Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 2

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Rezension

Tahar Ben Jelloun | Eheglück

Roman
Berlin Verlag, 2014
ISBN: 978-3-8270-1167-1




Osterhase der Promiskuität


Man hat Tahar Ben Jellouns Eheglück dem Vorwurf einer flachen Konfliktdarstellung und oberflächlichen Betrachtungsweise ausgesetzt. Der konventionelle und von Verdichtungen absehende Duktus macht aber den Reiz der Sache. Der Roman geht von dieser Konstellation aus: Zwei Menschen setzen sich über gesellschaftliche Schranken hinweg und beschwören so ihr Unglück herauf. Das Unglück bestimmt die Rede eines Malers von bourgeoiser Herkunft. Ein Streit mit seiner Gattin, die er einst mächtig erregt aus dem marokkanischen Busch gezogen hat, beschädigt seine Gesundheit bis zur Invalidität. In der erzwungenen Sonderexistenz gefällt ihm nur noch die Krankenschwester. Sie kann auch Krankengymnastik. Wie Elisabeth Knoblauch in ihrer Eheglück-Besprechung bemerkte, erzählt Martin Walser in der Inszenierung eine im ersten Grad verwandte Geschichte. Walser erzählt sie süffisanter. In seiner westlichen Spätantike bleibt kein Tabu außer Sex im Alter.

Die Welt, die Ben Jelloun dem Leser vor Augen führt, steckt voller Tabus. Sie dreht sich um Familie und Fortpflanzung: nach lückenlosen Tabellen. Alles ist kodifiziert.

Der Maler, das ist die Kunst seines Schöpfers, scheint sein Eheschicksal ohne geistigen Mehrwert zu erleiden. Er leidet, und der Leser lernt. Der Maler setzt der, so sieht er sie, wahnsinnigen Amina nichts entgegen. Da er alle Konflikte vermeidet, übernimmt sie das geräumte Feld. Ihre Referenzen ergeben sich in Beziehungen zur Ursprungsfamilie. Der Clan lebt in einer Gegend, wo weder arabisch noch französisch selbstverständlich gesprochen werden. Für die Elitefamilie ihres Mannes bleibt Amina nur Paria. (Eine Samenräuberin.)

Im Atelier des Malers steht ein Bett für außerehelichen Mittagsbeischlaf. Der Maler erwartet von seiner Frau, dass sie bei Bedarf an den Osterhasen glaubt. Dabei nimmt er ihr die überlieferten Möglichkeiten, seine Promiskuität in ihr Familienkonzept einzubauen. Er schmälert ihre Herkunftsgewissheiten. Sie reagiert allergisch. Wenn der Maler in der Landschaft ihrer Kindheit zu Ergebnissen gelangt, dann empfindet sie das als Plünderung. Das wird überzeugend dargestellt. Man kapiert sie, man kapiert ihn. Man versteht, wie die beiden zusammengekommen sind, und man versteht die Crux dabei. Ben Jelloun beschreibt den Krieg der Dörfer gegen die Städte am Beispiel eines Ehepaars.

Eheglück spielt in der erweiterten Gegenwart. Ein aufstrebender Maler verliebt sich Mitte der Achtziger in Paris in eine viel jüngere Berberin. Das Paar heiratet gegen den Willen beider Familien. Es verändert sich nach Casablanca, der nun berühmte Maler stammt aus Fès. Man bezieht ein von „schwulen Briten“ gebautes Haus, Amina schaltet und waltet nach Gutsherrinnenart. Ihre unkultivierte Dominanz treibt den Maler in die Verstörung. Ihm fehlen die Zimbeln und der Weihrauch im direkten Austausch. Ihn kränkt, dass Amina einen alten Teppich geringer schätzt als die Staubfänger aus dem Fundus ihrer Hochzeitsgeschenke. Ihn ekelt die sanitäre Ratlosigkeit der armen Verwandten. Amina ist nun auch nicht mehr so jung & schön, dass man über Erziehungsfehler nonchalant hinwegsehen könnte.

Ben Jelloun erzählt in die kleinen Karos der Alltäglichkeit, wie einem sich selbst demontierenden Pascha die eigene Kläglichkeit zu Kopf steigt. Der Maler ist frei von Scham- und Schuldgefühlen. Er ignoriert Traditionen. Er lässt nicht zu, dass ihn seine Frau beim Emanzipation-Shopping begleitet. Er denunziert sie als Repräsentantin der Rückständigkeit. Er stürzt sich in Krankheiten, um seine Empfindlichkeit zu dokumentieren. Schließlich kann er gegen eine Fliege nichts mehr ausrichten. Sie tanzt ihm auf der Nase herum, während er davon träumt, wieder malen zu können. Er beruft sich auf Cézanne und Matisse.

Amina erfüllt die gesellschaftlichen Erwartungen. Sie unterstreicht ihre Ansprüche als Frau einen bedeutenden Künstlers. Anderenfalls könnte sie doch nur seine Dienerin sein. Endlich spricht sie selbst. Nur wäre es zu spät, verstünde man erst jetzt.


Jamal Tuschick - 17. Januar 2014
ID 7523
Tahar Ben Jelloun | Eheglück
320 S., geb. m. Schutzumschlag
€ 19,99 [D], € 20,60 [A], sFr 28,90
Berlin Verlag, 2014
ISBN: 978-3-8270-1167-1



Siehe auch:
http://www.berlinverlag.de/


Post an Jamal Tuschick

Zu den AUTORENLESUNGEN




  Anzeige:


LITERATUR Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUTORENLESUNGEN

BUCHKRITIKEN

DEBATTEN

ETYMOLOGISCHES
von Professor Gutknecht

INTERVIEWS

KURZGESCHICHTEN-
WETTBEWERB
[Archiv]

LESEN IM URLAUB

PORTRÄTS
Autoren, Bibliotheken, Verlage

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal





Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)