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Kinder- und Jugendbuch

Der „gute“ Freund





Bewertung:    



Der Protagonist Johannes Wagner, damals noch ein Kind, erlebt mit seinem Vater einen besonderen Tag. Er braucht nicht die Schule zu besuchen, der Vater ist ungewohnt redselig, und die beiden gehen zusammen essen. Dann verabschiedet sich der Vater auf Nimmerwiedersehen. Er bricht anscheinend zu einer Mission auf, deren Inhalt wir nicht kennen und von der er nicht zurückkehrt. Der Junge, dessen Mutter Jahre zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, lebt fortan bei seiner Oma. Von ihr erhält er keinerlei Auskünfte über den Verbleib seines Vaters. Ort der Handlung ist Halle an der Saale, und das Verschwinden des Vaters fällt in die Nachwendezeit.

Als Erwachsener findet Johannes in einer alten Bücherkiste einen Brief, der eine Spur zu seinem Vater und dem Schicksal seiner Eltern enthalten könnte. Wagner reist nach Norwegen zu der im Brief angegebenen Adresse und erhält dort Dokumente – es sind Stasidokumente, die einem Freund der Familie gehörten und diesen in seiner Arbeit als IM (inoffizieller Mitarbeiter) der Stasi in den 1980er Jahren enttarnen. Diese Dokumente sind neben Fotos und handschriftlichen Notizen im Buch als (künstlerisches?) „Original“ enthalten.


"Beobachtungsbericht vom 17.06.1984
Am 17.06.1984 versammelte sich um 11.20 Uhr unter der Führung von Thomas Wagner eine ungefähr 45 Personen zählende Gruppe auf der Merseburger Straße Höhe Rosengarten.
Die Gruppe fuhr anschließend geschlossen bis zum Petersberg, den sie um 13:50 Uhr erreichte.
Währenddessen verteilten Thomas und Annegret Wagner sowie Jörg Braun, Dieter Kasparek und Hans Weller Flugzettel mit der Aufschrift
'Nimm den Lenker in die Hand!
Freie Meinung freies Land!'
Insgesamt gelangten an diesem Tag um die 150 Flugzettel mit diesem Text in Umlauf.
Gegen 14.00 Uhr löste sich die Gruppe auf."


(Matthias Jügler, Die Verlassenen, S. 126)



Es stellt sich mir die Frage, welchen Sinn solche Pseudooriginale verfolgen. Matthias Jügler hat für seine Recherchen Stasi-Akten studiert, Formulierungen daraus sind in seine nachgeahmten Dokumente eingeflossen, und er hat nach eigenen Angaben sogar das Original-Papier, das die Stasi verwendete, benutzt. Jügler ist inspiriert von Erzählungen des Halleschen Malers Moritz Götze über die Geschichten seiner Freunde, und er hat daraus ein fiktives Schicksal [Die Verlassenen] erschaffen. Die von ihm selbst hergestellten Stasiunterlagen, ein handgeschriebener Brief und letztendlich die Fotos im Buch, die wohl von der Künstlerfamilie stammen, erwecken den Eindruck es hier mit einem wahren Fall zu tun zu haben. Zynisch geradezu, dass der von mir zitierte Stasibericht auch noch das Datum 17. Juni trägt, ein Datum, das in Westdeutschland einen Gedenktag für die Opfer des Volksaufstandes in der DDR kennzeichnete. Als geborene Westdeutsche fällt es mir schwer zu entscheiden, ob dieser Fall so hätte eintreten können. So stehe ich hilflos vor einem Buch, das gefühlsdicht geschrieben wurde, das eine spannende Handlung aufweist, vor dessen Inhalt ich allerdings zurückschrecke. Hier wäre mir die Rekonstruktion eines wahren Falles als Lektüre leichter gefallen. Natürlich schlagen sich auch in solchen authentischen Texten persönliche Einstellungen eines Autors nieder, so etwas lässt sich durch die eigene Betroffenheit nicht verhindern, aber hier darf ich zumindest davon ausgehen, dass die Fakten stimmen, und das macht ein solches Buch für mich ehrlicher.


Ellen Norten - 5. März 2021
ID 12782
Verlagslink zu Die Verlassenen von Matthias Jügler


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