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Buchkritik

Die langsame

Liebe der

Männer



Bewertung:    



Das Leben dieses Mannes ist eine Tortur. Orientierungslos torkelt er durch Kitas und Arztpraxen. Tritt die Liebe in sein Leben, merkt er es erst, wenn sich die Dame aus dem Staub gemacht hat. Existenzängste plagen ihn. Die Langsamkeit seiner Gefühle ist unerträglich. Wer diesen Roman liest, gewinnt den Eindruck, dass Frauen oft schneller als Männer sind. Woran das liegt? Die Wahrnehmung macht den Unterschied. Es ist daher nur konsequent, wenn die Wahrnehmungsdichte des Helden den Erzählrhythmus dieser Geschichte bestimmt.

Der Ich-Erzähler Marko Kindler, früher Jurist, dann Übersetzer und Krimiautor, leidet nach seinem gelungenen Debütroman an notorischer Schreibhemmung. So eine Blockade kann zu philosophischem Schwermut führen, was auf die Frauenwelt überhaupt nicht sexy wirkt. Kindler wird zum Hypochonder, wobei dem Leser Zweifel kommen: Schließlich ist ein Schilddrüsenproblem, um nur eines seiner Leiden zu nennen, ein veritabler Tatbestand.

Dass dem Protagonisten die Fäden aus der Hand gleiten, beginnt bereits, als der Sohn Ray geboren wird, denn an diesem Tag stirbt seine Freundin Nelly. Die exzentrische Künstlerin, die er Jahre zuvor in New York kennenlernte, stand für eine alternative Existenz. Kindler entschied sich für Lycile, Rays Mutter. Nach der Geburt seines Sohnes ist er entschlossen, ganz in der Rolle als Vater aufzugehen. Doch in den Jubelton des frisch gebackenen Papas mischt sich ein hässlicher Diskant. Kopfzerbrechen bereitet ihm nicht nur Nellys Tod und die angespannte Beziehung zu Lycile, sondern die Frage, ob er tatsächlich, um mit Kierkegaard zu sprechen, die ästhetische für die ethische Existenz aufgeben kann. Weit davon entfernt, eine freie Wahl zu treffen, ereilt ihn im Laufe der Geschichte eine Entscheidung. Nach der ersten Hälfte des Romans erfährt man mehr: Kindler sitzt in Untersuchungshaft und wartet auf den Kriminalpsychologen. Das Vergehen, das ihm vorgeworfen wird, ist auch Folge seiner Empfindsamkeit. In Anlehnung an die klassische Tragödie ließe sich sagen: Er gerät schuldig-unschuldig in diese Misere.

Dass der Konflikt des Helden so spannend wie lehrreich ist, liegt an Ralf Bönts subtiler Sprache, die Kindlers Wahrnehmungen facettenreich abbildet und die darin enthaltenen Widersprüche aufzeigt. Dabei hat es den Anschein, als gelte eine simple Gleichung: Je differenzierter die Wahrnehmungen, desto komplizierter die Existenz. Lebensklugheit erfordert wohl eine gewisse Ignoranz. Kindlers Problem, das wird auch an seinem Namen deutlich, ist die distanzlose Offenheit, die sich mit allem gemein macht. Glücklich wird man so nicht.

Das kurze Leben des Ray Müller ist ein blitzgescheiter Roman über die nervenaufreibende Sehnsucht nach einem anderen Leben. Ralf Bönt erzählt von der Abhängigkeit der Männer von den Frauen sowie dem inständigen Wunsch, das Richtige zu tun. Dabei gelingt es dem Autor, diese Geschichte überzeugend aus der Perspektive eines Mannes zu erzählen, der an seiner übergroßen Sensibilität zerbricht: Kindler muss lernen, dass sein Feingefühl gerade von den Menschen als Bedrohung empfunden wird, die ihm am nächsten stehen. Zu viel Gefühl schadet offenbar der Liebe. Das aber ist eine Erfahrung, die jedermanns Leben derangieren kann. Am Ende steht die Erkenntnis, dass „sehen lernen vor allem heißen muss zu verlernen".
Jo Balle - 3. Mai 2015
ID 8617
Ralf Bönt | Das kurze Leben des Ray Müller
Geb., 336 S., m. Schutzumschlag
13,5 x 21,5 cm
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 26,90
DVA Verlag, 2015
ISBN 978-3-421-04639-0


Weitere Infos siehe auch: http://www.randomhouse.de/Buch/Das-kurze-Leben-des-Ray-Mueller-Roman/Ralf-Boent/e451870.rhd


Post an Dr. Johannes Balle



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