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Der Kampf um den Wiener Opernball

von Malte Olschewski



Eine Kutsche fährt an der hell erleuchteten Oper vor. Der Herr Direktor zügelt als Fiaker die feurigen Rappen. Dem Gefährt entsteigt die russische Diva Anna Netrebko. Pferde, Direktor und Diva wollen die Medien von =Mörtel= ablenken, der in Begleitung der Skandalnudel Paris Hilton alles Blitzlicht auf sich gezogen hat. Der Wiener Staatsoperndirektor Ioan Holender wird in diesem Jahr den Umtrieben des Baumeisters Richard Lugner alias =Mörtel= mit einer eigener Strategie begegnen. Lugner pflegt seit 1992 beim Wiener Opernball mit einem gut bezahlten =Stargast= über die Feststiege in seine Loge zu ziehen, wobei sich Fotografen regelmäßig um die besten Positionen prügeln und andere hohe Gäste vergessen.
Richard und Christine Lugner haben als Königspaar medialer Aufmerksamkeit den Opernball als Projektionsfläche entdeckt, um einmal mehr ins Zentrum der besonders bizzaren Wiener Schickeria zu gelangen. Schon in den Wochen vor dem Opernball sind die Zentralorgane der Selbstdarstellung wie die =Seitenblicke= im ORF und =High Society= in ATV mit der bangen Frage beschäftigt, wen die Lugners wohl diesmal gegen ein unbekanntes Honorar einladen werden. Für den 15.2.2007 hat der Ex-Baumeister mit der Hotelerbin und notorischen Skandaleuse Paris Hilton einen Vertrag abgeschlossen, der sie rund um den Ball ein umfangreiches Werbeprogramm absolvieren lässt. Richard Lugner, auch =Richie= genannt, versteht es, aus der Identität seines Gastes und aus der Bekanntgabe des Namens einen Spektakel zu machen. Das wird dann von Lugners Schildknappen am Boulevard mangels anderer Ideen zu einer Schicksalsfrage des ganzen Landes aufgebauscht. Durch das Rätselraten kommt Lugner öfter als sonst in die Medien, was Sinn und Zweck seines gesamten Daseins zu sein scheint. Er hat ununterbrochen neue Ideen, um sich ins Fernsehen zu drängen und um mit krächzender Stimme puren Schwachsinn zu äußern. ATV widmet ihm die Serie =Die Lugners=, die praktisch nur aus einem verlängerten Ehestreit zwischen =Mörtel= und Gattin Christine, auch =Mausi=, besteht. Da die Kameras beim Ball gern in Lugners Loge lugen, inszeniert er mit seinen Gästen jedes Mal eine Oper in der Oper. Nun zittern die Veranstalter davor, dass Paris Hilton auch in den heiligen Hallen hoher Kunst ihrem Hobby huldigen und unter anderem beweisen könnte, dass sie in jeder Lebens- oder Körperlage auf Unterwäsche verzichten kann.
Immer wieder kam es seit 1992 bei Walzerklängen zu medienpolitisch segensreichen Zwischenfällen. 1991 hatte =Mörtel= Gina Lollobrigida eingeladen, doch wurde der Ball wegen des Irak-Krieges abgesagt. 1992 entfleuchte Stargast Harry Belafonte wegens =Unwohlseins= sehr früh weiterer Verwertung. 1993 saß Joan Collins bei den Lugners. Das =Denver-Biest= trank nur Mineralwasser und litt an Angst, am Ball der Bälle vergiftet zu werden. 1994 schritt Ivana Trump, Ex-Gattin eines US-Immobilienmoguls, am Arm Lugners über die Feststiege. Hierbei kam es erstmals zu einer Rauferei unter Fotografen. Schon im folgenden Jahr stieg jemand so heftig auf Sophia Lorens Kleid, dass die alte Dame fast mit ihrem gesamten Volumen im Freien stand. 1996 wurde die Sängerin Grace Jones bei innigem Kontakt mit einem Nebendarsteller im Hintergrund der Loge ertappt. Der vertraglich gesicherte Walzer mit =Mörtel= wurde zu einem Horrordreh. Der Auftritt der britischen Skandalherzogin Sarah Ferguson verlief vergleichsweise unergiebig. Auch das ehemalige Sexsymbol Raquel Welch wurde 1998 eher vernachlässigt, da =Mörtel= zu dieser Zeit für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte. Faye Dunaways Auftritt wurde im Jahr danach von Dolly Buster überschattet, die am Arm eines Peepshow-Produzenten hing. Es folgte die unvermeidliche Nadja Abdel Farang, worauf Farah Fawcett für jeden Handgriff und für jedes Foto zusätzliche Honorare verlangte. Claudia Cardinale war 2002 von dem bizarren Treiben angewidert und flüchtete vor Mitternacht. 2003 wurde Pamela Anderson von Fotografen zu Boden gestoßen. Die Medienmeute durfte über die schwer wiegende Frage rätseln, ob sie wegen ihrer künstlicher Oberweite das Gleichgewicht verloren hat. Pamela hatten nach eigenen Angaben vorher den =vietnamese waltz= (vietnamesischen Walzer, richtig: =Viennese waltz=) gelernt. US-Schauspielerin Andie McDowell war 2004 schon vor Mitternacht weg, worauf sich Geri Halliwell 2005 am Klosett versteckte. Als Lugner 2006 mit Starlet Carmen Electra am Arm über die Feststiege einzog, kollidierte er in einem grossen Spektakel mit Bundespräsident Heinz Fischer.
Offenbar hat dieser Zwischenfall den Operndirektor zum Entwurf einer Gegenstrategie veranlasst. Da in Österreich auch die Kutsch- oder Fiakerfahrt staatlich geregelt ist, meldete sich die =Bundesstelle für Reiten und Fahren=. =Bundesfuhrreferent= Wolfgang Czar fuhr dem Staatsoperndirektor in die Zügel. Sooo....könne das nicht gehen. =Da kennat ajeda kumman,= heisst das auf Wienerisch. Hier müsse von Amts wegen eingeschritten werden. Für das Kutschieren von Pferden sei ein =Befähigungsnachweis= notwendig. Nur eine =solide Ausbildung= könne verhindern, dass die Pferde vor der hell erleuchteten Oper scheuen und samt Diva und Direktor durchgehen würden. Es meldete sich bald der Innungsmeister der Wiener Fiaker Andreas Czurda. Er teilte mit, dass er dem Operndirektor einen =erfahrenen Fiaker= an die Seite setzen wolle, womit die Vorfahrt und der Schachzug gegen Lugner nun doch gelingen könnten.

Die enorme Förderung der Oper durch Steuergelder und die exzessiven Gagen für Künstler sind in der Vergangenheit oft und zu Recht kritisiert worden. In diesem Jahr ist bei den Kämpfen um den Opernball auch eine versteckte Preiserhöhung der Logen ans Licht gekommen. Für den Ball stehen insgesamt 112 Logen zur Verfügung, von denen einige für die Regierung und andere Institutionen reserviert sind. Der Grossteil ist für 16 000 Euro im Stück zu mieten. Dabei entwickeln sich regelmäßig heftige Hahnenkämpfe, denn ein jeder Parvenü will eine Loge, wobei auch die feine Unterscheidung zwischen Paterre- und Bühnenlogen ins Spiel kommt. Ab 2002 hat sich das System der =Donatoren= entwickelt. Interessenten müssen als =Freunde der Oper= pro Jahr 36 800 Euro ablegen. Dafür bekommen sie ein Geschenkpaket, das verschiedene Vergünstigungen, darunter auch die einzig und allein wichtige Loge beim Ball, enthält. Es haben sich 2006 bereits fünfzig Donatoren eingestellt, denn wer diesen Titel hat, hat auch eine sichere Loge. Der gewöhnliche Applikant ist den Sympathien der =Ballmutter= Elisabeth Gürtler, Besitzerin des Hotels =Sacher=, ausgesetzt. Es musste daher auch =Richie= als =Donator= auftreten. Zusammen mit dem immer höheren Honorar für seine Gäste kommt ihm, da er als Baumeister nicht mehr tätig ist, der Opernball sehr teuer. Zum Entsetzen der Seitenblicke-Clique hat =Richie= sein künftiges Fernbleiben angedroht.
Die Medienmaschinen =Seitenblicke= und =High Society= werden trotz endlos wiederkehrender Themen unter Dampf gehalten. Es sind etwa hundert Personen, die hier in einem geschlossenen Universum zirkulieren. Wahrscheinlich halten sich diese Sendungen und Formate wegen der großen Anhängerschaft des österreichischen Nationalsports, des Neides. Die Gewinner zelebrieren ihren Sieg, während die Verlierer in hellen Scharen in die Röhre schauen und gelb im Gesicht werden. Man könnte durchaus eine Relation herstellen zwischen dem sozialen Abstieg von immer mehr Menschen und der Zahl jener Sendungen und Formate, die den sozialen Neid ansprechen. Die immer wieder kehrenden Protagonisten im Universum der =Seitenblicke= werden meist bei Einnahme teurer Speisen und Getränke beobachtet und dürfen dann ein paar Worte absondern. So dümmlich die Fragen auch sind, es will ihnen nur selten ein zusammenhängender Satz gelingen. Sie glucksen und stottern. Dann lachen sie und reißen dabei die Münder auf, sodass man ihre Gaumenzäpfchen baumeln sieht.
Der Opernball wird immer mehr ein Kampfplatz, an dem klassische Vertreter des kulturellen Establishments gegen Parvenüs antreten, die wie Lugner oft nur über Entblößung, Geschwätz und Eitelkeit emporgekommen sind. Es mehren sich die Gäste, die den Ball zu einer Bühne der Selbstverwirklichung oder zu schlichter Produktwerbung degradieren. Im Jahr 2000 geschah es sogar, dass ein als Hitler verkleideter Schauspieler über die Feststiege schreiten wollte. Für 2007 ist zu erwarten, dass es Wirbel um Prosecco-Dosen gibt. Der Hotelier Günther Aloys hat die alleinige Konzession für dieses Getränk erworben, das in Blechdosen abgefüllt wird. Da er auch Paris Hilton als Werbeträger unter Vertrag hat, wird eine Kollision zwischen Blech und Mörtel, zwischen Hotelier und Baumeister befürchtet.

In früheren Jahren war der Ball als ein Gipfel von =Reich und Schön= durch Demonstranten bedroht. =Opernballkawalle= wurden beinahe zu einer Institution wie der Ball selbst. In den letzten Jahren gab es kaum mehr Demonstrationen. Die Bedrohung von innen ist nun gefährlicher. Der ORF und der Bayerische Rundfunk berichten die ganze Nacht, sodass es viele Gelegenheiten geben wird, sich ins Bild zu drängen. Wie üblich werden Orden glitzern. Wie üblich werden Champagnergläser klingren. Und wie immer wird der Walzer regieren. Das Fernsehen wird lüstern in die Logen lugen und Namen nennen. Das unvermeidliche Moderatorenpaar Arabella Kiesbauer und Alfons Haider wird in qualvollen Interviews irgendwelchen Prominenten sinnvolle Sätze zu entlocken suchen. Kritik und Demonstrationen sind nicht mehr zu befürchten. Es ist ein Zug der Zeit, dass nur noch Jubel und große Bejahung herrschen. So hat sich eine Künstlergruppe angemeldet, die den Hinterteil der Paris Hilton in Gips gießen will. Fans und Freaks wollen sich vor dem Ball zu einer Autogrammstunde versammeln. Eine Sanges-runde wird versuchen, Paris Hilton möglicherweise vor der Oper ein Ständchen zu bringen. Die Skandalnudel hat nämlich um den Opernball herum Geburtstag. Am 17.2.1980 begann ein negativ exemplarisches Leben. Paris Hilton musste nur zur rechten Zeit, im richtigen Alter, an bestimmten Orten und vor einem ausgewählten Publikum diese oder jene Körperteile entblößen, um trotz junger Jahre in den Himmel der Medienaufmerksamkeit zu kommen.

Malte Olschewski - red / 29. Januar 2007
ID 2958


Siehe auch:
http://www.wiener-staatsoper.at/Content.Node2/home/opernball/192.php





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