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Ufff! Es ist wahnsinnig anstrengend ein Musik-Sachbuch zu konzipieren. Die Recherche. Die Sortierung. Die Analyse. Das Resümee. All das erfordert verdammt viel Arbeitseifer und vor allem Zeit. Im Verhältnis dazu ist das schlussendliche Zu-Papier-Bringen weit weniger aufwendig. Unterm Strich lässt sich sagen, dass die Lesenden etwa 80 Prozent eines Sachbuches respektive die Arbeit, die dahinter steckt, gar nicht sehen. Was aber nicht bedeutet, dass die verbleibenden 20 Prozent weniger wichtig sind. Das glatte Gegenteil ist der Fall, denn: Angehäuftes Wissen allein reicht nicht. Man muss es auch zu transportieren wissen.

*

Bereits bei den ersten Seiten von "Die Rheinnixen" contra "Tristan und Isolde" an der Wiener Hofoper fällt der ungeheure Fleiß von Anatol Stefan Riemer auf. Seine Studien zu Jacques Offenbachs Großer romantischer Oper sind so fleißig verfasst, dass mir beim Lesen der Schweiß rinnt. Als Aufhänger wählt Riemer ein Ereignis in Wien, 1863/64: Ursprünglich sollte damals Tristan und Isolde aus der Taufe gehoben werden. Doch als sich Tenor Alois Andern wiederholt krankmeldet, ist das für Wagner der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass nach 77 Proben zum Überlaufen bringt. Jacques Offenbach springt mit der Uraufführung seiner Rheinnixen ein, kurioserweise mit Andern als Franz (S. 25, 26). Im Übrigen befasst sich der erste Abschnitt damit, wie konträr die zwei Komponisten waren, etwa in puncto Frauenbild oder Humor (S. 2-4). Nur wenn es darum ging, übereinander herzufallen - verbal oder auch musikalisch-, nahmen sich beide nicht viel, obwohl sie sich persönlich wohl nie begegnet sind (S. 2, 12). Ein interessanter Aspekt ist, dass sich ihre völlig unterschiedlichen musikalischen Wege einige Male bei der Grand Opéra kreuzten (S. 8-11).

Auf Seite 37 verlässt uns Wagner bereits, zumal über ihn und seine Leitmotive schon zig Bücher geschrieben wurden. Um die “bewussten kompositorischen Entscheidungen” Offenbachs nachzuweisen, referiert Riemer auf den nun folgenden 80 Seiten über die Erinnerungsmotivik in den Offenbachiaden sowie den Rheinnixen. Und hier beginnt das Dilemma. Sätze wie [...] die Singstimme bewegt sich, mit Ausnahme des ausgesparten h’, von a’ bis e’ chromatisch aufwärts und diatonisch auf a’ zurück, den Bass führt Offenbach in chromatischer Gegenbewegung als »Passus duriusculus« von f nach c und harmonisiert den viertaktigen Vordersatz mit der symmetrischen Akkordfolge F / C7 / Es7 / g / Es7 / C7 / F” mögen vielleicht den Sprung ins nächste Programmheft schaffen oder die Herzen einiger Musikwissenschaftler höher schlagen lassen. Ob sich aber das Gros der Offenbachianer (geschweige denn das der Wagnerianer) von Riemers knochentrockenen Analysen begeistern lässt, darf bezweifelt werden. Wie sehr dem Buch die Lebendigkeit fehlt, wird vor allem bei den zitierten Stellen deutlich, wenn etwa Siegfried Dörffeldt (S. 61), Frank Harders-Wuthenow (S. 138, 139) oder Robert Didon (S. 144) zu Wort kommen: Sie fassen pointiert zusammen, was zuvor eintönig umkreist wird. Der monotone Schreibstil wird nach und nach zum Problem der Publikation: Er entzaubert Offenbachs Musik, Pardon, ins Buchhalterische.

Unklar bleibt auch, weshalb Riemer Chöre (S. 135-165), “Bösewichter” (S. 167-199) und das Verhältnis von Parodie und Wahrhaftigkeit (S. 201-238) untersucht, nicht aber das Libretto der Wiener Rheinnixen. Da dieses auf recht abenteuerliche Weise entstand (Alfred von Wolzogen, der die Übersetzung ins Deutsche verfasste, erhielt die französischen Verse von Charles Nuitter nur scheibchenweise), wäre ein detaillierter Vergleich beider Fassungen im Hinblick auf die musikalische Akzentuierung durchaus interessant gewesen. Immerhin: Eduard Hanslick, der damalige Kritikerpapst, taucht einige Male auf, um seinen Senf dazuzugeben, und die Hinweise auf die von Offenbach verwendeten Zitate (u.a. aus Halévys La Juive, S. 144) sind höchst aufschlussreich.

Schade, dass dieser 3. Band der “Frankfurter Wagner-Kontexte” eher enttäuschend ausfällt, ist doch diese Schriftenreihe des Richard-Wagner-Verbandes Frankfurt ein überaus begrüßenswertes Projekt. Es zeigt aber auch: Ein guter Musikologe muss kein guter Autor sein.


Heiko Schon - 6. März 2021
ID 12786
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