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Lesung


Mit Blut gemalte Blumenbilder

Ulrich Tukur auf der Höhe seiner Unterhaltungskunst im Berliner Ensemble


Das ist Ulrich Tukur bei seiner Lesung im BE - Foto (C) Jamal Tuschick



In ihrer Vorrede erinnert Tukurs Verlegerin an M. C. Escher. Dessen perspektivische Unmöglichkeiten waren einmal genauso populär wie Dalis laufender Uhrenkäse. Die Sujets spielten mit einer romantischen Idee: Dass die Welt einen Zauber verbirgt, der sich aus der Kunst schält. Das Bild als Tor zu einer anderen Wirklichkeit, so sah das lange nach Novalis und William Blake auch der schlichte Liebhaber des Surrealismus in den Siebzigerjahren. Hinter allen möglichen „Pforten der Wahrnehmung“ halluzinierte er eine Alice im Wunderland. Ulrich Tukur häkelt aus diesem Garn dem magischen Realismus ein weiteres Deckchen. Er schwelgt im vergangenheitssüchtigen Detail. Seine Novelle Die Spieluhr weicht ab von realen Ereignissen bei Dreharbeiten in Frankreich. Tukur spielte 2008 in Séraphine den Kunsthändler Wilhelm Uhde (1874 – 1942), „eine Figur zwischen Jugendstil und Expressionismus“. „Homosexuell, Halbjude, hochgebildet.“ Im Berliner Ensemble lässt Ulrich Tukur Uhde auferstehen. Er holt nach allen Seiten aus. Er drückt auf sämtliche Tuben seiner Begabungen. Gelegentlich springt er zum Klavier, mit wehenden Schößen.

Das wilhelminische Deutschland sei „dem hochsensitiven Uhde“ zu eng gewesen, der Enge entging er nach Paris. Da entdeckte er Picasso und Braque und den „Zöllner Rousseau“. Paris entging er in die Picardie. Das war die Landschaft des Impressionismus. „Eines Tages bemerkte Uhde, dass seine Putzfrau malt.“

Die Putzfrau hieß Séraphine Louis (Séraphine de Senlis), ihren Zeitgenossen kam sie sonderbar entgegen. So sonderbar wie Gauguin und van Gogh. Sonderbar zu sein war womöglich Künstlermode zu Séraphines Zeiten. Uhdes Haushaltsperle sprach mit Bäumen und malte in Trance Blumenbilder mit Blut. Sie wurde des Wahnsinns Beute und verscharrt in einem Massengrab. Ein Künstlerschicksal bis zur bitteren Neige im Dekor der Epoche.

Der Spieluhr-Erzähler bleibt zwar namenlos, doch gibt er sich zu erkennen als Schauspieler, der nach Senlis gekommen ist, um in einem Film über Séraphine den weitsichtigen Kunsthändler Wilhelm Uhde zu spielen. Nach Drehschluss steigt er in den Prunkbau der Gegend ein, er folgt einem Geräusch auf einer Leuchtspur und gelangt endlich in eine Bibliothek von sagenhaften Ausmaßen. Ein Reich der Renaissance im Stil des Rokoko. Zerbrochen das Reich und überzogen von Spinnweben. Belebt von „einem kleinen Mädchen aus dem 18. Jahrhundert“, das fernsieht und dabei dem Beobachter so erscheint als schaute es „durch ein Zeitfenster in die Gegenwart“.

Die Episode hat ihr Gegenstück in der Wirklichkeit. Tukur zeichnet die Arabeske nach einem Erlebnis im Chateau Montgeroult. Da fand man dann auch einen Raum, in dem Séraphine glaubwürdig erscheint. In der Novelle gelangt der Regieassistent Jean-Luc aus Versehen an den idealen Ort. Er entdeckt ihn außerhalb der Zeit. Später wird sich Jean-Luc in einen Baum hängen. Der Uhde-Darsteller erreicht das Schloss in einer Nacht ohne Mond und Sterne auf dem wundersamen Weg der Imagination. Er kommt aus dem Winter von Paris und landet im phantasmagorischen Sommer von Senlis. Ein bärtiger Greis „leuchtet“ ihm „mit der Stalllaterne“ heim – der 13. Marquis von Montrague spielt Gastgeber. Er kann sich wohl darauf besinnen, dass Séraphine zwischen allen Schlosswänden ihr Wesen trieb. In Habitat des Marquis leben die Gemälde und Gobelins. Auch Präparate, die als Jagdtrophäen lange Ruhe bewahrten, fangen plötzlich an zu kreischen. „Obwohl Tag (...) ist, herrscht Nacht.“ Der Marquis stellt fest: „Sie können heute nicht mehr weg in ihre Welt.“

Der Zweite Weltkrieg trifft in den Knobelbechern der Wehrmacht ein, ein General scheitert am Selbstmord, gleich nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, und das erzählende Ich fühlt sich nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich „deplatziert“.


Jamal Tuschick - 16. Oktober 2013
ID 7267
Ulrich Tukur, Die Spieluhr
160 Seiten, Leinenband
€ 18,00 [D], € 18,50 [A], sFr 24,90
Ullstein Verlag
ISBN 9783550080302


Weitere Infos siehe auch: http://www.ullsteinbuchverlage.de/


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