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Sachbuch

Daniel Bergner | Die versteckte Lust der Frauen

Ein Forschungsbericht
KNAUS Verlag, 2014
ISBN: 978-3-8135-0615-0



Dieses Buch öffnet die Augen: Die versteckte Lust der Frauen, geschrieben von dem amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Daniel Bergner, einem renommierten Autor des New York Times Magazine. Gelegentlich wurde moniert, dass die darin verarbeiteten Erkenntnisse schon länger bekannt seien. Das macht aber nichts, denn der Ausdruck "länger" ist in diesem Zusammenhang ein dehnbarer Begriff, die Thesen leiten sich jedenfalls allesamt aus Ergebnissen der jüngeren Sexualforschung her. Natürlich, der Teufel steckt wie immer im Detail, so dass man trefflich streiten kann, wie genau die eine oder andere Behauptung zu verstehen ist. Doch es hat den Anschein, als änderte das nichts an den Grundideen des Buches, und die sind jedenfalls erhellend. Oder sagen wir so: In einer gewissen Hinsicht bestätigt die Naturwissenschaft mit jahrhundertelanger Verspätung, was die Literatur schon lange, vielleicht schon in ihren Anfängen bei Sappho oder Aristophanes, wusste.

Es gibt diese Intuition einer Mehrheit, derzufolge das Liebesleben der humanen Spezies im Idealfall eine Angelegenheit darstellt, die dem Anspruch nach mit dem Tod endet. Und tatsächlich: Rührt uns nicht alle, salopp formuliert, die Vorstellung von Paaren, die gemeinsam alt werden und die eine reife Liebe durch die Tiefen des Alltags führt? Ist es nicht das, was wir insgeheim erstreben: Die romantische Monogamie, die das Leben erträglicher und die Existenz sinnvoller werden lässt? Daniel Bergners konsternierender Forschungsbericht entlarvt so diese Vorurteile, er reißt uns nicht nur die rosa Brille von den Augen, sondern er tritt genüsslich und sorgfältig auf ihr herum, bis nichts, aber auch gar nichts mehr davon übrig bleibt. Das wäre der erste Mythos: Der Mythos des gelungenen Lebens durch die perfekte partnerschaftliche Liebe.

Sprechen wir näherhin von der weiblichen Sexualität. Bergner hebt sie in den Titel des Buches. Mythos Numero Zwei: Die Sexualität der Frau unterscheide sich vom männlichen Sexus, der aggressiver und dominanter, unbarmherziger sei. Der Mann, wie es das dumme Klischee will: Ein Jäger, dem die schiere Sexualität genügt, während die Sexualität der Frau einen intrinsisch sozialen Charakter aufweise, ihr liege die Bindung am Herzen, der Akt selbst sei sekundär und nur erfüllend, sofern emotionale Nähe im Spiel sei. Nennen wir dies den Mythos der Innerlichkeit weiblicher Sexualität.

Es gibt noch viele andere Mythen der Sexualität, das ist unbestreitbar. Nehmen wir uns, weil dies im Fokus von Bergners Bericht steht, hier nur den zweiten vor. Man kann es kurz machen und die Sache so darstellen: Bergner berichtet von Forschungen, die eindeutig belegen, dass Frauen binnen kürzester oder jedenfalls sehr kurzer Zeit in festen Beziehungen das sexuelle Interesse am Partner - körperlich betrachtet - verlieren. Ganz anders die Männer! Männer seien zwar gerne von Anfang an promisk, erlägen also mit Vorliebe der Verlockung fremder Sexualität, doch persistiert auch nach Jahren ihr sexuelles Interesse an der festen Partnerin, ganz zu schweigen von ihrer substantiellen Zusage an dieselbe als einer "wahren" Liebe. Natürlich räumt Bergner ein, dass es immer Ausnahmen gebe. Jedoch, festzuhalten bleibt schlicht und ergreifend, dass die Studien eindeutig belegen: Frauen verlieren im Normalfall nach 23 bis 36 Monaten ihre Lust auf den angestammten Partner, wobei sie ja nach Alter und Bildung mehr oder weniger viel unternehmen, um ihren männlichen Partner diese Tatsache zu verschweigen - irritierend dabei ist vor allem aber, so legen die Tests nahe, dass Frauen ihr sexuelles Verlangen auch vor sich selbst nicht zugeben wollen. Die körperliche Erregungslinie der Probantinnen, die Bilder oder Filme mit sexuellen Szenen zu Gesicht bekommen, divergiert aufstörend gegenüber ihren diesbezüglichen Selbst-Einschätzungen. Frauen, so Bergner, tendierten dazu, ihre sexuelle Erregung, soweit sie körperlich messbar ist, immer dann systematisch zu ignorieren, wenn sie ihren Vorstellungen von Sexualität widerspricht, während dies bei Männern so gut wie nie vorkomme. Es scheint also, folgt man Bergner, eine empirische Tatsache zu sein - und dies stützen auch neuere Studien zum Sexualverhalten von deutschen Wissenschaftlern - , dass Frauen im Studentenalter sowie im Alter zwischen 30 und 45 die Lust innerhalb des besagten Zeitraumes signifikant verlieren und im Gegenzug eine unspezifische, von der Personalität eines Gegenübers weitgehend entkoppelte Lust empfinden. Letzteres, soweit das Klischee, wurde bislang stets als eine typische männliche Eigenart aufgefasst.

Nicht nur Studien, sondern Interviews mit Psychologen, Therapeuten und Forschern stützen offensichtlich diese weitreichende These. Aber auch viele Gespräche mit Frauen scheinen zu bestätigen, dass das weibliche Geschlecht noch weniger zur Monogamie taugt als das der Männer. Die Gründe, weshalb Frauen dennoch eine deutlich längere Zeit an ihren Partnerschaften festhalten als es ihren sexuellen Vorlieben entspricht, liegen offen zu Tage: Konvention, Erziehung, Verantwortung für die Kinder, materielle Sicherheit, Liebe. Jeder Fall ist in dieser Hinsicht verschieden, allen gemeinsam jedoch ist der empirisch zu messende Lustverlust.

Man könnte nun die Kulturgeschichte der männlichen Dominanz ins Gedächtnis rufen, wenn dies nicht schon weithin bekannt wäre und dadurch die eigentliche, "versteckte" Pointe des Buches noch mehr verstellen. Man kann es hier bei Andeutungen belassen: Männer haben Frauen möglicherweise seit jeher auch deshalb für ihre Zwecke instrumentalisiert und gesellschaftlich mittels Sanktionen dominiert, weil sie um die dominante Libido-Energie ihrer Partnerinnen wussten. Die Weltliteratur jedenfalls, so sei angemerkt, berstet über von diesbezüglicher Zeugenschaft. Ob es körperliche Züchtigungen sind, Genitalverstümmelungen, Erbverhältnisse und vieles mehr: Die Kulturgeschichte jedenfalls des Westens ist sicherlich zu einem Großteil auch die Geschichte des männlichen Versuches, jene weibliche Lust wie Pandora in Schach zu halten und sicher zu verwahren. Um aber die andere, interessantere, provokativere Pointe zu skizzieren, die dieses Buch indirekt nahelegt, sei aus der Geschichte von Susan zitiert, einer Frau, die im Kapitel "Monogamie" zu Wort kommt:


"Es war herzzerreißend, als mein Mann die Anziehungskraft, die er auf mich ausgeübt hatte, verlor. Ich konnte nicht darüber sprechen. Ich wollte ihn nicht kränken. Und es war wohl Aberglaube, aber mir schien, wenn ich laut zugeben würde, dass die Anziehung weg war, würde sie auch nie wiederkehren. Ich betete also nur dafür. Ich habe den Eindruck, dass das bei Frauen schneller passiert als bei Männern. Meiner Meinung nach sind Frauen unzufriedener als Männer. Das ist die Regel, aber man spricht nicht darüber, und viele Frauen kämpfen gegen die Realität an, dass sie sich nicht mehr zu den Ehemännern hingezogen fühlen, mit denen sie doch eigentlich den Rest ihres Lebens verbringen sollten. Anfangs waren wir sehr leidenschaftlich. Aber ich glaube, da gibt es dieses Missverständnis, wonach Frauen emotional engagiert sein müssen, um sich zu einem Mann hingezogen zu fühlen. Ich denke, es könnte sogar das Gegenteil der Fall sein, dass zu Beginn einer Beziehung die Zuneigung aus der körperlichen Anziehung erwächst. Manchmal, vielleicht in langfristig glücklichen Partnerschaften, stärkt Sex auch die emotionale Beziehung, aber zunächst ist es die Anziehungskraft, die zählt. Aber ich weiß auch nicht recht. Stimmt das? Wir waren erst einmal nur gute Freunde. Es war nicht so, dass ich ihn gesehen und mir gedacht hätte: Oh, der ist ja unglaublich scharf. Es lag eher daran, wie er sprach. Wie er roch. Es ging mir um die ganze Person. Aber ich fand ihn definitiv anziehend."


Susans Bericht endet mit einem Plädoyer für (sexuelle) "Großzügigkeit". Man könnte der Ansicht zuneigen, dass dies für die meisten gilt. Wir alle sind oder waren einmal mehr oder weniger sexuell "großzügig". Aber, die versteckte Pointe dieser ganzen Geschichte ist doch diese: Was ist unter diesen Bedingungen eigentlich noch "Romantik"? Sind die Männer die wahren Romantiker, oder ist es nicht vielmehr so, dass ihre Form der Romantik, die "Verschmelzung", veraltet ist? Und spricht Susan hier im Gegenteil das an, was man als "weibliche" Romantik bezeichnen könnte? Ein weniger körperloses denn körperseelisches Ideal von Nähe und Anziehung. Mit einem wichtigen Unterschied, so scheint es: Während das alte maskuline Konzept der Romantik die (hoffnungslose) Verschmelzung der Seelen propagierte, richtet sich jene neue, feminine Romantik an die ganze Person und zielt auf ein temporäres und strikt partnerschaftliches Miteinander ab. Keine Selbstaufgabe also, sondern Selbstbehauptung. Keine einseitige Betonung von Leib oder Seele, sondern die Ausrichtung auf die ganze Person. Der Preis dafür ist die begrenzte Haltbarkeit der Liebe. Aber für wen wäre das je etwas Neues gewesen? Reichlich Stoff also für eine Literatur der neuen, der zeitgemäßen "romantischen Liebe", die im Gegensatz zur männlichen Rhetorik immer nur eine "Liebe auf Sicht" sein kann.



Bewertung:    



Jo Balle - 15. März 2014
ID 7675
Daniel Bergner | Die versteckte Lust der Frauen
Paperback, Klappenbroschur,
256 Seiten,
13,5 x 21,5 cm
€ 16,99 [D] | € 17,50 [A] | CHF 24,50
KNAUS Verlag, 2014
ISBN: 978-3-8135-0615-0



Siehe auch:
http://www.randomhouse.de/Paperback/Die-versteckte-Lust-der-Frauen-Ein-Forschungsbericht/Daniel-Bergner/e454603.rhd


Post an Dr. Johannes Balle



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