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Rosa Marie Ebner, geborene Kraus und von ihren Freunden „Rosl“ genannt, wurde 1915 in Wien geboren. Als Jüdin musste sie ihre Heimat nach dem Anschluss verlassen. Nach dem Ende des Krieges kehrte sie zurück und praktizierte als Ärztin. Ihre Lebenserinnerungen, die nicht für eine Veröffentlichung konzipiert waren, hat sie in den Jahren 1981-1987 niedergeschrieben. Sie ist 1994 gestorben.

Ihre Aufzeichnungen, aus denen der Titel „...daß du die Stimmung der Jahrzehnte spürst.“ entlehnt wurde – wenn das nicht ein Widerspruch in sich wäre: verschriftlichte Oral History –, sind ein zeitgeschichtliches Dokument, das gerade deshalb besonders interessant ist, weil es nicht aus der Perspektive einer „Prominenten“, wohl aber einer politisch engagierten Zeitgenossin verfasst ist. Rosl Ebner hat es nicht nötig, ein Bild zu verfestigen, das sich die Öffentlichkeit von ihr gemacht, das sie von sich in der Öffentlichkeit gemacht hätte. Ihr Buch hat eher den Charakter einer Selbsterforschung als einer Selbstdarstellung. Und es ist frei von Eitelkeit. Es fügt sich in die Reihe von Biografien, die Erich Hackl beispielhaft rekonstruiert hat, mit dem Unterschied, dass sie nicht von außen, sondern von der Person selbst notiert wurde, die sie erlebt hat: die Vorkriegszeit, die Jahre im Exil, Österreich nach 1946. Formal „spricht“ Rosl Ebner zu ihrer anderthalb Generationen jüngeren Freundin Maria Marchart, aber der Leser darf sich durchaus als Adressat fühlen.

Eingefügt in die Erinnerungen sind allgemeine Reflexionen, die interessant sind, weil Rosl Ebner eine intelligente Frau war. Heute nennt sich jeder Schwätzer, der laut über irgendeine Belanglosigkeit nachdenkt, Philosoph. So philosophisch wie deren Klugscheißerei sind Rosl Ebners Überlegungen allemal, nur käme sie nie auf die Idee, sich eine Philosophin zu nennen. Eher wohl spräche sie von common sense. Er zählt zu ihren Qualitäten wie Anstand und Verantwortung, deren politische und ethische Dimension sich für Menschen wie Rosl Ebner nicht trennen lassen. Hinzu kommt ihr grundlegend optimistischer Charakter. Noch in ihrer Sprache manifestiert sich ihre Freundlichkeit, die eigentlich eine ärztliche Tugend sein sollte, aber nicht immer ist. Jammern ist nicht ihr Ding. Mit Arthur Schnitzlers Professor Bernhardi: ihr gebietet ihre „Religion“ – „oder das, was an ihrer Stelle in meine Brust gesenkt ist“„auch dort zu verstehen, wo ich nicht verstanden werde“. Rosl Ebners Bescheidenheit dürfte auch die eigentliche Ursache für stilistische Eigenheiten sein, die Katharina Prager in ihrem Nachwort für „geschlechtsspezifisch“ hält. Und wenn sie von sich als „Atomerl“ spricht, hat das weniger mit ihrem Geschlecht zu tun als mit ihrer Weltanschauung.

Das Buch ist in der Reihe biografiA. Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung des Wiener Praesens Verlags erschienen. Dass auf dem Umschlag zwar die Namen der Herausgeberinnen stehen, unter ihnen die Schwester des ehemalige Bundespräsidenten Heinz Fischer, der auch ein Vorwort beigesteuert hat, man den Namen der Autorin aber offenbar vergessen hat, wird hoffentlich nicht als frauenfeindlich verstanden werden. Rosa Marie Ebner hatte mit ihrem Mann Hugo und mit den österreichischen jüdischen Kommunist*innen weitaus mehr gemeinsam als mit jenen Wiener Frauen, die Hitler zugejubelt, ihre jüdischen Nachbarn denunziert, deren „arisierte“ Wohnungen bezogen (und nach dem Ende des Dritten Reichs ohne schlechtes Gewissen behalten) hatten. Heute kennt man offenbar nur noch die Kategorisierung der Menschheit nach Geschlecht. Korrekt müsste es im Fall dieser Publikation heißen: "Neue Ergebnisse der Kommunistinnenforschung." Aber dafür bekäme man wohl keine Förderung von der Republik Österreich und der Gemeinde Wien.


Thomas Rothschild – 8. Mai 2019
ID 11400
Link zum Buch von Rosa Maria Ebner


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