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Portrait

RÓŽA

DOMAŠCYNA


Neue Gedichte


Foto (C) Andre Sokolowski


"Róža Domašcyna ist eine Bewohnerin des poetischen Zwischenraums der Zweisprachigkeit und gehört zu den wichtigsten Stimmen der deutsch-sorbischen Dichtung. In ihrer Lyrik erweist sie sich als Wortschöpferin und Sprachspielerin, die uns in assoziative Wortwelten führt. Aber vor allem ist sie eine radikale poetische Mahnerin. Das Thema der Natur- und Kulturzerstörung, nicht zuletzt durch das großflächige Abräumen von Braunkohle in ihrer Heimat, der Oberlausitz, ist in ihren Texten gegenwärtig. Die untergegangenen Dörfer kehren in ihre Dichtung zurück:

das land das vater und mutter trug
umgegraben gänzlich der begriff
zuhause zur floskel geworden

Róža Domašcyna, geboren 1951 in Zerna bei Kamenz (Oberlausitz), lebt heute in Bautzen. Sie schreibt Lyrik, Dramatik, Essays und Kurzprosa und ist Herausgeberin und Übersetzerin. Von 1968 bis 1989 Veröffentlichung einzelner Texte in sorbischer Sprache in Zeitschriften und Anthologien, erster Lyrikband Wróćo ja doprědka du in sorbischer Sprache 1990, erster Lyrikband in deutscher Sprache Zaungucker 1991. Ausgezeichnet wurde sie unter anderem mit Förderpreisen zum Mörike-Preis und zum Ćišinski-Preis sowie mit dem Anna-Seghers-Preis."

(Quelle: poetenladen - der verlag)



Die Lyrikerin Róža Domašcyna und ihr Kollege Jan Kuhlbrodt bei einer Vorstellung ihres neues Buches im Berliner Haus der Poesie am 30. November 2016 | Foto (C) Andre Sokolowski


*

Wir hatten uns sehr lange nicht gesehen, fünfzehn, zwanzig Jahre? Keine Ahnung.

Rosa war die erste meiner zukünftigen Mitstudentinnen und Mitstudenten, die ich damals auf dem Marktplatz oder einer anderen Weggabelung in Leipzig traf, wir suchten seiner Zeit den kleinen Villenbau in der Karl-Tauchnitz-Straße, wo das Becher-Institut verborgen war; es galt als kleinste Hochschule der Welt, ja und wir registrierten schon, obgleich dann unser Studium noch nicht angefangen hatte, dieses unglaubliche Privileg, die kommenden drei Jahre dort zu sein. Nicht mehr als grade mal ein reiches Dutzend schreibbegabter Leute war da je drei Jahre lang versammelt, um sich mittels "Anleitungen" von genauso vielen Dichtern und Dozenten (nicht nur schreiberisch) zu bilden, zu vervollkommnen und später zu behaupten.

Nicht nur weil sie über die drei Jahre lang links neben mir gesessen hatte und wir daher Banknachbarn gewesen waren - so was impliziert natürlich auch sehr leise und mitunter insgeheime Zu- und Einflüsterungen während der vielen Seminare - , kriegte ich ein fühlendes Gespür für das, was ausgerechnet sie, eine zu dieser Zeit schon ausgewiesene und publiziert habende Dichterin sorbischer sowie deutscher Sprache, ganz in ihrem tiefsten Inneren bewegte und beflügelte; und jedes Mal sobald sie Texte von sich las und/oder über sie zu sprechen sich bereit erklärte, sah ich endlos schöne wie genauso endlos trostlose, geschund'ne Landschaften, die ihre Worte formten, sie begutachteten und beackerten; es war und ist und bleibt ihr großer Hymnus auf die Erde und den Menschenfußabdruck auf ihr, Natur & Seele sozusagen.

* *

Die dörfer unter wasser sind in deinem kopf beredt ist Titel ihres neuen Buches; an die 90 Gedichte birgt es. Nachts hielt ich es in den Händen und durchkämmte es für mich, ich wählte so das Eine um das Andere, ich wollte "auf die Schnelle" nach den Texten suchen, die mich ganz abrupt ansprangen, deren Form & Inhalt mich "sofort" interessierten; und ich wurde fündig:

Der wasserwolf (ziemlich am Anfang ihres Bandes) ist der Macho Hecht. Für Rosa ist dann dieser schöne, schonungslose Kerl der Inbegriff des Männlichen an sich. Er fischt in seinem angestammten Süßwasserrevier und geht - das mag den ewig kriegslüsternen Männern so zueigen sein - weit über seine angestammten Grenzen weg, er steigert sich zum kriegerischen Weltführer, nimmt keine Rücksichten, auf Schwächere als ihn dann sowieso nicht, er gilt halt dann als der Stärkere von allen; schlussendlicher Weise leuchtet er, ein Mörder aus Instinkt, durchs klare Nass - der Mann mit Goldhelm...

Es gibt unzählige Liebesschwüre und -beweise, was das innige Verhältnis Rosas zu ihrer geliebten Großmutter betrifft. Sie muss wohl eine "echte" Märchenerzählerin gewesen sein, aus deren unzähligen wunderlichen Schatzvorräten sich die Dichterin bedienen durfte und bediente. Das Gedicht Aus hunger huldigt dieser großartigen Ahnin, und ein in ihm auftauchendes "hungerblümchen" wird zum Braut- und Grabesstrauß...

Die schönsten weil auch anrührendsten, nachvollziehbarsten Gedichte handeln von den nächsten Menschen aus dem Binnenkosmos ihrer Schreiberin. Ihr Sieh genauer hin spielt dann bereits auf einer etwas weiter fortgeschritt'nen Stufe oder auch Station, wo sie dann alle quasi nicht mehr leiblich da sind; "tritt sacht auf / der friedhof ist neu gepflastert"...

Meine Lieblingsgedichte sind Schön zu sehen, Wintervorbereitung, Die messlatte, Vom tragen, Fester trost. Rosa begleitet und betrachtet hiebei ihre Mutter kurz vor ihrem Tod...

Am Walpurgisfeuer wird der Winter endgültig dann ausgetrieben, keine Kälte, kein Nichtwärmen, keine Unlust, keine Liebelosigkeiten mehr. Das pralle Leben lockt. Es zieht und zieht uns an...

* *

Wenn ich mitunter zum Theater Cottbus fahre, fliegen beim Hinausschau'n aus dem Zugfenster Orte und Zeiten unverhältnismäßig schnell vorbei. Es ist der brandenburgische Anteil der Lausitz, der mir derart und wie im Vorübergehen so entwischt. Und jedesmal, wenn ich dieses vergängliche Erleben in mir wahrnehme, muss ich an jenen sächsischen Anteil der Lausitz (den ich so noch nicht persönlich kenne) denken. Und - auch jedesmal - an Rosa.

Ja, an dich.




Andre Sokolowski - 20. Dezember 2016
ID 9760
Róža Domašcyna | Die dörfer unter wasser sind in deinem kopf beredt
Gedichte

Hardcover, 128 S.
EUR 18,80
poetenladen Verlag, Hernst 2016
ISBN 978-3-940691-82-8


Zum Buch: http://www.poetenladen.de/bookshop/reihe-neue-lyrik/86-domascyna-9783940691828.html


Post an Andre Sokolowski

http://www.andre-sokolowski.de



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