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Rezension

Jo Lendle | Was wir Liebe nennen

Roman
DVA, 2013
ISBN 978-3-421-04606-2


Schon nach wenigen Sätzen weiß man: Hier spricht einer, der etwas auf sich hält. Einer, der zu wissen glaubt, was gute Literatur ist. Der erkennt, wann er zu viel oder zu wenig schreibt. Der seine Worte zu wägen weiß. Einer, der nicht im Verdacht steht, dem Zeitgeist zu verfallen. Nochmal: Jo Lendle ist ein Schriftsteller, der etwas auf sich und seine Kunst hält. Soviel steht fest. Und der vor allem weiß, wo "oben" und "unten" ist. Und da, wo sich Lendle aufhält, ist "oben".

Es ist die Idee eines ausgesuchten Stils, die sich dem Leser zuallererst aufdrängt. Doch nimmt man nicht den guten Stil des Autors wahr, sondern vor allem seine entsprechende Prätention. Das ist ein Unterschied. Und es passt zu dem, was der künftige Chef des Hanser-Verlages einmal über den Literaturbetrieb zwischen Print- und Onlineverlagen sagte: Sinngemäß heißt es da, allein die herkömmlichen Print-Verlage garantierten mit ihren ausgebildeten Lektoren für die Qualität der hohen Literatur. Was natürlich nicht bedeutet, dass man sich an der einen oder anderen Stelle nicht auch irren kann. Ganz bezaubernd an dieser Feststellung aber ist die Tatsache, dass die Deutungshoheit mit Blick auf die Frage, was gut und schlecht ist, beim Kapital liegt. Zeitgemäßer gesagt: Bei den etablierten Institutionen. So kann man von Lendle und in seinen Büchern lernen, wie der Literaturmarkt in Deutschland zu bedienen ist. Und das ist durchaus konstruktiv gemeint. Lendle weiß nämlich, was sich insbesondere der (leicht) gebildete Leser so wünscht: Klare, kurze Sätze, von denen kein "Jota" zu rauben ist und die immer ein wenig so klingen, als müsste man vor lauter Weisheit und Poesie in die Knie vor ihnen gehen. Diese wohldosierte Wirkung wird alsdann durch Dialoge unterbrochen, deren (mitunter) stupende Banalität einen Lachen macht. Wer keinen Namen hat, dem würden dafür von der Kritik kräftig die Leviten gelesen. Ist man im System, bedarf es indessen keiner diesbezüglichen Überzeugungsarbeit mehr. Da gelten solche Dialoge als Zeichen des Realitätssinnes eines Autors:


"Nein. ich fühle mich eigentlich wie immer." Lambert rieb sich die Augen. "Wobei man vielleicht dazu sagen muss, dass ich noch nie besonders gut darin war." "Worin?" "Mich fühlen." "Verstehe." "Steckte dieser Trampel und alles, was er verkörpert, vorher tatsächlich in mir? Ist mir nie aufgefallen." "Kriegst du ihn wieder in dich rein?" "Ich muss ihn doch bitte nicht fressen?" "Nein. Aber irgendwie solltet ihr zueinanderfinden." "Sieht nicht so aus, als stünde ihm der Sinn danach."


Lendle liebt diesen bedeutungsschwangeren Sprachstil, dessen Tempo immer ein wenig an die Redeweise von Rudolf Scharping erinnert, jenem ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten: Psalmodierend, gemächlich, trotzig-sinnfrei. Nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Da stehen sie, meine Sätze, scheint Lendel uns zu sagen, wie in Stein gemeißelt, unverrückbar, und sind sie nicht schön, diese Phrasen, sind sie nicht fein gedrechselt, haben sie nicht Anmut und Würde?
Lendle schickt sich an, als Chef des Hanser-Verlages zu einem der beherrschenden Gestalten der deutschen Literaturszene zu werden. Ein grundsympathischer Mensch, der sowohl seine künstlerischen als auch verlegerischen Fähigkeiten nicht unter den Scheffel zu stellen braucht. Ein angenehmer Gewinner. Aber auch einer, dessen Wort in den nächsten Jahren ein entscheidendes Gewicht haben wird, wenn es darum geht, was gute und schlechte Literatur ist. Und an dieser Stelle sei Einspruch erlaubt. Denn Lendles Prosa, die in ihrer Stilistik und Poetik durchaus im Recht sein mag, reiht sich ein in die real existierende Stilmonotonie der zeitgenössischen Literatur. Aus einem dubiosen Grund glauben alle, dass nur diese die richtige Art und Weise ist, gute Bücher zu schreiben. Aber die Frage sei erlaubt: Lieben wir nicht im Gegenteil gerade das Wilde und die Freude am Experiment, das Unberechenbare und das Unangepasste? Rührt uns nicht der Versuch, über die eigenen sprachlichen und inhaltlichen Grenzen hinauszugehen? Bei Lendle findet sich von diesem abenteuerlichen Geist der Kunst nicht die Spur. Er ist ein perfekter Handwerker. Aber geht es uns darum, perfekte Bücher zu lesen?

Kaum einer der bedeutenden Autoren der Literaturgeschichte machte sich einen Namen durch schriftstellerische Feigheit. Jenes literarische Reinheitsgebot, das heute die Publikationspolitik so vieler deutscher Verlage leitet, opfert - diese wirtschaftspolitische Banalität sei hier etwas pathetisch ausgedrückt - doch am Ende nur die Kunst zu Gunsten des Geschäftssinnes.

Wie aber sieht es mit dem Plot dieses Romans aus? Lambert, ein Berufszauberer, zweifelt an sich selbst und vor allem an der Beziehung zu seiner Frau Andrea. In Montreal - dort studierte einst auch der Autor - fährt ihn eine Frau an, woraufhin er in ihr Auto steigt und sich, was Wunder, spontan verliebt. Als hätten wir es geahnt, eine Überraschung, auf die der Leser nicht vorbereitet sein konnte in diesem Roman mit dem Titel Was wir Liebe nennen. Wie es weitergeht? Lambert steht zwischen zwei Damen und entscheidet sich letztlich für sein Herzblatt, was gewissermaßen ein Akt der Revolte gegen die spastischen Liebeskrämpfe darstellt, die ihn im Hin und Her zwischen zwei Lieben und Leben zu zerreißen drohen. Immerhin lernt man, so könnte man glauben: Die Liebe ist einfach nicht dazu bestellt, die Menschen glücklicher zu machen. Leider aber schafft es Lendle nicht, seinen Roman auf überzeugende Weise wenigstens mit dieser bittersüßen Einsicht zu beenden.

Eine, nun ja, klassisch anmutende Geschichte, die der Autor hier entwirft, dazu eine analytische und zugleich poetische Vorgehensweise, auf die wir hier treffen. Von sehr weit oben wird hier erzählt, von einem, wir sagten es, der es sich nicht nehmen lässt zu zeigen, wie trefflich er mit Worten umzugehen versteht. Und wir? Wir Leser stehen tief beeindruckt da, sind betroffen von Lendles lupenreiner Kunstsprache, die einem manchmal die Luft zum Atmen nimmt, so ohne Fehl und Tadel wird hier formuliert, so langweilig und einschläfernd. Oder sagen wir es so: Ohne den Mut, Grenzen zu überschreiten. Überhaupt bleibt alles bei Lendle in eng umrissenen Grenzen, selbst die Fantasie erhält Zügel, wird auf deutsches Mittelmaß zurechtgestutzt, alles, was darüber hinausgeht, wird streng unterbunden, man möchte sagen (und man verzeihe diese Wendung): Was bei Lendle über das Normale hinausgeht, wird strikt unter-sagt.

Wir wollten etwas Neues über die Liebe hören und haben doch nur Altbekanntes vernommen. Wir wollten hören, was sie ist und was sie bedeutet, doch am Ende stehen wir betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen.



Jo Balle - 22. September 2013
ID 7174
Jo Lendle | Was wir Liebe nennen
Gebunden, m. Schutzumschlag, 256 S
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50* (* empf. VK-Preis)
DVA, 2013
ISBN: 978-3-421-04606-2




Siehe auch:
http://www.randomhouse.de/Buch/Was-wir-Liebe-nennen-Roman/Jo-Lendle/e435075.rhd


Post an Dr. Johannes Balle



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