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Reiseführer

Darf man

über Pegida

lachen?



Bewertung:    



Die Frage ist natürlich falsch gestellt. Lachen befreit, wenn auch in diesem Falle nicht sofort von dieser Erscheinung. Und selbst dem konsequent Dauerbetroffenen wird angesichts der unfreiwilligen Komik in Wort und Auftritt dieses Haufens schon mal der Mundwinkel gezuckt haben. Ganze Satiresendungen bestreiten ihr Programm mit diesem Thema und füllen damit eine Lücke, die die FDP (falls sich wer erinnert) klaffen ließ. (Übrigens ein schlüssiger Beweis für die in Pegidistan vertretene These, daß alles immer schlimmer wird. So unappetitlich waren die gelben Brüder- und Schwesterle dann doch nicht.)

Ach so, Pegidistan: Das „Land des ewigen Spaziergangs“, offiziell Pegidische Abendland-Republik Dresden (PRD), dort gelegen, wo das Elbtal am tiefsten ist, moralisch gesehen. Uwe Leuthold (nach der Selbstauskunft Lohnschreiber bei der Lügenpresse und ausgebildeter Übereinenkammscherer im geistigen Exil) hat einen Reiseführer darüber erdacht, im praktischen Funktionsjackentaschenformat, layoutet im gewohnten Design der Traveller-Literatur, vorne drauf die Frauenkirche hinter etwas, das sich unschwer als Mauer erkennen lässt. Sogar einen 5 Euro-Gutschein für Fahnen-Friedrich verspricht das Cover, was dann aber nur virtuell gehalten wird.

Virtuell, das heißt laut Wörterbuch „nur theoretisch existent“ (zum Glück?), ist das ganze Pegidistan der Fantasie der Lügenpresse entsprungen, was schon wieder eine der Montagsthesen beweist. Für dieses angenommene Kleinland mit einer dicken Mauer drumrum hat Leuthold einen Führer (nein, keinen Föhrer) über Land und Leute geschrieben und lässt seiner Vorstellungskraft dabei freien Lauf. Das macht durchaus Spaß zu lesen, vor allem in der ersten Buchhälfte, und am besten ist das Büchlein dort, wo die Fiktion hart an der Realität segelt. Die Einteilung der Bevölkerung in 95 Prozent Besorgte Bürger sowie Neustädter Küchentischrevolutionäre und Hang- bzw. Elfenbeinturmbewohner klingt plausibel, auch die Beschreibung der Volksgruppen ist von trauriger Genauigkeit.

Eine Menge an feinen Boshaftigkeiten, süffigen Bonmots und witzigen Seitenhieben füllt das Buch, auch die überschätzte Architektur bekommt ihr Fett weg (erlaubt sind in Pegidistan nur Barockkopie und Plattenbau). Stellenweise wird da durchaus das Hier und Heute beschrieben, klar, von nichts kommt auch nichts, irgendeinen Ursprung muss die ganze Scheiße ja haben.

Die Geschichte der Staatsgründung und –entwicklung könnte einem miserablen Historienschinken entnommen sein (was als Lob zu verstehen ist), die Charakterisierung der führenden, nun ja, Köpfe der Bewegung ist trefflich gelungen und auch wieder dicht an der Realität: Im Buch tritt „Bewahrer Lutz“ (Bochmonn) alsbald nach der Machtübernahme von allen Ämtern zurück und fegt fortan seine Hofeinfahrt bzw. poliert seinen Denkmalssockel. Ähnliches scheint sich im Moment ja tatsächlich abzuspielen, wenn auch gottlob ohne Denkmal und Machtergreifung.

Das politische System der Entscheidungsfindung beruht auf dem Prinzip des Am-lautesten-brüllen-Könnens sowie auf der größten Starrsinnigkeit, was für stabile Verhältnisse sorgt. Auch zur Wirtschaft (i. W. Aluhüte und Bratwurst) gibt es interessante Einblicke, und dass die Smartphones immer noch „scheißteuer“ sind, ist die Schuld jener hinter der Mauer. Überhaupt wird dem hier so genannten "Folg" präzise aufs Maul bzw. in die Facebook-Kommentarspalte geschaut, man lernt ein paar neue Vokabeln.

Originell, wenn auch nicht ganz neu, ist die Verwendung einer Reiseführer-Vorlage unbedingt. Die vielen Themenbereiche von Kultur über Tourvorschläge bis hin zu Restaurantempfehlungen müssen dann aber auch sinnhaft gefüllt werden, eine Aufgabe, der der Autor in der zweiten Hälfte nur bedingt gerecht wird. Da wirkt dann vieles doch sehr bemüht, die Anlehnung an gängige DDR-Witze ist deutlich merkbar, und es wird sich aus dem umfangreichen Reservoir der gruppenbezogenen Allgemeinscherze bedient. Ein paar Seiten weniger hätten dem Buch da sicher gut getan.

Während man aktuell im Dresdner Staatsschauspiel mit Volker Löschs Graf Öderland – Wir sind das Volk die Dystopie einer künftigen Entwicklung beobachten kann [Stefan Bock berichtete hierüber], nähert sich Leuthold dem Thema aus Richtung der leichten Muse. Das geht dann naturgemäß nicht sonderlich tief, ist aber durchaus zu empfehlen, wenn man auch mal lachen möchte bei diesem Thema.

Und die Idee eines Säxit ist – halten zu Gnaden – gar nicht so uncharmant. Wäre doch witzig, wenn die sich hinter hohe Mauern zurückzögen und fortan dort spazierengingen. Muss ja nicht unbedingt in Dresden sein, so hässlich ist die Gegend nun auch wieder nicht.
Sandro Zimmermann - 28. Februar 2016
ID 9169
Uwe Leuthold | Pegidistan
Reisen im Land hinter der Mauer

EUR 7,90 (Taschenbuch)
EUR 2,99 (eBook)
Selbstverlag
Bestellbar bei Amazon, Weltbild, Thalia u.a.


Weitere Infos siehe auch: http://saexit.de/


Post an Sandro Zimmermann

teichelmauke.me



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