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Rezension

Sprachkomponistin trifft auf Sprechsteller



Bewertung:    



Die Wortspielhalle ist eine Dialogkantate zwischen zwei vielseitigen Poeten (Sophie Reyer aus Wien und dem ungarischen Rheinländer A.J. Weigoni). Diese Sprechpartitur zeigt die beiden Künstler als schreibende Leser und lesende Schreiber, denen nichts fremd ist. Sophie Reyer ist eine Alchimistin der Worte, die den Stoff der Wirklichkeit destilliert, bis nur noch die mythische Essenz der Welt übrig bleibt. Wörter werden zerlegt, aufgespalten in Silben, Konsonanten und Vokale. Sie balanciert die Worte über ein Silbengeröll, das unvermittelt herabstürzen kann. Es scheint so, als nehme sie jeden Satz, um ihn über Eck zu legen und auf seine Haltbarkeit zu prüfen. Buchstaben sind gleichsam theatralische Ereignisse, sie verbinden sich mit den subtilen, aber auch perkussiven Klängen und Geräuschen.
Weigoni weiß, wie man Dichtung zu Klang macht. Er bringt Ausdruck und Struktur in Einklang, instituiert damit eine auratische Zeichenhaftigkeit dodekaphoner Expressivität und verändert die Sprache mit jedem Sprechen. Die Zeichen geraten in Schwingungen, feste Beziehungen zwischen dem Bezeichneten und dem Bezeichnenden lösen sich auf. Reyer zeigt das Substanzielle im Alltäglichen. Weigonis Sätze beginnen in ihrer syntaktischen Üppigkeit meist bei einem Sinneseindruck, ragen am Ende jedoch immer in eine groteske Unwirklichkeit hinein.

Das Vokabular dieser Poeten wird dadurch so farbenreich wie die Palette eines impressionistischen Malers, und ihre Metaphern sind betörend wie der schwere Duft von Rosen, der unsere Sinne benebelt. Es ist eine vitale Form der Sprache, eine Literatur, die der Sprache auf die Finger schaut, sie zugleich ihrem eigenen Gefälle überläßt und damit entfesselt. Reyer zeigt das Substanzielle im Alltäglichen.

Auf der Rotationsachse der Sprachen kann man bei Reyer und Weigoni den Unterschied zwischen der österreichischen und der deutschen Sprache lesen. In einer großen Sprachfamilie haben die Mitglieder der Familie, die am Rand leben und die sich bereits vermischen mit fremden Sprachen, eine andere Schieflage zur Wirklichkeit, auch eine andere "Obliquität" zur Sinnlichkeit. Das Österreichische ist leichtfüßiger und auch "a bissl" schlampiger, in der Schlampigkeit aber manchmal im Ungefähren auch präziser. Deswegen gibt die Wiener Schule, die eine sehr geglückte Dialektdichtung hat, da das Wienerische sich sehr dazu eignet und eine große Präzision hat – übrigens das Rheinländische auch – aber dann sind wir auch schon durch mit den deutschen Dialekten. Die Mundart ist weicher, und sie ist anschmiegsamer und hat natürlich auch ihre Unverbindlichkeiten und manchmal auch Nachteile.

Reyer und Weigoni schaffen etwas, das vielen anderen Autoren wohl verwehrt bleibt: Sich neu zu erfinden, ohne die Qualität zu verraten. Die Experimente, die Verweigerungshaltung gegenüber mehr vom Gleichen, das alles zeugt von einer Haltung, die Mittelmaß vermeidet. Sie treiben ein parodistisches Spiel mit postmodernen Theoriefragmenten, wechseln zwischen verschiedenen Dialekten. Verstehen-Wollen führt hier nicht weit, narrative Strukturen werden dauernd verwischt, Abstraktion prallt auf Körperlichkeit. Mit ihrer Frage, wie es ist, im 21. Jahrhundert ein Poet zu sein, artikuliert sich ein antireduktionistischer Antrieb, der Einspruch dagegen erhebt, psychische Phänomene mit physischen Prozessen umstandslos gleichzusetzen: Es ist eine Illusion, zu glauben, die Welt lasse sich vollständig beschreiben, wenn die Wirklichkeit erlebender Wesen, als deren Repräsentantin die "Queen of the Biomacht" zu Ehren kommt, allein mithilfe chemisch-physikalischer Naturgesetze zu erfassen versucht wird. In solch poetischen Beschreibungen sind die unzerlegbar subjektiven Phänomene - Tatsachen eigener Ordnung - längst verschwunden. Die aktuelle Hirnforschung scheint allmählich zu bemerken, daß die Aufzeichnung elektrochemischer Vorgänge keinen Gegenstand namens Geist oder Erleben herbeizuzaubern vermag. Mit einem Satz:

Die Wortspielhalle verschafft  eine Sensibilität für die Diversität von Gesellschaft, Leben und Poesie.




Jo Weiß - 29. Juni 2014
ID 7930
Wortspielhalle
Eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni
Mit Inventionen von Peter Meilchen
Edition Das Labor
Mülheim, 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.editiondaslabor.de/





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