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nachDRUCK # 2

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Krimi

Zorro

Reloaded



Bewertung:    



Den Versuch wäre es wert. Man könnte natürlich keinen mathematischen Beweis antreten. Es steht zu vermuten, dass es nicht amüsant wäre. Zusammenhänge indessen wären zweifellos sichtbar. Die Rede ist vom Psychogramm des Krimilesers. Besteht da eine latente Disposition zur Kriminalität? Zu Grausamkeit und Brutalität? Barer Unsinn, würden die Verteidiger des Genres protestieren. Schließlich geht es nicht um Mord und Totschlag, sondern um den spannenden Prozess der Ermittlung. Man kann auch fasziniert einem Violinkonzert lauschen, ohne selbst Violine zu spielen. Weshalb sollte ein Sportfan aufgrund seiner Begeisterung eine verhinderte Sportskanone sein? Die These lautet: Nicht alles, wofür wie uns interessieren, muss unser Herz berühren - schon gar nicht unser "finsteres". Interesse allein wäre kein Zeichen latenter Motivation.

Doch man muss nicht soweit gehen. Bestenfalls erstaunt die Flut der Kriminalliteratur und die stetig wachsende Begeisterung der Leserschaft an blutrünstigen und grausamen Plots. Vielleicht ist das vielmehr ein gesellschaftliches Signal als nur ein individuelles Anzeichen. Auch diese Sorge kann man belächeln. Und doch ist sie nicht ohne Substanz. Schließlich beansprucht jene These gute Plausibilität, wonach die Grausamkeiten einer Kultur auch ein Licht auf die Gesellschaft werfen, der sie erwachsen. So kann man aus der Bestialität römischer Arenen allerdings Schlussfolgerungen auf die mentale Situation der römischen Gesellschaft ziehen. Zugegeben, das ist in Zahlen nicht messbar. Dennoch, die zunehmende Grausamkeit der Bücher und Filme scheint symptomatisch zu sein.

Um es klar zu sagen: Es gibt brutalere Krimis als Dein finsteres Herz. Doch weshalb benötigen wir eigentlich diese aufstörenden Grausamkeiten und jene blutrünstigen Gestalten? Die These einer kathartischen Wirkung der Kunst wurde durch die Geschichte widerlegt. Das kann es nicht sein. Trüge Kunst kompensatorischen Charakter, so stünden die Dinge anders. Es scheint, als seien Boshaftigkeit und Bestialität einfach substanzielle Bestandteile der menschlichen Seele. Oder sagen wir: unseres genetischen Programms. Doch auch die schlichte Widerspiegelungsthese hat ihre Defizite. Fest steht lediglich: Unser finsteres Herz begleitet die Spezies treu durch die Jahrhunderte. Mit oder ohne Kunst.

Das Böse gehört zur menschlichen Natur wie die Schote zum Korn. Dabei nistet Bosheit im Kleinen. Im Verborgenen. Denn es gibt auch dieses andere Programm in uns: Die Scham vor unverhohlener, offen zu Tage liegender Boshaftigkeit. Mag es noch angehen, dass man sich in manchen Kreisen mit Grausamkeit brüstet. Boshaftigkeit indessen wird sozial nicht toleriert. Und damit bewegen wir uns auf der Ebene der Klassenproblematik. Diesem Vorbehalt begegnet man auch in dem Roman Dein finsteres Herz von Tony Parsons. Hier haben wir es mit einer klassischen Internatsgeschichte zu tun. Reiches englisches Ambiente. Ein wenig stereotyp. Aber schon auf den ersten Seiten wird die enorme Brutalität junger reicher Engländer geschildert. Ihre unglaubliche Boshaftigkeit und Brutalität verändert Lebensläufe.

Die entsprechenden Verstrickungen zu durchschauen, obliegt Kommissar Max Wolfe, seines Zeichens ein launiger Ich-Erzähler im Stile von Philip Marlowe. Dabei bekommt man allerlei geboten: Sex, Mord, Alltag, Illusionen, Täuschungen, Rangeleien zwischen Kollegen. Das Übliche. Eine schöne reiche Witwe befingert den Kommissar. Mit mangelndem Erfolg, denn der ist natürlich ein gebrochener Moralist. Interessant ist dabei die soziale Komponente: Während die einen im Champagner baden, gehen die Anderen (nicht nur) finanziell vor die Hunde. Zwar begegnet man in diesem Roman fast durchgehend Thesen, die in die Jahre gekommen sind, doch beanspruchen sie hartnäckige Gültigkeit: Die Armen werden immer ärmer, die Reichen reicher. Die fiese Ungerechtigkeit der Reichen diesseits der formalistischen Legalität. Die echte Gerechtigkeit indessen - verschoben auf den Sankt-Nimmerleinstag. Dein finsteres Herz ist ein Roman, der von Klassen und Klassenbewusstsein handelt und ein weiteres Zeugnis dafür ist, wie hartnäckig sich menschliche Zivilisationen in nahezu allen wesentlichen Belangen im Kreise drehen. So wie der Ermittler Max Wolfe, der vor der Leiche eines stinkreichen Bankers kniet, dessen Kehle mit einem Spezialmesser aufgeschnitten wurde. Er bezahlt mit seinem Leben für die einstige Massenvergewaltigung im Potter's Field College. Ebenso wird es seinen gut betuchten Kumpels ergehen. Zorro reloaded, soweit das Auge blickt!

Man könnte über die Synchronität paralleler Entwicklungslinien spekulieren: Einerseits das Wiedererstarken der alteuropäischen Klassengesellschaften. Andererseits das zunehmend demokratisch sensibilisierte Bewusstsein großer Bevölkerungsteile. Wenn diese Asymmetrien nicht in verheerenden Flächenbränden enden sollen, wäre es Zeit, die darin aufkeimende Boshaftigkeit nicht nur auf juristischen Wegen in ihre Schranken zu weisen. Nimmt man die Unterhaltskultur unserer Tage als Symptom, dann leuchtet ein, dass die Gesellschaft vor der Herausforderung steht, ihre ökonomischen Verhältnisse nicht nur als Grundlage formaler Gerechtigkeit zu sehen, sondern als Treibsand eines neuen moralischen Bewusstseins.
Jo Balle - 17. Februar 2015
ID 8447
Tony Parsons | Dein finsteres Herz
384 Seiten, Paperback
EUR 14,99
Bastei Lübbe, 2014
ISBN: 978-3-7857-6115-1

Weitere Infos siehe auch: https://www.luebbe.de/bastei-luebbe/buecher/krimis/dein-finsteres-herz/id_3344652


Post an Dr. Johannes Balle



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