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Roman

Bruderliebe

in Worten



Bewertung:    



„Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe.“ (Anne Frank)

*

Es scheint ungewöhnlich, dass ein Moslem das Zitat einer Jüdin seinem weitgehend autobiografischen Roman voranstellt. Der in Amsterdam lebende Marokkaner Mano Bouzamour hat es getan und räumt nicht nur durch diese Geste mit gängigen Vorurteilen auf. Der Roman [Samir, genannt Sam] erlaubt tiefe Einblicke in das Leben des Protagonisten im eher armen und unkonventionellen Stadtteil De Pijp, in seine Clique und in seine Familie.

Sam und sein Bruder stehen über weite Strecken des Buches im Mittelpunkt. Der über zehn Jahre ältere Bruder liebt seinen „kleinen Tiger“ geradezu abgöttisch, verspricht immer auf ihn aufzupassen. Und Sam, der jüngere, bewundert ihn unumwunden.


„Ich tagträumte, dass wir abends auf dem Roller durch Amsterdam sausten. Mit der Eleganz einer russischen Ballerina würden wir uns durch den Verkehr lavieren, ich vor ihm auf dem Sitz, die Hände am kalten Lenker. Mit nachlässiger Nonchalance alle Verkehrsschilder, Vorfahrtsregeln und Ampeln ignorieren, die glasigen Grachten entlang flitzen, die manchmal so friedlich daliegen, dass sie die butterfarbenen Lichthöhe der vereinzelten Straßenlaternen und die Fassaden der Grachtenhäuser makellos nachmalen. Über die Uferstraße an der Amstel, über die Buckel der backsteinbrücken hinauf und wieder hinunter, im Bauch ein flüchtiges Kribbeln, wie beim Fliegen. (…) Dann würde mein Bruder fragen, ob wir schneller fahren sollten, und ich, kreischend: ‘Ja!’ und er: ‘Ich verstehe dich nicht’, und ich: ‘Ja, noch schneller!’ Doch stattdessen würde er abrupt abbremsen und sagen: ‘Nein, wenn man zu schnell fährt, übersieht man alles, was schön ist.’“ (S. 99)


So poetisch kann Bruderliebe sein. Doch der große Bruder, dessen Namen wir im Roman nicht erfahren und der generell als „mein Bruder“ bezeichnet wird, kann sein Versprechen nicht einlösen. Nach dem Überfall auf einen Geldtransporter geht er für sechs Jahre ins Gefängnis. Sam kommt auf ein Elitegymnasium in Amsterdam. Er tut sich schwer, findet zunächst wenig Kontakt und amüsiert sich weiter in der halbkriminellen Clique seines Bruders. Auf der Schule bleibt er sitzen, verschweigt dieses den Eltern, denen ohnehin der Einblick in das niederländische Bildungssystem fehlt.

Doch dann ändert sich seine Situation. Sam freundet sich mit einigen der Eliteschüler an und sitzt damit zwischen den Stühlen; da ist sein Leben in De Pijp und das in der Amsterdamer High Society. In dieser Zeit der Irrungen und Wirrungen träumt er davon, Anne Frank zu rächen, was ihm innere Erleichterung verschafft.

Auch wenn Sam kein konventioneller Spießer wird, so trägt das Elitegymnasium seine Früchte. Er feiert Erfolge als Pianist, entwickelt sich zum Partylöwen und genießt ein ausschweifendes Sexualleben.

Die Lebenswege der beiden Brüder könnten unterschiedlicher nicht verlaufen. Sie sehen sich in den sechs Jahren kaum, und einzig die Liebe zur klassischen Musik scheint sie zu einen. Als der große Bruder endlich entlassen wird, macht Sam sein Abitur. Der große Bruder hat dagegen im Gefängnis seine kriminellen Kontakte ausgebaut und taucht in die Rotlichtszene ab. Ist es der Bildungsunterschied, der die beiden trennt, oder hat hier eine andere, weitaus kompliziertere Entwicklung stattgefunden? Am Ende stehen sich die Brüder wortlos gegenüber, und der Leser wird seinen eigenen Gedanken überlassen – über ein Thema, das selten im Mittelpunkt eins Buchs steht, nämlich dem der Bruderliebe.
Ellen Norten - 9. August 2016
ID 9468
Mano Bouzamour | Samir, genannt Sam
Format 125x205, Hardcover
296 Seiten
EUR 22,00
e-book EUR 14,99
Residenz Verlag Salzburg Wien, 2016
ISBN 978-3-7017- 1657-9


Weitere Infos siehe auch: http://www.residenzverlag.com/?m=30&o=2&id_title=1836


Post an Dr. Ellen Norten



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