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Sachbuch-Kritik

Geht's

noch?



Bewertung:    



Um es vorweg zu nehmen, ich bin weder Veganerin noch Marathonläuferin, und ich habe auch nicht vor eines von beiden jemals zu werden. Beides kombiniert heißt für mich Askese und hartes Training. Mich interessiert, wie man dies freiwillig auf sich nehmen kann und welche Gründe einen Menschen zu einem solchen extremen Verhalten führen.

Antworten erhoffe ich mir in diesem Buch, geschrieben von Matt Frazier, einem veganen Ultramarathonläufer aus North Carolina, USA und Matthew Ruscigo, einem seit 17 Jahren vegan lebenden US-Amerikaner, der im Buch als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der pflanzlichen Sporternährung ausgewiesen wird. Erschienen ist das Werk bei compassion media, dem ersten veganen deutschsprachigen Verlag, der auch ein Buch zur veganen Küche für Kinder herausgebracht hat. Kritische Töne zur veganen Ernährung oder zum Marathonlauf und extremeren sportlichen Herausforderungen für den menschlichen Körper darf ich wohl nicht erwarten, mit einer Art „Bibel“ hätte ich indes nicht gerechnet.

Das Buch gratuliert seinem Leser schon im Vorwort, „denn mit diesem Buch hältst auch Du den Schlüssel zu einem neuen Leben als No Meat Athlete in der Hand“ (S. 9)

Um den Tenor zu untermauern, kommen nicht nur die beiden Autoren zu Wort, sondern es werden 20 (!) weitere Experten aus diesem Umfeld bemüht, die strahlend auf einem Foto abgebildet in ihrem Begleittext belegen, dass die neue Lebensform erst Recht solche Höchstleistungen ermöglicht. Und da der Leser sich durch die Lektüre des Buches ja ohnehin schon in Richtung der veganen Sportler bewegt, wird er als neues Glied der Gemeinde permanent geduzt.

Zwei Dinge machen es einem solchen Pamphlet leicht: Erstens ist sportliche Betätigung in unserer westlichen Kultur langsam zu einem Muss geworden. Wer was auf sich hält, strampelt in Muckibuden um die Wette. Andere nehmen hartes Training und sogar Schmerzen in Kauf und laufen die gut 42 km beim Marathon. Das bringt meist viel Anerkennung mit sich.

Zweitens hat Fleisch in der Ernährung heute nicht den besten Ruf. Die moderne Massentierhaltung verdirbt vielen Menschen den Appetit darauf, und in manchen Kreisen gilt reichlicher Fleischkonsum als unvernünftig oder gar ungesund. Vegetarische Restaurants und der Veggieday sind auf dem Vormarsch. Der Veganer geht nur noch einen Schritt weiter. Er verzichtet nun auch auf die Produkte, die tierischen Ursprung haben. Selbst Honig fällt aus seinem Ernährungsplan. Und da der Mensch dem Kälbchen aus seiner Sicht nicht die Milch wegtrinken sollte, sind Milchprodukte ohnehin tabu.


"Wir verwenden das Adjektiv 'tierlich' anstatt 'tierisch', weil letzteres unserer Auffassung nach speziesistisch, also diskriminierend gegenüber nichtmenschlichen Tieren, ist (vergleichbar mit 'kindisch'), während erstgenanntes eine Analogie zur Bezeichnung 'menschlich' darstellt und ihm eine neutrale bis positive Konnotation zukommt." (S. 2)


Problematisch macht die Lektüre, dass sich nach solchen Formulierungen ein durchaus fundierter ernährungswissenschaftlicher Teil anschließt. Der Autor weiß, wovon er spricht, er kennt neueste Untersuchungen und auch die wissenschaftliche Kritik an der veganen Ernährungsweise. Doch durch ausgewogene abwechslungsreiche Kost kann der befürchtete Vitamin-B12- Mangel, der Eisenmangel und ein möglicher Proteinmangel aus seiner Sicht vermieden werden. Dies mag für einen 100 % gesunden Menschen funktionieren, doch verwerten nicht alle Menschen ihre Nährstoffe gleich, mancher wird leichter dick, und manchmal äußert sich dies auch in Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder einer Fettstoffwechselstörung. Im Buch wird die Kausalkette jedoch umgedreht. Vegane Ernährungsweise vermindert das Risiko für solche Zivilisationserkrankungen, und so könnte man weiterspinnen: Wer daran erkrankt, hat eben selbst Schuld. Erblich bedingte Risiken gibt es anscheinend bei dieser Sichtweise nicht.

Nun soll sich also der bewusste Veganer, der ohnehin schon viel Zeit mit der Zusammenstellung und Zubereitung seiner Ernährung verbringt, auch noch einem zeitintensiven Lauftraining widmen. Warum nun auch noch ein Marathon oder gar ein Ultramarathon geschafft werden muss, erschließt sich mir nicht. Vermutlich ist nicht jeder Mensch der geborene Sportler, ich bin es sicher nicht. Matt Frazier gibt an: „Ich laufe, weil es billiger ist als eine Therapie.“ (S. 217)

Ach so.

Bei so vielen zeitintensiven Beschäftigungen bleibt wenig Zeit für Familie und Freunde und vielleicht auch für eine kritische Auseinandersetzung mit anderen gesellschaftlichen Fragen. Wenn ich eingangs die Bibel bemühte, so komme ich hier nun auf den Religionsersatz. Viele Religionen haben bestimmte Ernährungsvorschriften, Juden und Muslime essen kein Schweinefleisch, die Katholiken haben eine Fastenzeit, und früher gab es bei uns freitags auch kein Fleisch. Doch in der westlichen Welt sind solche Regeln kaum noch zu spüren, so sehnen sich vielleicht Menschen nach neuen Essensvorschriften und füllen ihre Zeit mit Trainingsprogrammen, mit denen sie eine neue Art von religiöser Askese, gar moderner Selbstgeißelung betreiben können. Und so endet das Buch entlarvend:


„… mach Dir bewusst, dass du durch diesen Trainingsprozess, der sowohl eine vollwertige als auch mit deinen Werten vereinbare Ernährung beinhaltet, mehr als nur deinen Körper gestählt hast: Du hast eine Verwandlung durchgemacht, deren Auswirkungen viel mehr als nur körperlich sind.“ (S. 250)


Hoffentlich bleibt der Gesellschaft eine solche Metamorphose in größerem Ausmaß erspart.
Ellen Norten - 29. Januar 2015
ID 8399
Matt Frazier, Matthew Ruscigno | No Meat Athlete
Mit veganer Ernährung zur persönlichen Bestform

270 Seite, Paperback
Eur 20,00
Compassion media, Media, 2014
ISBN 978-3-9814621-9-7


Weitere Infos siehe auch: http://nomeatathlete.de


Post an Dr. Ellen Norten



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