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Rezension

Birgit Ebbert | Brandbücher

Kriminalroman
Gmeiner Verlag, 2013
ISBN 978-3-8392-1448-0




Die langen Schatten der Vergangenheit

Dokumentationen über das Hitlerdeutschland, den Zweiten Weltkrieg und die Judenverfolgung gibt es derzeit reichlich. Nachdem die meisten Beteiligten nicht mehr leben, fällt es anscheinend leicht, das Tabu zu brechen und über die Gräuel zu berichten. Doch zwischen diesen Beiträgen und dem Umgang mit dem Thema in der eigenen Familie besteht ein großer Unterschied. Denn wer weiß so genau, was Großvater, Onkel, Vater oder Mutter, Großtante etc. in dieser Zeit machten, wer war damals begeistert von der braunen Bewegung, gar Täter oder wurde aus Bequemlichkeit zum Mitläufer?

Hier setzt der Roman Brandbücher von Birgit Ebbert an. Die Großtante der Protagonistin Karina hinterlässt nach ihrem Tod zwei Häuser, in denen Karina beim Entrümpeln mehrere Packen Postkarten findet, die alte Aufnahmen aus ihrem Wohnort zeigen. Kurioserweise sind diese Karten anscheinend nicht nur von der Tante selbst geschrieben, sondern auch an sich selbst adressiert worden. Das weckt die Neugier der Großnichte, die bisher wenig über ihre Verwandte wusste und durch die merkwürdigen Botschaften alarmiert ist:

„Ein Rascheln riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte wieder auf die frische Erde zu meinen Füßen und ließ die Augen umherwandern. Der Flügelschlag eines schwarzen Vogels, der unerwartet an mir vorbeiflog, erschreckte mich. Ich atmete erleichtert auf und griff nach der Schaufel. Ein Regenguss wäre gut, dachte ich, er würde meine Spuren verwischen. Ich folgte dem schmalen Weg aus dem Wald heraus. Am Ende fuhr ich mit der Schaufel mehrfach über das feuchte Gras der Wiese, die den Wald umschloss. Nun waren auch die letzten Erdspuren verschwunden.“ (S. 1)

Was wird auf dieser Postkarte beschrieben? Karina versucht über ihre Großtante mehr zu erfahren. Doch schnell sorgen ihre Recherchen für Unruhe in der verschlafenen Kleinstadt, in der jeder jeden – über Generationen hinweg - kennt. Lange war hier wie anderswo ein Teppich des Schweigens über die Vorgänge während der NS-Zeit gebreitet worden. Als Karina versucht, unter diesen Teppich zu schauen, wird sie bedroht und gerät in Gefahr. Unabhängig davon bleibt für sie trotz vieler neuer Informationen unklar, welche Rolle ihre Großtante in jener Zeit spielte.

Der Leser erfährt an dieser Stelle mehr, er taucht ein in die Zeit der Machtübernahme Hitlers, denn parallel wird die Geschichte von Bruno und dem Juden Samuel erzählt, die einst Freunde waren. Doch Bruno wird zum überzeugten Nazi und bedroht seinen ehemaligen Weggefährten. Schnell ist Bruno in der Studentenschaft, dann in der SA organisiert und terrorisiert Samuel, wie auch andere Juden. Die Gräuel erhält hier durch Bruno ein Gesicht. Der Alltag von Samuel und seinem Vater gerät in Kürze zum Alptraum, so dass ihnen nur noch die Flucht bleibt.

Doch was ist aus Samuel und Bruno geworden? Karina lässt sich nicht einschüchtern, stößt auf dunkle Geheimnisse bei angesehenen, einheimischen Familien und erhält Hilfe, wo sie sie nicht erwartet hätte. Am Ende kann die Protagonistin die Geschichte ihrer Großtante, die eng mit der von Samuel und Bruno verwoben ist, auf spannende Weise klären.

„Erst jetzt wurde Karina klar, dass jeder, wirklich jeder, eine Familie und eine Geschichte hatte, mit der er leben musste und die nicht immer erfreulich war.“ (S. 266 f.)

Eine zentrale Rolle in diesem zeitgeschichtlichen Kriminalroman spielen Bücher. Der Vater von Samuel ist Buchhändler, Samuel und selbst Bruno sind Bücherfreunde, und auch die Großtante hat ein spezielles Verhältnis zu Büchern. Als am 10. Mai 1933 die Bücherverbrennung der Nazis stattfindet, gehen u.a. die Bücher von Erich Kästner, Sigmund Freud, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und Karl Marx öffentlich in Flammen auf. Hier fließt das reale Ereignis in den Roman ein und bringt dies dem Leser in seiner Bedeutung nahe, ohne dem Werk gleichzeitig die Spannung zu nehmen.

Die Bücherverbrennung ist ein Thema, dass die Autorin über den fiktiven Roman hinaus verfolgt. So zitiert sie in ihrem Nachwort Heinrich Heine: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Die Opfer des Nationalsozialismus werden leider schneller vergessen als die Täter, die nicht nur in diesem Buch wieder einflussreiche Positionen einnehmen konnten. Der Roman spielt nahe der holländischen Grenze in Borken, doch der Name dieser westfälischen Kleinstadt wird nur im Nachwort erwähnt. Borken übernimmt hier lediglich eine Stellvertreterrolle, denn der Naziterror hat schließlich in ganz Deutschland stattgefunden, und überall gab es Täter, Mitläufer und Menschen, die einfach weggeschaut haben. Und hier richtet Birgit Ebbert den Focus auf die eigene Familie.


Bewertung:    


Ellen Norten - 25. Januar 2014
ID 7549
Birgit Ebbert | Brandbücher
281 S. / 12 x 20 cm / Paperback
EUR 11,99
Gmeiner-Verlag, 2013
ISBN 978-3-8392-1448-0



Siehe auch:
http://www.gmeiner-verlag.de/programm/titel/702-Brandbuecher.html


Post an Dr. Ellen Norten



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