Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 2

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Lesung


Auf dem Weg zum Kanzler

Ulrich Woelk liest im Berliner Brecht-Haus von der Liebe und dem Wunsch eines Kontrollierten nach Kontrollverlust


Ulrich Woelk bei seiner Buchlesung im Berliner Brecht-Haus - Foto (C) Jamal Tuschick



Man setzt sich ein Ziel, der Weg zum Ziel verlangt Kontrolle, Organisation und Disziplin. Außerdem verlangt er Ignoranz. Die Differenz zwischen Denken und Sein muss falsch bestimmt werden: als unerhebliche Größe. Sie bringt sich dann selbst zur Geltung und man erlebt sich auf dem Weg in eine Hölle. Das steckt als Dilemma der Gattung in Mythen, Sagen und Märchen. Es bietet sich an zur wiederholenden Gestaltung: wie in Homo Faber. Ins Verderben stürzen Berechnungen den Mann, der sein Leben für eine Rechenaufgabe hält. Ulrich Woelk bekannte sich zu Max Frisch, er debütierte mit einem Vatermord. In seinem jüngsten Roman Was Liebe ist erscheint wieder ein Homo Faber auf der Bildfläche. Der Jurist und Unternehmer Roland Ziegler ist auf dem Weg zum Bundeskanzler, da wird ihm übel. Er deutet die Symptome als „Aura eines epileptischen Anfalls“. Es wäre der erste nach einem Jahrzehnt der „Anfallsfreiheit“.

Berlin im Oktober 1999, die Stadt dampft „in spätherbstlicher Schwüle“. Roland sucht Schutz in einem Café „mit federndem Boden“. Eine Frau möchte behilflich sein. Von dem Schriftzug auf ihrer Brust sieht Roland zunächst nur die Buchstaben „IGHT“. Der Jurist schließt auf „RIGHT“, doch lautet die Ansage „FIGHT“. Die Fee heißt Zoe und bietet Roland sogleich Ingwertee gegen seine Übelkeit in ihrer Wohnung an. Die Wohnung liegt drei Stockwerke über dem Café, „in ihrem Zentrum steht ein Flügel. Überall herrscht eine moderate Unordnung.“

Roland gibt den Mann am Klavier. Auch Woelk kann spielen. „Ich habe zwar keine akademische Ausbildung als Musiker“, erklärte Woelk im Brechthaus, „aber ich hatte den bürgerlichen Klavierunterricht ganz klassisch – und das Glück, Spaß daran zu haben.“

Von den Noten habe er sich „schnell emanzipiert“. Der Autor bestimmt ausholend die biografische Nähe zum Text, sein „Erlebnisfundus“ bewahre die Erinnerung „an einen epileptischen Mitschüler, dessen Absence vom Lehrer als Renitenz gedeutet wurde“.

Ich male „Absence“ und „Renitenz“ in meinen Spiralblock, als ginge ich immer noch Wörter sammelnd zur Schule. Als Kind hatte Roland den Wunsch, „sich mit einer Wolke zuzudecken“. Nun sieht er Zoe rauchen, Unbehagen diktiert ihm „eine Mischung aus Eigenliebe und Selbstzerstörung“.

Sein „Aktentaschenimage“ und die „gefährdete neurologische Balance“ ziehen Zoe an. Sie ist Sängerin und lebt mit ihrem Mentor Pit zusammen. Pit könnte Zoes Vater sein, Max Frisch grüßt mit dem Zaunpfahl, der greise Liebhaber streitet eifersüchtig mit seiner Begabten im Foyer der Schaubühne. „Es gibt keine Konvention, auf das Private in der Öffentlichkeit zu reagieren.“

An der Schaubühne gegeben wird Hamlet, die Aufführung ist verbürgt. Berliner erinnern sich, Peter Zadek inszenierte, auf der Bühne standen Ulrich Wildgruber, Eva Mattes, Hermann Lause, Otto Sander und Angela Winkler.

In Woelks Roman ist der Theaterabend lediglich Etappe auf einer Liebesstrecke. Das Charlottenburger „A-Trane“, ein Jazzclub in der Bleibtreustraße, bietet der nächsten Offenbarung einen verrauchten Schauplatz. Zoe „macht einen Song hörbar“. Sie klopft mit „You don’t know, what love is“ auf den Busch. Roland ist längst „süchtig nach ihrem Gehabe“. Der hyperkontrollierte Epileptiker, der sich mit Strenge stabil hält, sehnt sich nach Kontrollverlust.

Woelk erzählt im Brechthaus noch einmal umgangssprachlich, was schon geschrieben steht in Was Liebe ist. Er behauptet, in der fortschreitenden Zivilisation habe der Mensch viele Großthemen aufgegeben, der Autor nennt „Mut“ zum Beispiel, doch die Liebe nicht „als große Sehnsucht am abendländischen Horizont“. Dazu äußert sich auch Rolands Tante Lisa: „Wenn du möchtest, dass die Liebe einfach ist, dann kauf dir einen Hund“.

Vielleicht fragen Sie sich, was Roland mit Schröder im Kanzleramt besprechen wollte. Es ging um Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter in den Ziegler Werken während des Zweiten Weltkriegs. Woelk knüpft auch daran eine tragische Liebesgeschichte.
Jamal Tuschick - 4. September 2013
ID 00000007115
Ulrich Woelk - Was Liebe ist
300 S., br., 14,90 €
Deutscher Taschenbuchverlag, 2013
ISBN 978-3-423-24949-2


Weitere Infos siehe auch: http://www.dtv.de/buecher/was_liebe_ist_24949.html


Post an Jamal Tuschick

Zu den anderen AUTORENLESUNGEN




  Anzeige:


LITERATUR Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUTORENLESUNGEN

BUCHKRITIKEN

DEBATTEN

ETYMOLOGISCHES
von Professor Gutknecht

INTERVIEWS

KURZGESCHICHTEN-
WETTBEWERB
[Archiv]

LESEN IM URLAUB

PORTRÄTS
Autoren, Bibliotheken, Verlage

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal





Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)