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Eröffnung

La musique

c´est moi!


Pierre Boulez Saal, Berlin


Eröffnungskonzert im neuen Pierre Boulez Saal, Berlin | Foto (C) Steffen Kühn

Bewertung:    



Daniel Barenboim ist neben vielen anderen parallelen weltweiten Verpflichtungen seit 1992 Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden. 1999 gründete er das West Eastern Divan Orchestra. Zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said verfolgt er das Ziel, jüdische und palästinensische Musiker zusammen musizieren zu lassen und dadurch beispielhaft für das Zusammengehen der Bevölkerungen und die Religionen im Nahen Osten zu werben. Daraus entstand 2015 die Barenboim-Said Akademie, welche seit Herbst 2016 einen Bachelor-Studiengang in Musik und humanistischen Fächern anbietet. Direktor der Barenboim-Said Akademie ist Michael Naumann, früherer Kulturstaatsminister der Bundesrepublik Deutschland, Barenboim selbst deren Präsident.

Die Akademie ist im ehemaligen Intendanz- und Magazingebäude der Staatsoper Berlin untergekommen. Daniel Barenboim ist auch der Gründer vom Pierre Boulez Saal (ebenso im ehemaligen Intendanz- und Magazingebäude der Staatsoper), der am Wochenende eröffnet wurde; und natürlich dirigierte Barenboim, er saß auch zweimal am Klavier - einem Flügel, auf dem anstatt dem üblichen "Steinway&Sons" der Name "Barenboim" in goldenen Lettern glänzte. Sorry, aber das Gefühl, dass hier zu viel Barenboim im Spiel war, ließ einem nicht los. In Berlin scheint für Daniel Barenboim der Grundsatz zu gelten: La musique c´est moi!



Das Gebäude des Pierre Boulez Saales sowie der Barenboim-Said Akademie (hinter der Staatsoper Unter den Linden) | Foto (C) Volker Kreidler


Aber jetzt zum eigentlichem: zur Eröffnung eines modernen Konzertsaales mit ca. 650 Sitzplätzen mitten in Berlin. Wie die kürzlich eröffnete Elbphilharmonie in Hamburg ist der Pierre-Boulez-Saal das Produkt eines wirtschaftlich eigentlich schieflaufenden Projektes. In Hamburg entstand die Elbphilharmonie nach dem Platzen der Dotcom-Blase, als niemand mehr die 100 Tausenden Quadratmeter Bürofläche im „Media City Port - Hamburg“ benötigte und neue Nutzungskonzepte gebraucht wurden. Der Pierre-Boulez-Saal entstand im Zusammenhang mit der Sanierung der Staatsoper Berlin. Als die Kosten immer mehr aus dem Ruder liefen, musste man das Projekt verschlanken. Daniel Barenboim griff sofort zu, organisierte ca. 12 Millionen Spendengelder zu den ca. 20 Millionen Euro öffentlichen Mitteln. In beiden Fällen – Hamburg und Berlin eine überaus glückliche Fügung. Ein Muster für die Zukunft?

Architekt des Saales ist Frank Gehry. Weltweit bekannt geworden ist er durch das Guggenheim Museum in Bilbao und den dadurch ausgelösten Bilbao-Effekt. Durch ihn erhoffen sich Städte weltweit eine Steigerung der Attraktivität ihrer Metropolen und damit eine Steigerung der Wirtschaftskraft vor allem durch den Tourismus. Die sogenannte Iconic Architecture steht im Dienst des Stadtmarketings. In Berlin hat Frank Gehry bereits die DZ-Bank am Pariser Platz gebaut, außerdem plant er mit seinem Büro gerade ein Wohnhochhaus am Alexanderplatz. Frank Gehry hat seinen Entwurf für den Pierre Boulez Saal gestiftet, die persönlichen Beziehungen zwischen ihm und Daniel Barenboim waren da sicherlich sehr hilfreich.

Gehry musste mit seinem Entwurf sensibler vorgehen als in Bilbao. Die denkmalgeschützte Hülle war zu respektieren, die Aufteilung der Fassade nicht veränderbar.

Wie bei der DZ- Bank hatte Gehry einfach Außen und Innen voneinander getrennt. Am Pariser Platz erwartet einem im Inneren ein fast monströs anmutender, metallverkleideter Solitär. Im ehemaligen Intendanz- und Magazingebäude der Staatsoper hat Gehry mit kühnem Stift einen ellipsoiden Innenraum entworfen. Die Ränge bewegen sich auf und ab, scheinen sich vom historischen Bestandsgebäude gelöst zu haben. Diese formale Geste ist gelungen und schafft mit der eher nüchternen Materialwahl - es überwiegt helles Holz - einen sehr modernen Eindruck. Innovativ ist der funktionale Ansatz des Entwurfes: der Saal lässt sich verändern und als komplettes 360-Grad- Kontinuum, als Theater mit klassischer Bühnensituation, als Amphitheater und als Arena bespielen. Endlich ist er also da, ein Saal für experimentelle Ansätze unserer Zeit, ein Saal für zeitgenössische Musik!



Foyer vom Pierre Boulez Saal in Berlin | Foto (C) Volker Kreidler


Die Suche nach solchen Ansätzen geht fast 100 Jahre zurück. Erwin Piscator hatte Walter Gropius beauftragt, ein damals sogenanntes Totaltheater zu entwerfen. Man wollte die klassische Frontalsituation vermeiden, dadurch den Zuschauer mehr einbeziehen und gleichzeitig den Künstlern flexiblere Möglichkeiten bieten. Friedrich Kiesler, von dem gerade eine Ausstellung im Martin- Gropius-Bau zu sehen ist, hat ebenso an flexiblen Konzerträumen und Theatern geforscht.

Diesen neuen experimentellen Saal nach einem der innovativsten Komponisten des 20. Jahrhunderts zu nennen, ist eine wirklich geniale Idee!

* * *

Mit Initiale von Pierre Boulez startet das Programm. Die sieben Blechbläser sind auf dem Rang verteilt. Daniel Barenboim dirigiert ebenso von der Empore. Toll, wie selbstverständlich der Saal sowas zulässt. In einem Konzert- oder Opernhaus des 18. oder 19. Jahrhunderts wirkt es immer etwas manierlich, wenn plötzlich jemand aus dem Rang, aus der Loge musiziert. Der satte Klang der Blechbläser kann sich prächtig entfalten. Nach etwas historischer Musik von Schubert und Mozart beginnt der zweite Teil mit Alban Bergs Kammerkonzert für Klavier und Geige mit 13 Bläsern. Ein Stück mit Charakter und viel Substanz, v.a. die Aktionen der Blechbläser bringen die Luft zum Surren. Ganz leise dann der Start des dritten Teiles. Jörg Widmann spielt seine eigene Komposition Fantasie für Klarinette aus dem Jahr 1993, da war er gerade mal 20 Jahre alt! Das Stück und Widmanns heutige Interpretation generieren ein Kaleidoskop an Farben und Stimmungen, auch jazzige Elemente; der anwesende Till Brönner wird sich gefreut haben. Höhepunkt des Programms ist sur Incises von Pierre Boulez. Drei Konzertflügel, drei Konzertharfen und dreimal Schlagzeugequipment – schon der Anblick des Settings ist eine Wucht! Daniel Barenboim schafft es, die hochkomplexen Aktionen, der z.T. solistisch agierenden neun Musiker kongenial zu einem Bild zu formen. Schroffe Kaskaden steigen aus den Flügeln auf, flimmernd schwirren die Vibraphone. Die Harfen akzentuieren diese Flächen hochrhythmischer Musik. Das Spektrale und Flimmernde lässt einen an Xenakis denken, den komponieren Architekten; auch ihm würde der neue Saal gefallen.



Pierre Boulez Saal (Innenansicht) | Foto (C) Volker Kreidler


Ein toller Saal, ein gelungenes Programm und sehr zufriedene Zuhörer. La musique c´est moi – das Konzept geht auf, Berlin kann sich freuen!


Steffen Kühn - 6. März 2017
ID 9887
ERÖFFNUNGSKONZERT PIERRE BOULEZ SAAL IN BERLIN (05.03.2017)
Pierre Boulez: Initiale
Franz Schubert: Der Hirt auf dem Felsen D 965
Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierquartett Es-Dur KV 493
Alban Berg: Kammerkonzert für Klavier und Geige mit 13 Bläsern
Jörg Widmann: Fantasie für Klarinette solo
Pierre Boulez: sur Incises
Karim Said, Klavier
Daniel Barenboim, Klavier
Anna Prohaska, Sopran
Jörg Widmann, Klarinette
Michael Barenboim, Violine
Boulez Ensemble
Dirigent: Daniel Barenboim
Wiederholung des Eröffnungskonzerts vom 4. März 2017


Weitere Infos siehe auch: http://boulezsaal.de


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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