im Art Nouveau Stil werden in Brüssel weiterhin gebaut.

Eine erbarmungslose Abrissserie, auch bedingt durch die Notwendigkeit von Bürogebäuden für die EU in den 1970er Jahren, hat zum Glück nicht alles hingerafft, und so findet man sogar im Europaviertel immer wieder ein Haus oder eine Hauszeile - eingequetscht zwischen monumentalen Beton- und Glasbauten - auf dem das Auge ruhen kann, bevor wir wieder mit den rasenden Boulevards wie der Rue de la Loi konfrontiert werden. Ansonsten kann man sich in den einschlägigen Brüsseler Gemeinden Saint Gilles, Ixelles, Schaerbeek, aber auch im Europaviertel (Etterbeck) und am Jubelpark ruhig treiben lassen und einfach nur der Schönheit nachgehen. Auf jeden Fall weg von der Grand Place, denn diese Preziosen sind über die Stadt verteilt. Gut zu Fuß muss man auch sein. In den letzten 20 Jahren sind einige von den Jugendstill-Villen auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste gelandet und konnten somit gerettet werden. Heute werden einige auch wieder restauriert, wie die Villa Eetvelde gleich bei mir um die Ecke.

Der bekannteste Architekt ist Victor Horta (1861-1947). Er kommt als sehr junger Mann aus Gent nach Brüssel, um Kunst zu studieren und wird schnell Karriere machen.

Das Hôtel Tassel ist Hortas erstes Wohnhaus. 1893 baut es der damals 32jährige für den Chemieprofessor Emile Tassel. Geschwungene Fassaden, große Fenster, buntes Glas und filigrane Eisenträger machen es zu Hortas Visitenkarte. Dieses Glanzstück des Jugendstils ist sein Durchbruch als Architekt. Seit dem Jahre 2000 gehört die Tassel Villa zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auch das Maison Autrique in Schaerbeek entsteht in dieser Zeit und wird als Meilenstein in der belgischen Architekturgeschichte angesehen. Das Musée Horta in Saint Gilles ist eines der bekanntesten Häuser und als Museum immer zu besichtigen (jedenfalls hoffen wir, dass das in der Post-Corona-Zeit wieder so sein wird). Es war Victor Hortas Atelier und Wohnhaus. Mit seinen ockerfarbenen Balkonen und Holztüren wirkt es von außen fast etwas schlicht und setzt sich nicht gleich von den schönen Häusern daneben ab. Horta baut es zwischen 1898 und 1901. Prachtvoll die Treppen, Lampen, Möbel und Mosaike in den inneren Bereichen.

Am Square Ambiorix/ Square Marie Louise - vom Place Schuman Richtung Schaerbeek - kann man dieses Bausünden-Phänomen am besten beobachten. Dort steht auch das elegante Hôtel Van Eetvelde. Horta baut es um die Jahrhundertwende für den Diplomaten und Generalsekretär im Kongo Edmond Van Eetvelde. Sehenswert hier sind die Eisenträger aus Flacheisen und der glasüberdachte Innenhof. Dieses UNESCO-Welterbe wird, wie gesagt, gerade restauriert. Nicht weit davon entfernt steht das virtuose Maison St. Cyr, das nur von außen zu betrachten ist.



Haus am Square Ambiorix (Detail) und knorriges Zweigwerk an einer Brüsseler Hauswand | Fotos (C) Jean-Noel Pettit


In der Nähe des Jubelparks befindet sich das bezaubernde Maison Cauchie. Mit seiner prächtigen Fassadenmalerei ist es eines der schönsten Häuser und kommt verspielt, lieblich-geometrisch daher. 1905 baut es Paul Cauchie für seine Frau und sich als "Aushängeschild", denn beide arbeiten als Maler und Dekorateure. Cauchie ist bekannt für seine Sgraffiti und wirkt bei vielen anderen Brüsseler Bauten dekorativ mit.

In Ixelles finden wir das Hôtel Hallet. 1904 nach Plänen von Horta erbaut, dient es Max Hallet als Wohnhaus und Kanzlei. Nicht weit weg, auf der Avenue Louise, steht das Hôtel Solvay. Zwischen 1895 und 1898 baut Horta ganz nach seinen Ideen dieses Haus für den Sohn des Unternehmers Ernest Solvay. Außen auch eher schlicht, erlebt man im Inneren eine filigrane rot-orange Licht-Explosion. Seit 2003 ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe.

Paul Hankar (1959-1901) ist Sohn eines Steinmetzes und lernt beim Studium Horta kennen. Er eröffnet 1893 ein Büro in Brüssel und baut kurz darauf sein Maison Hankar. Es wird, zusammen mit Hortas Tassel-Villa, als eines der ersten Jugendstilhäuser überhaupt angesehen. Hankar zeichnet auch für das Hôtel Ciamberlani in Ixelles. Unterschiedliche Materialien wie Back- und Naturstein sowie Metall verbindet er hier. Die Mutter des Malers Ciamberlani hat es in Auftrag gegeben. Paul Hankar war nach Horta der bedeutendste Jugendstil-Architekt. Hanka hat als Chefdesigner in Bilbao am bekannten Palacio de Chávarri gearbeitet. Sein Projekt Cité des Artistes (Stadt der Künstler) wurde zwar nie realisiert, hat aber später die Darmstädter Künstlerkolonie und die Wiener Secession beeinflusst. Hankars monumentale Steinbank wurde 1900 in der Abteilung Bergbau in der Pariser Weltausstellung gezeigt. Leider ist er mit nur 42 Jahre verstorben. Die meisten diese Bauwerke sind nach Vereinbarung zu besichtigen. Man sollte sich aber immer vorher erkundigen und nicht auf gut Glück dorthin pilgern.

Das beeindruckende Musikinstrumenten-Museum im ehemaligen Jugendstil-Kaufhaus Old England darf hier nicht fehlen. In diesem wunderbaren Art Nouveau-Gebäude kann man außerdem 1.200 Instrumente aus allen Epochen besichtigen und von der Licht durchfluteten Terrasse über ganz Brüssel blicken.



Square Marie Louise mit Kommissionsgebäuden (Berlaymont) im Hintergrund | Foto (C) Jean Noel Pettit


Belgien ist ein Comic-Land, und deshalb lohnt sich für den geneigten Comic-Leser unbedingt ein Besuch bei Tim und Struppi im Centre Belge de la Bande Dessinée. Horta baut das Gebäude auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1903. 1980 wird es vom belgischen Staat erworben und so gerade noch vor dem Abbruch gerettet.

Den Ersten Weltkrieg verbringt Horta in den USA, kehrt aber in den 1920er Jahren wieder nach Brüssel zurück. In dieser Zeit entsteht der Konzertsaal Henri Le Boeuf im Bozar. Heute ein wichtiges Kulturzentrum, das auch für Firmenfeiern oder Seminare gemietet werden kann. Im Konzertsaal gibt es Platz für 2.200 Personen. Die Akustik lässt allerdings ein wenig zu wünschen übrig. Sein Erfolg bringt ihm einen weiteren Auftrag ein - er erstellt den Pavillon d’Honneur für die Pariser Weltausstellung 1925.

Im Süden der Stadt befindet sich das Hôtel Hannon. Der bourgeoise Industrielle Edouard Hannon kauft das Grundstück an der Avenue Brugman 1902 und beauftragt den Architekten Jules Brunfaut mit dem Bau seiner prächtigen Jugendstil-Villa nach dem Modell Horta mit Fenstern im Tiffany-Stil. Brunfaut selber hat sich sonst nicht als Jugendstil-Architekt hervorgetan.

Genau in die andere Richtung, die Avenue de Tervuren stadtauswärts gehend, kommt man am Palais Stoclet vorbei. Hier arbeitet von 1905 bis 1911 einer der Mitbegründer der Wiener Secession, der Wiener Architekt Josef Hoffmann. Gustav Klimt unterstützt ihn bei der Gestaltung und malt das Stoclet-Fries im Speisesaal der Villa des wohlhabenden Adolphe Stoclet. Keine Kosten werden gescheut und norwegischer Turilimarmor und italienischer Paonazzomarmor verbaut. Der belgische Bildhauer George Minne und der Maler Fernand Khnopffs verewigen sich in Speise- und Musikzimmer. Das Palais Stoclet ist seit 2009 Weltkulturerbe, immer noch im Privatbesitz und kann leider nicht besichtigt werden. Unter dem grauen Brüsseler Himmel wirkt es heute etwas renovierungsbedürftig.

Christa Blenk - 17. März 2020
ID 12088
Unter Fin de Siécle könnte man die unterschiedlichen Jugendstile in Europa zusammenfassen, allerding präsentiert er sich in jedem Land mit einem anderen Gesicht. Aber überall war es ein Streben gegen die Nüchternheit der Industrialisierung. In Wien entsteht die Wiener Secession. Der  Modernismus in Katalonien bringt Gaudí-Bauten wie den Park Güell  hervor, die Bewegung Arts and Craft  in England macht das Kunsthandwerk wieder salonfähig, und in Frankreich ist außerhalb von Paris vor allem die Ecole de Nancy von Bedeutung, denn dort schließen sich 1901 die führenden Vertreter der französischen Art Nouveau-Bewegungen zusammen. Ihr Erkennungszeichen war das Ginkgo-Blatt. In den USA wirkte u.a. der Architekt Frank Lloyd Wright, und Louis Comfort Tiffany erfindet eine neue Glastechnik. In Italien nennt man den Stil Liberty. Der Jugendstil  in Deutschland ist aus lokalen Bewegungen über das Land verstreut entstanden. Der Name Jugendstil geht auf Georg Hirth zurück, der Ende 1895 in München die Kulturzeitschrift Jugend als Gegenbewegung des Historismus ins Leben ruft.

Weitere Infos siehe auch: https://www.explore.brussels


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