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Portrait | Buchkritik

ANGELIKA

SCHROBSDORFF


Ein rastloses Leben - zwischen Jerusalem, Paris, München und Berlin



Der in Berlin lozierte, ambitionierte be.bra-Verlag hat ein beeindruckendes und hervorragend durchgestaltetes Buch in sein jüngstes Programm aufgenommen, von dessen Cover dem Lesepublikum eine bildschöne Frau mit einem angedeuteten Lächeln entgegenblickt. Der Werkstitel: Angelika Schrobsdorff – Leben ohne Heimat.

Die Texte stammen von Beatrix Brockmann, die seit 2002 in den USA lebt und dort als Associate Professor im Department of Languages and Literature an der Austin Peay State University in Clarksville (Tennessee) arbeitet. Im Abschnitt In eigener Sache bilanziert die Verfasserin:


»Ihre Lebensstationen hat Angelika Schrobsdorff in einer großen Zahl von Büchern verarbeitet. Mal hat sie in Form von Fiktion über sie geschrieben, mal in biografischer, mal in autobiografischer Form. Aus der Forschung zur Autobiografie ist bekannt, dass es einem schreibenden Menschen nicht möglich ist, alle Fakten seines Lebens wahrheitsgetreu wiederzugeben, es sei denn er/sie hätte ein fotografisches Gedächtnis. Ich habe die Informationen, die in diesem Buch verarbeitet wurden, so genau wie möglich zusammengetragen und interpretiert und gehe von der mehrfach in Interviews und Artikeln angesprochenen Authentizität der Bücher von Angelika Schrobsdorff aus.«


Eingestreut in Brockmanns feinfühlige Beobachtungen sind neben etlichen Briefen aus dem Nachlass der Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff und deren letzten sehr persönlichen Aufzeichnungen aus Berlin von 2006–2010 zahlreiche Schwarzweiß-Fotografien. Sofern diese nicht dem Privatbesitz der charismatischen und streitbaren Schriftstellerin entnommen sind, die in den 1960er und 1970er Jahren mit ihren Romanen ein Millionenpublikum erreichte, stammen sie von der in Hagen/Westfalen geborenen, seit 1978 in Berlin arbeitenden Fotografin, Autorin und Malerin Rengha Rodewill, die über die Literatin, einmal sagte: „Sie hat mich immer fasziniert, weil sie eine starke Frau ist, eine kosmopolitische Frau. Sie hat sich in der Welt bewegt.“

Im vorliegenden Band wird in aufrüttelnder Weise vermittelt, dass Angelika Schrobsdorff ein bewegtes, wenn nicht ruheloses Leben geführt hat.


*


Im Jahre 1927 wurde sie als Tochter des aus wohlhabender christlicher Familie stammenden Berliner Bauunternehmers Erich Schrobsdorff und Else Kirschner, einer assimilierten Jüdin aus dem Charlottenburger Großbürgertum, in Freiburg im Breisgau geboren. Schon als Kind war sie aus politischen Gründen gezwungen, 1939 mit Mutter und Halbschwester Bettina aus Berlin nach Sofia zu emigrieren. Literarisch wurde dies u.a. aufgearbeitet in den Romanen Die Reise nach Sofia (mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir, 1983) und Grandhotel Bulgaria: Heimkehr in die Vergangenheit (1997).

Schrobsdorffs Großeltern wurden in Theresienstadt ermordet. 1947 kehrte sie aus Bulgarien nach Deutschland zurück. Ihr erstes Werk, Die Herren, sorgte 1961 wegen seiner freizügigen sexuellen Darstellungen für erheblichen Aufruhr. Es folgten die Romane Der Geliebte (1964), Spuren (1968), Die kurze Stunde zwischen Tag und Nacht (1978), Das Haus im Niemandsland oder Jerusalem war immer eine schwere Adresse (1989). 1992 erschien als ihr erfolgreichstes Buch der 500.000mal verkaufte Bestseller Du bist nicht so wie andre Mütter: die Geschichte einer leidenschaftlichen Frau, der mit Katja Riemann in der Hauptrolle verfilmt wurde. Es folgten die Bände Der schöne Mann und andere Erzählungen (1993), Jericho: Eine Liebesgeschichte (1995), Von der Erinnerung geweckt (1999) und Wenn ich dich je vergesse, oh Jerusalem (2002).

1971 heiratete Angelika Schrobsdorff in Jerusalem den Filmemacher Claude Lanzmann, wohnte danach in Paris und München, bevor sie 1983 beschloss, nach Israel auszuwandern:


»1983 verließ ich Paris, wie ich München verlassen hatte – ohne Bedauern, ohne Zweifel, das Richtige zu tun. Europa das einstmals an Geist und Kultur, jetzt an Geld und Gütern reiche Abendland, diese schöne, satte, selbstgefällige ›erste‹ Welt, war mir entfremdet. Ich zog in meine Heimat Jerusalem.«


Als Herausgeberin betätigte sich Schrobsdorff für das Werk Der Vogel hat keine Flügel mehr: Briefe meines Bruders Peter Schwiefert an unsere Mutter (2012) – das sie und Claude Lanzmann mit Kommentaren versahen. 2006 zog sie, verbittert über die politische Lage in Israel, nach Berlin zurück, was sie 2008 mit den Worten kommentierte:


"Als ich nach Berlin zurückkam und durch die Stadt fuhr, hat mich überrascht, wie die deutsche Sprache mit Anglizismen verhunzt wird. Warum machen die das? Coffee to go! Zeitung to go! Shoppen ohne zu stoppen! So ein Quatsch! Wollen die, dass wir alle verblöden?"


2007 wurde die Schriftstellerin vom Deutschen Staatsbürgerinnen-Verband als "Frau des Jahres" ausgezeichnet. Die Jurybegründung lautete:


»Wir ehren Frau Angelika Schrobsdorff für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk, in dem sie den Zeitgeist verschiedener Abschnitte der jüngeren Geschichte lebensnah gradlinig darstellt und uns damit und besonders mit ihrem Buch Du bist nicht so wie andre Mütter zeitgeschichtliche Dokumentationen und eine tiefgreifende, berührende Beschreibung ihrer Familiengeschichte und ihres persönlichen Lebensweges präsentiert.«


Ihr eigenes Lebensfazit klang dagegen 2008 äußerst pessimistisch:


"Das Leben – man wird durch dieses Leben geschleudert und gezogen, es wird einem dies und das angetan, und irgendwie würgt man sich durch. Nein, ich halte nichts von diesem Leben."


Angelika Schrobsdorff, die ruhelose Wanderin zwischen Ländern und Menschen, die nicht einmal in ihrem geliebten Jerusalem dauerhaft inneren Frieden finden konnte, verbrachte die letzten Jahre bis zum 30. Juli 2016 (wieder) in der deutschen Hauptstadt, nicht, wie sie schon 2007 in einem Interview mit der Berliner Zeitung gesagt hatte, "um in Berlin ein neues Leben anzufangen, sondern ein altes Leben zu beenden."

Am 8. August 2016 wurde die Schriftstellerin auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee beerdigt.



*


Es ist den Verfasserinnen und dem Verlag hoch anzurechnen, dieses ergreifende Dokument zugänglich gemacht zu haben, eingebettet in die Zeitgeschichte Europas und Israels.

Erfreulicherweise hat Angelika Schrobsdorff auch noch die Fertigstellung des Dokumentarfilms Ausgerechnet Bulgarien erlebt, in dem Christo Bakalski einen sehr persönlichen Einblick in die Schrobsdorffsche Familiengeshichte gewährt. Der Journalist und Autor Carsten Hueck schrieb dazu 1980 in der Jüdischen Allgemeinen:


"Zwischen Schwarzem Meer und Potsdamer Platz gibt Bakalski der Schriftstellerin und ihren Angehörigen den Raum, den sie brauchen, um sich über ihre unterschiedlichen Viten und ihr Verhältnis zueinander klar zu werden. Der Film kommt ohne Kommentartext aus. Fast immer ist der O-Ton deutsch – auch bei den Szenen in Bulgarien. Die ruhige, aufmerksame Kameraführung von Rali Raltschev und Anton Bakarski bestimmt Tempo und Atmosphäre des Films. Wie ein stiller, aufmerksamer Begleiter zeichnet die Kamera auf, wie sich die Protagonisten bewegen und was sie bewegt."
Christoph Gutknecht - 29. September 2017
ID 10286
Angelika Schrobsdorff. Leben ohne Heimat
Mit Texten von Beatrix Brockman und Fotografien von Rengha Rodewill

208 S., 117 Abb.
Geb. m. Schutzumschlag
EUR 22,00
be.bra Verlag, 2017
ISBN 978-3-89809-138-1

Bewertung:    


http://www.bebraverlag.de/verzeichnis/titel/748-angelika-schrobsdorff.html


Post an Prof. Dr. Christoph Gutknecht

http://www.christoph-gutknecht.de

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