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Rezension

Sophie Reyer - die gezirpte Zeit

Neue Lyrik aus Österreich Bd. 2





Konzentration auf das Wesentliche

Bereits mit dem Band flug (spuren) legt die Autorin und Komponistin Sophie Reyer brüchig-zarte und doch kraftvolle, sinnlich konkrete Miniaturen vor. Es ist ein postminimaler Sound mit Gespür für Tiefe und melancholische Eleganz, eine Leichtigkeit, mit der Reyer Dinge zu verknüpfen versteht, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, das Jonglieren mit verschiedenen Partikeln, die, einmal in die Luft geworfen, ein paar unerwartete Drehungen vollführen, bevor sie an unvorhergesehener Stelle wieder aufgefangen werden. Aus wenigen Wörtern entsteht in diesem Band ein atmosphärisch dichter Mikrokosmos, der gänzlich frei von den üblichen lyrischen Klischees vielerlei poetische Verblüffungen birgt.


*


Mit die gezirpte Zeit stellt sich Sophie Reyer in eine Tradition, bei der Zikaden eine bedeutende Rolle spielen. Meist wird auf die Zikaden als Sänger oder als Sinnbilder für Musik und Kunst aber auch als Lärmverursacher. Die sogenannten Singzikaden und ihre Gesänge werden bereits in den frühesten schriftlichen Werken, der Ilias von Homer erwähnt. Die Aspekte der griechischen Zikaden-Mythologie sind in dem Gedicht An die Zikade von Anakreon verarbeitet. Der melodische Rhythmus von Reyers Gezwitscher spannt sich von den russischen Konstruktivisten um Majakowski zur Wiener Schule bis zum Hip-Hop.

Bei einem Titel wie die gezirpte Zeit liegt eine onomatopoetischer Assoziation nahe, besonders in diesen Tagen, da ein neuer Zikadensommer anbricht. Analog zu ihrer Arbeit auf der Bühne versucht Reyer die Sprache nicht in abbildender beziehungsweise inhaltlich-bezeichnender Funktion, sondern auch als Lautmaterial anzuwenden. Bei allen Vorgängern bedient sich Reyer mit der Ungeniertheit des Naturtalents und macht daraus etwas ganz eigenes. Sie experimentiert quasi mit ihren eigenen Erfahrungen. Im Prozess des Ausformulierens kann sich Reyer schon mal verlieren, daher holt sie sich für ihre Live-Auftritte auch Gäste hinzu. Wie in der Lautpoesie, die gleichzeitig die Töne aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, macht sie in ihren Gedichten Techniken aus, die nach dem Prinzip des Collagierens und der Simultaneität verfahren. Ihre Lyrik nähert sich in dem Maße, in dem Semantik verschwindet und der Klang in den Vordergrund tritt, der Musik an.


* * *


Als multimedial arbeitende Autorin bewegt sich Sophie Reyer souverän zwischen den Genres. Mit dem Quartett Tonverbrechung sucht sie den Dialog zwischen Wort und Ton, zwischen Poesie und Improvisation. Die Lyrik und Prosa diese Autorin und Komponistin werden mit akustischen und elektronischen Klängen improvisatorisch vertont. Zudem werden die Texte dafür dem Moment entsprechend zusammengesetzt und kommentiert. Das Programm entwickelt sich gelegentlich auch in die Richtung eines trashigen Songs oder klangpoetisch kommentierten Märchens. Die Musiker von Tonverbrechung (Elisabeth Fügemann – Cello; Nicola Hein – Gitarre; Lukas Truniger – Elektronik) beschäftigen sich sehr gezielt mit der Auslotung des Grenzbereiches zwischen aktueller Sprache und Musik, sie versuchen ein harmonisches Miteinander der Kunstformen zu erzeugen, die jeder Gattung ihre Freiheit läßt. Niemals bleibt Poesie in ihrer Reinform bestehen, immer wird sie verfremdet, erweitert, unterwandert. Der Sound ist Gegenstand eines Prozesses, Teil der Auseinandersetzung der einzelnen Artisten. Auf dieser Basis suchen die Musiker permanent nach Positionen zu der sie umgebenden Gesellschaft und präferieren das Grenzüberschreitende, das Unbehauste, Vermischung und Unreinheit: im Sound, in der Sprache, im Leben.

Jede Dichtung spricht über die Situation ihrer Herkunft. Das Schreiben wird durch das schreibende Analysieren gebrochen. Wie jeder Lyriker erschafft Reyer eine ganz eigene Wahrnehmung, eine Beobachtung, die sich sowohl aus dem kollektivem wie auch individuellem Bewußtsein speist. Sie bricht die Idee vom objektiven Ich und vom subjektiven Ich auf und thematisiert in ihrer Poesie Verletztheit, es ist eine wohltuend unsentimentale Sichtweise auf die Welt und ihre Mechanik. Auch die Mechanik der Liebe. Sie mißtraut dabei jedoch den Heilversprechungen ebenso wie den Momenten des aufrichtigen Glücks. Reyer hat einen charmanten Spleen, ein Gefühl für schräge Situationen und einbrechende Absurditäten. Mit ihrer Wahrnehmungslyrik werden die existentiellen Abgründe durch ein absurdes Element geradezu abgemildert und dem Intellekt erträglich gemacht. In diesem Kontext wirken ihre Liebesgedichte fragil, berührend, beinahe tröstlich. die gezirpte Zeit ist eine feinziselierte Sprachpartitur mit überraschenden Überlappungen und Überlagerungen.

Matthias Hagedorn - 20. Juli 2013
ID 6973
die gezirpte Zeit von Sophie Reyer
Neue Lyrik aus Österreich Bd. 2
64 Seiten
12 x 19 cm
franz. Broschur
1. Auflage 2013
16,50 EUR



Siehe auch:
http://sophiereyer.com


http://www.editiondaslabor.de



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