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Rezension

Katarina Botsky - In den Finsternissen

Novellen / Hrsg. von Martin A. Völker
Elsinor Verlag 2012
ISBN 978-3-942788-07-6




Düster, hoffnungslos und ohne erträgliche Zuversicht ist das Leben. Kein Gott, der uns tröstet. Keine Schaubude, die uns nachhaltig amüsiert. Kein Ausweg aus diesem Jammertal! Dies sind keine Erkenntnisse der ach so stolzen kulturellen Moderne! Das wusste die Antike und das sogenannte Mittelalter. Das wussten die Zeitgenossen Goethes. Er selbst wusste das. Aber darum geht es nicht. Die Frage ist, welche Wirkungskraft entfalten diese Gedanken? Und vor allem: Lässt man es zu, dass sie Einfluss auf Inhalt und Darstellungsweise der Künste nehmen? Büchner, seines Zeichen ein Epochengenosse der Weimarer Klassiker, ließ es zu. Zur selben Zeit dichteten andere im Wolkenkuckucksheim romantischer Kathedralen. Doch Büchner ist beileibe nicht der einzige Künstler, dem die Nachtseite der Humanität näher lag als die blank polierte und taghelle Inszenierung derselben. Die Diagnose, erst mit der aufziehenden Moderne halte die Verzweiflung und Intuition einer existentiellen Unfreiheit Einzug in das Geistesleben, schuldet sich einer leicht dilletantischen Sichtweise der Dinge. Die sogenannte Kulturgeschichte strotzt nur so von prominenten Zeugnisse eines degenerativen Existenzgefühls, das man in Lehr- und Schulbüchern fälschlicherweise allein dem „Fin de Siécle“ und der „Dekadenz“ jener Jahrhundertwende zuschreibt, die, so der offizielle Mythos, mit Gestalten wie Nietzsche, Spengler, George kurzerhand zur Geburtsstunde der Moderne aus dem Geiste des Verfalls und der humanen Demütigung erklärt wird.

Katarina Botsky ist da keine Ausnahme. Auch diese weithin vergessene Autorin wendet sich gegen die schöngeistige Klassik eines Schillers und Gothes, liest stattdessen (den in Wahrheit nicht minder schöngeistigen Autor) Thomas Hardy und sieht sich offenbar selbst als eine moderne Autorin, der eine Literatur vor Augen steht, die, um ein Hardy-Zitat zu verwenden, als „Tragödie unerreichter Ziele“ verstanden werden kann. Eine moderne Literatur, die nicht so sehr die kaskadenhafte Internalisierung der Welt in einem mühsamen Ich-Bewusstsein im Geiste von Ernst Mach reproduziert, wie sie etwa bei Knut Hamsun und dessen Kopisten Joyce zu finden ist. Botsky favorisiert vielmehr eine moderne Literatur, die auf die kafkaeske Externalisierung der Seele abzielt, die - sich ihrer entäußerten Unfreiheit aufs Schmerzlichste bewusst - keinen anderen Ausweg als das Delirium in einem weiteren Wortsinne finden.

Botsky ist eine bezaubernde, eine hinreißende, eine zutiefst ernstzunehmende Autorin, die, so mag man vermuten, für die Literatur und, wenn man diese aufdringliche Metapher gestattet, mit der Literatur lebte. Ihre Geschichten sind so düster, wie ihr Leben düster war. Ihre Novellen werden von zwielichtigen, früh erloschenen, bestochenen, edlen, gärenden, abgründigen Charakteren bevölkert. Es sind scheue Phantome, unrühmliche und bemerkenswerte gleichermaßen, die einem die groteske, gottferne Düsternis der conditio humana vergegenwärtigen – so leichthin und so brillant an einigen Stellen geschrieben, als wäre es überhaupt keine Kunst, das furchterregende Leben auf engstem Raum zum Leben des Furchterregenden zu erwecken.

Nun, aber es ist Kunst. Eine große, leider oft ignorierte Kunst im Falle der Botsky! Welch Unglück, dass diese Dichterin von Rang so sang- und klanglos verschwand. In Königsberg, wo sie Zeit ihres Lebens schrieb, starb sie im Jahre 1945. Dass nun eine Auswahl ihrer bemerkenswerten Novellen vorliegt, von Martin A. Völker unter dem Titel In den Finsternissen im Elsinor Verlag editiert, ist nicht nur höchst erfreulich, sondern ein Glück für jeden Leser. Eindringlicher als in anderen Texten der Moderne erzählt Botsky den Mythos vom entwürdigten Menschen und seinem Fall. Martin Völkers inspirierendes Nachwort stellt die Autorin in einen größeren ästhetischen und philosophischen Zusammenhang und öffnet dem Leser so die Augen, welches literarische Juwel es mit der Schriftstellerin Katarina Botsky zu entdecken gibt. Es wäre höchst erfreulich und für die Geschichtsschreibung der deutschen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert zweifellos gewinnbringend, wenn eine Gesamtausgabe der Schriften dieser wunderbaren Autorin vorläge, die mit derselben Sorgfalt und Inspiration editiert wäre wie die Auswahl In den Finsternissen.

Jo Balle - 14. März 2013
ID 6614
Katarina Botsky - In den Finsternissen
Coesfeld 2012
108 Seiten
Paperback
13 x 20,5 cm
ISBN 978-3-942788-07-6
12,80 Euro



Siehe auch:
http://www.elsinor.de


Post an Dr. Johannes Balle



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