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Veranstaltungstipp | Etymologisches

Schmattes, Schlager

& Schongsongs

Deutsch-jiddisches Liedkabarett in Hamburg

Jeder musikhistorisch Interessierte wird sich erinnern: Helmut Qualtingers Kabarett-Aufnahmen aus dem Jahre 2006 enthielten die von Gerhard Bonner und Peter Wehle amüsant betextete Schmattesoper.

Nun ist es am 10. September 2017 um 18 Uhr in Hamburg so weit: im Jüdischen Salon im Café Leonar präsentieren die Protagonistinnen Ingel Schuhbert (Inge Mandos), Stellala Schtrumpfbert (Stella Jürgensen) und Andru Schmatte (Andreas Hecht) unter dem Titel Schmattes, Schlager & Schongsongs eine einzigartige deutsch-jiddische Musiktheaterrevue. Traditionelle jiddische Balladen, deutsche Schlager jüdischer Komponisten aus den 1920er und 1930er Jahren und Liedgut aus Osteuropa bilden dabei eine äußerst reizvolle Melange.

Die Lieder des Trios werden ergänzt durch humorige Schnell-Dialoge in der Tradition der zwischen 1934 und 1942 in den USA äußerst erfolgreichen Screwball-Komödie wie bei Ernst Lubitsch oder Billy Wilder. Der Titel des Abends fordert zu einer kurzen etymologischen Deutung heraus:


* * *


Schmáte: ein vieldeutiges ostjiddisches Wort

Ob es uns in Deutschland, in Österreich oder im angelsächsischen Raum begegnet – das jiddische Wort schmáte (f.), hergeleitet vom polnischen szmata (für »Lumpen, Stoff-Fetzen«, auch »Inflationsgeld«), besticht durch seine semantische Vielfalt. Treffend kommentiert Gertrud Reershemius in Die Sprache der Auricher Juden (2007): »Das slawische Lehnwort ist im Ostjiddischen etabliert. Schmatte ist außerdem als Lehnwort im gesprochenen israelischen Hebräisch verbreitet.«

Letzteren Hinweis modifizierend verwies im Juli 2017 Hillel Halkin (unter seinem Pseudonym Philologos) in der Zeitschrift Mosaic auf die im Hebräischen in Israel zu hörenden Kombinationen von shmatte mit dem französischen de la (= dt. "von") in amüsanten Bildungen wie orekh-din de la shmatte ("unfähiger Anwalt"), krem de la shmatte ("pompös aufgemachte, wirkungslose Gesichts-crème") und don juan de la shmatte ("Westentaschen-Romeo").

J. und V. Traig belustigten jüdische Leser der USA mit ihrem Buch Judaikitsch: Tchotchkes, Schmattes, and Nosherei (2002), der Schweizer Autor R. Reiss betitelte seine feinsinnigen Lebenserzählungen mit dem Superlativ Schmatissimo (2017).


Zwangstaufen und Abtrünnigkeit

Das Verb sich schmatten/schmadden hörte man bei Zwangstaufen von Juden und deren unfreiwilligem Übertritt zum Christentum, wozu W. Weinberg in Die Reste des Jüdischdeutschen (1973) ergänzte: »Ein Empfang zu Ehren eines neugetauften erwachsenen Juden wurde scherz-haft schmattinée benannt.« Zum forcierten wie zum gewollten Glaubensabfall verzeichnet A. Tendlau im Werk über Jüdische Sprichwörter und Redensarten (1988) Sprüche wie Dem guckt die Schmad zum Ponim heraus (»auf seinem Gesichte liegt die Abtrünnigkeit vom Judentum«) oder – von einem Rabbinats-kandidaten, »der sich Neuerungen erlaubt oder sich zu denselben hinneigt« – Wo der Rāv wird, schmad’t sich die Kille! (= »Wo der Rabbiner wird, tauft sich die Gemeinde!«). Tendlau nennt noch einen zweiten Sinn, den schmadden »im Munde des Volkes mit der Zeit annahm: jemanden durch Geschenke auf seine Seite bringen, verführen, bestechen – Wodurch hastu’n geschmad’t?«


Yinglish und Ameriddish

Das Yinglish als mit jiddischen Elementen angereichertes britisches English kennt shmatte für »Putz(lappen), Lumpen«, pejorativ als »Fummel« für Frauenkleider: »That fancy dress she spent half her husband's money on just looked like a shmatte to me.« Den jüdischen Textilhandel ironisiert es als shmatte trade oder shmatte business, die Verkäufer als shmatte mishpocha, Bezirke mit vielen Kleidergeschäften als shmatte districts. Auch der Schweizer Schriftsteller Franz Hohler spricht in seinem Band Die Torte und andere Erzählungen (2004) von den Stoff- und Kleiderhändlern als der Schmates-Mischpoche.

Im jiddischen Sprachgebrauch der USA, dem Ameriddish, steht das Lexem shmatte (mit etlichen orthografischen Varianten) für »Plunder«, Stoff-Fetzen« oder »abgetragene Klamotten«; J. Eisenberg und E. Scolnic belegen das im Dictionary of Jewish Words (2006): »We’re going out to dinner, so change out of that shmatte.« Im übertragenen Sinne charakterisiert das Wort die Person, mit der jemand eine Affäre hat: »You're nothing; you're just his schmatah!« In Leo Rostens Jiddisch-Enzyklopädie (2002), die das Wort mit »Opportunist, Schmeichler, Speichellecker oder Frau ohne Willenskraft« umschreibt, meint es oft generell »wertloses Zeug«. Es entspricht dem Revolverblatt (= unseriöse Zeitung) oder der Schundliteratur, wenn es auf ein literarisches Werk von mieser Qualität abzielt. L. M. Feinsilver amüsiert uns 1970 in The Taste of Yiddish mit dem Hinweis: Als das Ktav Publishing House in Brooklyn 1969 den späteren Romanbestseller Portnoy’s Complaint von Philip Roth katalogisierte, beschrieb es ihn – wegen der vulgären Schilderung sexueller Eskapaden und der klischeehaften Darstellung amerikanischer Juden – schlichtweg als shmatte.

Die aus dem Jiddischen ins gesprochene Englisch der nordöstlichen Städte in den USA übertragene Shm-Reduplikation, mit der man jemanden – z.B. den Vater – bespöttelt, findet sich im Wort Tatte-shmatte.


Trinkgeld und Schmiergeld

R. Sedlaczeks Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs (2012) erwähnt den Schmattes, der in Wien das »Trinkgeld« bezeichnet, und deutet auf die Lustspielszene im »Rauchfangkehrer« (1968) mit den Dar-stellern Karl Farkas (1893-1971) und Maxi Böhm (1916-1982): »Jetzt schau ma, dass ma weiterkommen, dass ma noch an Schmattes einsammeln fürs Glückwünschen, sonst macht mir meine Frau an Riesenwirbel.«

Schon 2009 hatte der Münchner Merkur die Trinkgeldbräuche im Ausland geschildert – unter dem Titel: Schmattes, Bakschisch oder Tip.





Stella Jürgensen, Andreas Hecht und Inge Mandos in Schmattes, Schlager & Schongsongs | Foto (C) Hocky Neubert

Christoph Gutknecht - 27. August 2017
ID 10216
Schmattes Schlager & Schongsongs
Liedkabarett mit Ingel Schuhbert, Stellala Schtrumpfbert und Andru Schmatte

Ort:

Jüdischer Salon im Café Leonar
Grindelhof 59
20146 Hamburg

Zeit:
10. September 2017 | 18 Uhr


Weitere Infos siehe auch: http://www.salonamgrindel.de


Post an Prof. Dr. Christoph Gutknecht

http://www.christoph-gutknecht.de



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