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Dokumentarisches Theater

Der Rechtsstaat als Fiktion

Die Berliner ASYL-DIALOGE prangern die Willkür deutscher Asylbehörden an


Bewertung:    



Mit der Migration verhält es sich ein bisschen wie mit dem Islam. Die Frage, ob sie zu Deutschland gehört, ist obsolet. Beide (die in Teilen ja auch miteinander verknüpft sind) sind längst Bestandteile des Alltags, und zwar mittlerweile in allen Teilen Deutschlands. Migration ist überall. Flüchtlinge sind längst nicht mehr nur in Städten, sondern mittlerweile auch in kleinen, ländlichen Gemeinden anzutreffen. In Wohnvierteln, wo bisher nur Reiche wohnten, werden nun - unter großen Protesten - Asylantenwohnheime gebaut. Dennoch scheint diese Tatsache in den Köpfen vieler Deutscher noch nicht angekommen zu sein. Das Problem ist, dass sich die beiden Welten noch zu selten treffen. Denn Problembewusstsein wird oft erst durch die Begegnung mit Einzelschicksalen geschaffen. Zahlen lösen nur selten Emotionen aus, Gesichter dafür umso mehr. In den Berliner Asyl-Dialogen (aufgeführt im Heimathafen Neukölln) soll dieses Versäumnis nun nachgeholt werden. Das Ergebnis ist erstaunlich und absolut sehenswert.

* * *

Regisseur Michael Ruf hat seine Asyl-Dialoge äußerst simpel aufgebaut: Drei Schauspieler erzählen die wahren Geschichten von drei Flüchtlingen. Ausgewählt wurden diese drei Biographien aus fünfzig Interviews mit Geflohenen. Die Geschichten stehen nicht in einem luftleeren Raum. Sie sind eingebettet in Begegnungen mit drei Menschen ohne Fluchterfahrung. Deshalb heißt die neue Veranstaltungsreise auch Asyl-Dialoge (und nicht mehr Asyl-Monologe wie das vorige Projekt). Alle sechs Personen halten Monologe. Ab und an werden kleine Dialogsequenzen eingeflochten. Unterlegt werden die Erzählungen durch Klaviermusik und Percussion-Elemente.

Das Ergebnis ist alles andere als monoton. Zu bewegend ist das Gesprochene - auch auf der Seite der Menschen ohne Fluchterfahrung: Wir lernen drei Menschen kennen, die sich aus unterschiedlichen Gründen für Flüchtlinge engagieren und alle drei eine Revolution im Kleinen anzetteln: Eine ehemalige Übersetzerin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erzählt von der Willkür, mit der Asylentscheidungen gefällt würden. Von Flüchtlingen gemachte Angaben würden mitunter falsch übersetzt, und viele Entscheider seien von Vorurteilen behaftet. Als sie einen Vorgesetzten auf die Missstände aufmerksam macht, verliert sie ihren Job. Als Anwältin vertritt sie jetzt Geflüchtete.

Außerdem lernen wir eine in der DDR aufgewachsene Schauspielerin kennen, die von einem Aha-Erlebnis bei einer Reise nach Kambodscha berichtet. Es habe sie fassungslos gemacht, dass man den Massenmord an der Bevölkerung, dem circa zwei Millionen zum Opfer fielen, nicht mitbekommen habe. Dabei sei Kambodscha der DDR eigentlich sehr nahe gestanden. Sie hat Angst, dass es sich mit Migration ähnlich verhält. Mit dem Wegsehen müsse endlich Schluss sein, findet sie, und entschließt sich, sich ehrenamtlich bei einem Flüchtlingstreff zu engagieren. Es gelingt ihr, gegen die Abschiebung eine tschetschenischen Familie erfolgreich vorzugehen. Nicht weniger beeindruckend ist die Geschichte einer Menschenrechtsaktivistin, die in Osnabrück Blockaden gegen Abschiebungen organisiert. Mit ihrer Hilfe konnten in der letzten Zeit dreißig Abschiebungen verhindert werden. Osnabrück gilt mittlerweile als Vorbild einer erfolgreichen, von breiten Teilen der Gesellschaft unterstützen Anti-Abschiebungs-Politik. Die Namen der „Geretteten“ werden am Ende des Stücks von den Schauspielern aufgesagt.

Ergänzt wird die Darbietung durch ein anschließendes Publikumsgespräch mit zwei weiteren Aktivisten: Eine Vertreterin des in Bündnisses „Grenzen weg!“ berichtet von den Erfolgen eines in Berlin-Hellersdorf als Antwort auf rassistische Angriffe gegründeten Gegenbündnisses. Sie lädt das Publikum ein, sich zu engagieren. Außerdem ergreift Turgay Ulu, der Organisator des Aufstandes am Berliner Oranienplatz, das Wort. Obwohl er als regierungskritischer Journalist in der Türkei fünfzehn Jahre im Gefängnis saß, wurde ihm in Deutschland bislang der Flüchtlingsstatus verweigert, weil er als „Terrorist“ gelte. Diese Einstufung hätten die deutschen Behörden einfach von der Türkei übernommen. Das bezeichnet Turgay Ulu als „Folter“. Er hat einen Prozess angestrengt, der zur Zeit noch läuft. Das Publikum reagiert betroffen. Minuten vergehen, bis jemand in der anschließenden Fragerunde das Wort ergreift. Der Moderator sagt, er hoffe, dass es nicht bei Betroffenheit allein bleibe. Worte müssten Taten folgen. Wichtig sei ihnen, den Organisatoren, vor allem, einen Prozess des Nachdenkens anzuregen: Die Menschen sollten sich bewusst machen, dass auch in Deutschland nicht automatisch Rechtsschutz für alle gewährleistet sei. Kopfnicken im Publikum.



Die Asyl-Dialoge im Heimathafen Neukölln - Foto (C) Schokofeh Kamiz | Bildquelle: http://heimathafen-neukoelln.de

Lea Wagner - 15. März 2015
ID 8503
DIE ASYL-DIALOGE (Heimathafen Neukölln, 13.03.2015)
Buch und Regie: Michael Ruf
Regieassistenz: Leonie Jeismann und Lara Chahal
Musik: Michael Edwards & Jérémie Mortier
Mit: Asad Schwarz-Msesilamba, Martha Fessehatzion, Raschid Sidgi, Vanida Karun, Elisabeth Pleß, Meri Koivisto, Moses Leo und Toks Körner
Premiere war am 22. Januar 2015
Weiterer Termin: 15. 3. 2015

Weitere Infos siehe auch: http://heimathafen-neukoelln.de


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