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Performative Installation in Frankfurt, Bockenheimer Depot

Heiner Goebbels - "Stifters Dinge"

Premiere: 28. Oktober 2007, Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde 10 Minuten


(c) Schauspiel Frankfurt 2007

Ein Dialog zwischen Bild, Licht und Musik

An der Bühnenkulisse wird noch gefeilt, als das Publikum die Tribüne im Bockenheimer Depot stürmt. Zwei Arbeiter im Blaumann rahmen drei Rechtecke am Boden mit schwarzen Leisten ein. Vielleicht sollen sie als Laufsteg dienen, vermutet eine ältere Dame aus dem Publikum.

Als plötzlich das Licht ausgeht und die dumpfen Klänge aus den Lautsprechern lauter werden, sind die beiden Männer immer noch beschäftigt. Sie lassen mit einem großen Sieb Sand in die drei Becken laufen und füllen sie danach mit Wasser. Mensch und Technik tauschen die Rollen, denn hier wird der Mensch augenscheinlich zum Handlanger der Technik, um sie für ihren großen Auftritt zu präparieren.

Stifters Dinge ist eine Hommage an die Dinge, die dem Theater täglich dienen und ohne die eine künstlerische Arbeit nicht möglich wäre. Sie sind die Protagonisten der Aufführung, wobei sowohl visuelle wie auch akustische Gegenstände ihren Grundcharakter zum Ausdruck bringen. Dabei ergänzen sie sich gegenseitig, mal auf humorvolle, mal auf dramatische Art und erzählen dem Publikum so viele kleine Anekdoten.

Tatsächlich gelingt es Klaus Grünberg, die Bühnenkulisse zum Leben zu erwecken. Der Bühnenbildner und Lichtdesigner taucht die drei rechteckigen Becken in der folgenden Stunde in ein atmosphärisches Farbenspiel ein. Mal stehen sie im Mittelpunkt und werden mit Rauch und Luftblasen zum Brodeln gebracht, mal spiegelt ihre Wasseroberfläche ruhig ein Naturgemälde, das auf Leinwände projiziert wird, die über den Becken nach und nach einschweben.
Die Gegenstände auf der Bühne sorgen jedoch nicht nur durch visuelle Wandlungen für einige Überraschungen. Spannend sind auch ihre Musikeinlagen. Zwei dicke Rohre an der Seite der Bühne stoßen kurze Basstöne aus, die denen eines abfahrenden Dampfers ähneln. Das Highlight der Bühnenkonstruktion bleibt jedoch zunächst im Hintergrund. Dort hat der Komponist Heiner Goebbels vier Klaviere und einen Flügel mit abenteuerlich aussehenden Balken versehen, an denen Hammer, Blech und Ratschen hängen. Sie gleiten ferngesteuert über die Saiten und erzeugen neben dem gewohnten Klavierklang Geräusche, die an das Präparierte Klavier von John Cage erinnern. Insgesamt bleibt die Musik jedoch, erfrischenderweise, im tonalen Raum. Der musikalische Höhepunkt ist erreicht, als sich der Tasten-Koloss in Bewegung setzt und sich direkt vor das Publikum schiebt. Ein gigantisches Meer aus Saiten, Klavierhämmern und Tasten bäumt sich auf, und kompromisslos bricht der volle Klang des Klavierorchesters über die Zuhörer herein.

Dennoch kommt Stifters Dinge nicht ganz ohne Menschen aus. Über die Lautsprecher mischen sich prominente Stimmen zu dem Geschehen auf der Bühne. So hört man zum Beispiel den Ausschnitt einer Rede von George W. Bush, was die Performance der Dinge doch politischer macht, als zunächst angenommen. Eine weitschweifende Passage aus Adalbert Stifters Die Mappe meines Urgroßvaters kann als poetischer Ausgleich betrachtet werden; die ausführlichen Naturbeschreibungen, begleitet vom warmen Licht, lassen die Hörer abtauchen in eine Welt des sorglosen literarischen Konsums.

Das Gefühl der Sorglosigkeit überwiegt auch am Ende. Die vielen verschiedenen Farben und Klänge hinterlassen eine positive Grundstimmung, in der man weder über den tieferen Sinn der politischen Einwürfe noch über die Quintessenz der gesamten Aufführung nachdenken möchte. Stifters Dinge ist vielleicht der Versuch, dem Publikum zu zeigen, dass die vom Menschen erschaffene technische und maschinelle Welt auch ohne ihn, oder gerade ohne ihn, sehr gut harmoniert. Und so ist es dann auch kein Problem mehr, am Ende statt wie normalerweise diversen Künstlern „nur“ fünf Klavieren zuzujubeln. Eine neue Erfahrung ist es allemal.

(c) Schauspiel Frankfurt 2007


Mirjam Eck, 16. November 2007
ID 00000003541
Frankfurt-Premiere: 28. Oktober 2007 im Bockenheimer Depot
Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde 10 Minuten

Bühne, Licht, Video: Klaus Grünberg
Mitarbeit, Musik, Programming: Hubert Machnik
Sounddesign: Willi Bop
Assistent: Matthias Mohr

Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielfrankfurt.de/spielplan/stueckinhalt.asp?InhaltID=5791





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