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Kolonialwaren - diesen Begriff kannte ich noch von meinem Opa. Kaffee, Tee oder Kakao, aber auch Zucker waren damit gemeint, Produkte, die in einem sogenannten Kolonialwarenladen angeboten wurden. Eigentlich sympathische Güter: Schokolade, duftender Kaffee, wer es sich leisten konnte, freute sich über diese Bereicherung der Speisekarte. Und die Preise sanken, Zucker wurde schon bald leicht erschwinglich und ist als Billigprodukt raffiniert oder versteckt in zahllosen Lebensmitteln aus keinem Haushalt mehr wegzudenken. Wie diese Güter um die Wende zum 20. Jahrhundert nach Europa, speziell nach Deutschland kamen, darüber macht sich heute kaum noch jemand Gedanken, und Sklaven gab es bei uns ja ohnehin nicht. Zudem brachten die Europäer über die Kolonien den Einheimischen eine funktionierende Infrastruktur mit dem Christentum als moralische und kulturelle Instanz im Gepäck – so könnte man es sich positiv zurecht legen.

Doch wer waren diese Kolonialherren, die einheimische Völker fast ausrotteten und deren unbotmäßige Eingriffe in die dortigen Stämme bis heute zu Armut, Abhängigkeit und Elend führten? Fest steht, dass die deutsche Kolonialisierung durch mächtige Geschäftsleute begonnen und vorangetrieben wurde.

Lüderitz, ein Bremer Unternehmer, kaufte den Einheimischen mit dubiosen Verträgen im heutigen Namibia große Landregionen ab. Die Lüderitzbucht und der gleichnamige Ort tragen noch heute seinen Namen. Die meisten Kolonialisten stammten aus Hamburg. Dass diese Kaufleute in ihren Kolonien hunderte, wenn nicht tausende von Sklaven hielten, diese auspressten, misshandelten und sogar töteten, wurde damals, wenn überhaupt, bekannt, kaum kritisiert, denn selbst namhaften Philosophen wie Kant und Hegel [s. Zitat unten] bedienten den Rassismus und stuften diese Menschen als unterentwickelt ein.


„Sie verharren von sich aus im Zustand der Dumpfheit… des gediegenen Insichbleibens, das nicht zum Unterschiede fortgeht, nicht zum Gedanken“. Gelegentlich äußert er seine rassistische Herablassung in schlichteren Worten: 'Die Neger sind eine Kindernation.'“ (Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche von Dietmar Pieper, S. 72)


Es ist ein aufrüttelndes Buch, das ein Thema aktualisiert, mit dem die heutige Gesellschaft längst abgeschlossen hat. Für die Überlebenden aus den damaligen Kolonien und ihre Nachfahren gilt dies nicht. Aimé Césaire, Schriftsteller und Politiker aus der von Frankreich beherrschten Insel Martinique, hat dies auf den Punkt gebracht:


„Man redet mir von Fortschritten, von 'Errungenschaften', von geheilten Krankheiten, von gestiegenem Lebensstandard. Ich aber rede von um ihre Identität gebrachten Gesellschaften, von niedergetrampelten Kulturen, von ausgehöhlten Institutionen, von konfisziertem Land, von ausgelöschten Religionen, von vernichtetem künstlerischem Glanz, von vereitelten großen Möglichkeiten. Man wirft mir Fakten, Statistiken, Straßen-, Kanal- und Eisenbahnkilometer an den Kopf. Ich aber rede von Tausenden abgeschlachteter Menschen… Ich rede von Millionen Menschen, denen man ganz bewusst die Angst, den Minderwertigkeitskomplex, das Zittern, den Kniefall, die Verzweiflung, das Domestikentum eingebläut hat.“ (S. 316)


Leider sind solche emotionalen Zitate eher die Ausnahme in diesem akademisch geprägten Buch. Auch wenn der Autor an verschiedenen Beispielen reicher Hanseatenfamilien die brutale Geschichte der Kolonialisierung aufschließt, so bleibt die emotionale Betroffenheit oft hinter akribischer Recherche zurück. Die macht den Autor mit seinem unbequemen und detaillierten Faktenwissen allerdings auch für den Fachmann kaum widerlegbar. Es ist ein wichtiges Buch, das zeigt, dass heute die Kolonialgeschichte mit ihren Auswirkungen gerne kleingeredet wird. Der Völkermord an den Namas und Hereros, der von Lothar von Trotha befehligt wurde, ist dabei wohl die einzige Ausnahme.

In Hamburg gibt es Straßennamen, die immer noch die Kolonialisten unsterblich machen. Die Villen an der Elbchaussee zeugen von Reichtum und Macht. Im Anhang des Buches führt der Autor solche Orte auf, und selbst die als dem UNESCO-Weltkulturerbe zugehörige Hamburger Speicherstadt ist mit ihrer Historie ein Monument des grauenhaften Kolonialhandels.


Ellen Norten - 11. Mai 2023
ID 14189
Piper-Link zu Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche


Post an Dr. Ellen Norten

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