Visionäre
der Moderne
PAUL SCHEERBART, BRUNO TAUT, PAUL GOESCH
in der Berlinischen Galerie wiederentdeckt
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Paul Goesch, Selbstportrait, undatiert | Berlinische Galerie, Urheberrechte am Werk erloschen, Repro: Kai-Annett Becker
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Bewertung:
Mit der Kabinettausstellung Visionäre der Moderne erinnert die Berlinische Galerie derzeit an drei Künstler und Architekturvisionäre, die - außer dem relativ bekannten Architekten und Stadtplaner (z.B. Hufeisensiedlung Berlin-Britz) Bruno Taut (1880-1938) - bereits in Vergessenheit zu geraten schienen.
Vor allem der Schriftsteller, Erfinder und eigene Illustrator seiner fantastischen Romane Paul Scheerbart (1863-1915) vermochte es um 1913 mit seinen visionären Plänen einer transparenten Glasarchitektur, den jungen Architekten Bruno Taut zu inspirieren. Der Verfasser von utopischen Werken wie Die große Revolution (1902), Lesabéndio. Ein Asteroiden-Roman (1913) oder höchst humorvollen Gedichtbänden wie Katerpoesie war nicht nur leidenschaftlicher Trinker, sondern ebenso besessener Fleißarbeiter. Einige seiner Bücher sind hier in einer Vitrine ausgestellt, und die tollen Fantasiewesen aus der um 1902 entstandenen Grafikmappe Jenseitsgalerie hängen an der Wand.
Blieb Paul Scheerbart zwar zeitlebens eine größere Anerkennung verwehrt, so inspirierte er neben Taut auch den Publizisten und Berliner Flaneur Walter Benjamin sowie den Urvater des Absurden Theaters Alfred Jarry. „Immer bunter wird’s in Berlin. Bald wird man nicht mehr leben dürfen, ohne Farbe zu bekennen.“ schrieb Scheerbart schon 1892 in seiner Abhandlung über Berlins Archetektonische Plastik. In seinen Aufsätzen über die Glasarchitektur, die er Bruno Taut widmete, heißt es dann später: „Wollen wir unsre Kultur auf ein höheres Niveau bringen, so sind wir wohl oder übel gezwungen, unsre Architektur umzuwandeln.“
Das fiel bei Bruno Taut auf fruchtbaren Boden. Zur Internationalen Baufach-Ausstellung 1913 zu Fuße des Leipziger Völkerschlachtdenkmals wurden erste Pläne präsentiert. Das Monument des Eisens ist eine von Bruno Taut und Franz Hoffmann entworfene vierstufige, achteckige, 30 Meter hohe Pyramide aus Stahlprofilteilen und einer 9 Meter spannenden vergoldeten Zinkblechkuppel, deren kleines Metallmodell man hier bestaunen kann. Ein Jahr später entwarf Taut für die Kölner Werkbundausstellung den Glashaus-Pavillon der Deutschen Glasindustrie. „Das Licht will durch das ganze All / Und ist lebendig im Kristall“ dichtete ihm Paul Scheerbart dazu. Sein Schriftzug „Das bunte Glas zerstört den Hass“ ziert das Portal. Eine Utopie, die sich da noch nicht verwirklichen sollte.
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Paul Scheerbart, Jenseitsgalerie, 1907, Blatt 3 von 10 | Berlinischen Galerie, Urheberrechte am Werk erloschen, Repro: Kai-Annett Becker
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Bruno Taut, Glashaus auf der Werkbundausstellung auf Köln 1914, Ansicht von außen | Akademie der Künste, Berlin, Bruno-Taut-Sammlung, Fotograf unbekannt
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Paul Goesch, Ohne Titel (Bajadere mit rosa Rock), um 1920 | Berlinische Galerie, Urheberrechte am Werk erloschen, Repro: Kai-Annett Becker
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Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte Taut Pläne zur Verschmelzung von Natur und Architektur im Gebiet der Alpen vom Monte Rosa bis zur Oberitalienischen Ebene. Die Freude an der Schönheit erklärte Taut zum Mittel für die Völkerverständigung. Im Zusammenschluss mit Architekten wie Walter Gropius, Hans Scharoun und Wassili Luckardt (alles große Architekten der 1920er bis 30er Jahre und dann wieder der Nachkriegsmoderne in Berlin) sowie expressionistischen Künstlern wie Hermann Finsterlin, Wenzel Hablik und Paul Goesch entstand aus der Novembergruppe hervorgegangen ab 1919 die Gemeinschaft Die gläserne Kette. Ihr Wahlspruch war: „Nur die große Heiterkeit wird siegen.“ Bauen und Tanzen - die Musikinstrumente sind Stahl, Stahlbeton und Glas sowie eine utopisch anmutende Farbigkeit, wie sie vor allem das Werk des Architekten und Malers Paul Goesch (1885-1940) auszeichnet. Ihm und seinen Bildern wird hier ein breiter Raum gegeben.
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Die Ausstellung zeigt neben den Zeichnungen und Texten Paul Scheerbarts und Bruno Tauts sowie den erwähnten Mitgliedern der Gläsernen Kette etwa achtzig überwiegend noch unbekannte expressionistische Aquarelle von Paul Goesch aus der Sammlung der Berlinischen Galerie und der Sammlung Prinzhorn. Auch Goesch träumte als junger Architekt und Anthroposoph vom Einklang des Menschen mit der Natur. Nach Behandlungen wegen eines Nervenleidens musste Goesch in den 1920er Jahren den Beruf des Architekten aufgeben und widmete sich verstärkt dem Malen und Zeichnen. In seiner Malerei beschäftigt er sich neben farbigen Architekturvisionen mit Naturgottheiten und Motiven der christlichen Ikonografie. „Die betäubende Kraft der Kirche hat mich überwältigt.“ schrieb Goesch. Einige seiner farbenfrohen Jesus- und Mariendarstellungen sind hier zu sehen.
Die Erlösung hat Paul Goesch nicht finden können. Einem finsteren Kapitel Deutschlands, den Euthanasie-Morden der Nazis, fiel der Künstler im Jahr 1940 zum Opfer. Umso wichtiger und schöner, dass die Berlinische Galerie ihn mit dieser Ausstellung wiederentdeckt und ehrt.
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Stefan Bock - 28. April 2016 ID 9281
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinischegalerie.de
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