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Rezension

Ralf Boldt & Wolfgang Jeschke (Hrsg.) - Die Stille nach dem Ton

...und die anderen preisgekrönten SF-Kurzgeschichten des SFCD-Literaturpreises 1985-1998 und des Deutschen Science-Fiction-Preises 1999-2012 / Anthologie
p.machinery Verlag Michael Haitel, 2012
ISBN 978-3-942533-37-9



Zeitreise durch die Science Fiction

Es ist ein geniales Konzept. Da folgen 28 Science Fiction Stories aneinandergereiht nach dem Jahr ihrer Prämierung, gute Science Fiction, denn den Preis erhielten die Geschichten nicht umsonst. Doch viele der Stories blieben unbekannt, da sie zwar in anspruchsvollen, aber leider auch auflagenschwachen Fachzeitschriften oder Fanzines erschienen. Mit der Anthologie erhalten sie eine zweite Chance auf Leserschaft und die Herausgeber Wolfgang Jeschke und Ralf Boldt sind klingende Namen in der Science Fiction und stehen für Qualität.

28 Stories stehen aber ebenfalls für eine Zeitspanne von 28 Jahren. Auch wenn die meisten Geschichten in der Zukunft spielen, so merkt man den älteren Werken durchaus an, dass sie in einer Zeit entstanden, als es noch keine Handys und kein Internet gab und als die Welt noch durch einen eisernen Vorhang in West und Ost geteilt war. Das mindert allerdings nicht die Lust am Lesen und so ist die Lektüre des Buches selbst eine kleine Zeitreise durch die Science Fiction. Manche Autoren sind mehrmals vertreten, wie Wolfgang Jeschke selbst oder Michael Marrak, der den Preis in zwei aufeinanderfolgenden Jahren erhielt und dessen Story Die Stille nach dem Ton der Anthologie ihren Namen gibt. Marrak schildert darin eine Welt, in der jeden Morgen andere Lebewesen oder Dinge verschwinden, zunächst sind es die Hunde, später die Glocken, dann die Bäume, und es geht weiter…. Sie sind komplett ausgelöscht, niemand kann sich daran noch erinnern. Selbst in den Lexika fehlen die Begriffe. Führt dies zum Ende der Welt, das auf solche Art und Weise langsam naht und was geschieht danach? Die Stille nach dem Ton lässt der Fantasie ihren Lauf.

Es sind die großen Themen der Science Fiction, die in diese Anthologie eingeflossen sind. So schildern gleich zwei Stories den bzw. die einzige Überlebende einer Havarie. Die Stunden des Überlebens sind gezählt, da die lebenserhaltenden Systeme zusammen brechen. Beide Astronauten lassen ihre Gedanken zurückkehren an wichtige Stationen ihres Lebens und so kommen mit Die Wunder des Universums von Andreas Eschbach und Boa Esperança von Matthias Falke zwei thematisch sehr ähnliche, in ihrem Inhalt jedoch völlig unterschiedliche Geschichten zu Stande.
Dann gibt es den Fall des Astronauten von Andreas Fieberg, dessen Akteur kopfüber in den Weltraum stürzt, weil die Gesetze der Schwerkraft auf der Erde nicht mehr existieren. Oder die Pilzkultur auf Canea Null von Marcus Hammerschmitt, die sich die menschlichen Besucher sehr sinnlich einverleibt.

Mich persönlich hat Kasperle ist wieder da von Jochen Prokop besonders angesprochen. Der etwas niedliche Titel darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in dieser Story um finsterste Menschenversuche geht. Maud hat in einem Fortpflanzungsinstitut an die fünfzig Kinder geboren. Diese sind aus Mehrlingsschwangerschaften aus gentechnisch veränderten Embryonen hervorgegangen – Menschenversuche am Fließband. Maud ist aus dem Institut geflohen und verdient ihr Geld als fahrende Künstlerin mit Kaspervorstellungen und dort trifft sie Kienzle, den Journalisten.


"Sie lief mir voraus in den Wohnwagen. Da lag das Kasperle. In einem Babykorb. Im ersten Augenblick erkannte ich es nicht wieder, es lag auf der Seite, bis zum Kinn zugedeckt. Ohne die bunte Mütze, mit schwarzen Locken auf dem Kopf, und ohne die kugelrunden Apfelbäckchen, auch seine Nase war nicht mehr purpurrot. Und es atmete! Drehte sich auf den Rücken.
'Verstehst Du jetzt?' flüsterte Maud. 'Ich muß ihn doch beschützen, er ist so klein, so hilflos.'
'Dein Sohn?'
Sie nickte, versuchte zu lächeln. Erbarmungswürdig hilflos, verzweifelt, Tränen liefen über ihre Wangen, ich mußte sie in den Arm nehmen und ihren Kopf, ihren Rücken streicheln. Sie weinte sich aus, während ich in den Babykorb starrte, auf das friedlich schlafende Kasperle. Ein Baby mit dem Gesicht eines Sechsjährigen und der Nase eines Erwachsenen. Ein Monster? Vielleicht sogar ohne Beine? Ein von skrupellosen Wissenschaftlern künstlich erzeugter Däumling? Kasperle gähnte im Schlaf, schmatzte unruhig."
(S. 61)


Kasper lebt, er ist ein Kind, dem die Wachstumshormone entzogen wurden, eine missbrauchte Kreatur. Kienzle gewinnt Kasper und seine Mutter lieb, aber er will auch das geheim gelegene Forschungsinstitut finden, eine gefährliche Mission.

Die 28 Geschichten sind klassische Science Fiction Stories, die sich angenehm von Fantasieliteratur unterscheiden. Es sind aber auch 28 Stories von unterschiedlicher Länge, die kaum in ein Buch passen. Der Verleger Michael Haitel präsentiert dazu eine ungewöhnliche Lösung. Das Buch ist mit knapp 30 cm Höhe fast doppelt so hoch wie ein Taschenbuch. So passt es zwar nicht mehr in jedes Bücherregal, kommt aber optisch ausgesprochen gefällig daher, was nicht zuletzt auch an der ansprechenden Covergestaltung von Lothar Bauer liegt, die für den Kurd-Laßwitz-Preis 2013 nominiert wurde.


Ellen Norten - 10. Mai 2013
ID 6747
Ralf Boldt & Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Die Stille nach dem Ton
392 Seiten, Paperback
p.machinery Verlag Michael Haitel 2012
ISBN 978-3-942533-37-9
EUR 28,90 (DE)



Siehe auch:
http://www.pmachinery.de


Post an Dr. Ellen Norten



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