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Krimi

Karneval als

die Kunst des

Widerstands





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Kaum hatten die Kölner die französische Besatzungszeit hinter sich, wurden ihnen die Preußen vor die Nase gesetzt. An sich schunkelt der Kölner lieber, als dass er schießt, aber irgendeine Art von Widerstand gegen die Bevormundung musste her. Die Franzosen hatten den Karneval schlichtweg verboten, und nun erfand man vor 200 Jahren eine neue Kölner Variante des Narrenfestes, um sich den Preußen gegenüber Luft zu verschaffen. Wie das 1823 vor sich ging, beschreibt der Wahlkölner Lorenz Stassen in seinem historischen Kriminalroman Rosenmontag, der fiktiv ist, aber auf sorgfältig recherchierten historischen Begebenheiten und Persönlichkeiten beruht. Stassen gehört dem Traditionskorps "Rote Funken" an, das damals gegründet wurde: Das Buch ist wohl eine Herzensangelegenheit und erschien zum Jubiläum.

Der angesehene (fiktive) Kommissar Gustav Zabel wurde von Berlin nach Köln versetzt, um dort für Ordnung zu sorgen, denn das bunte Treiben im Rheinland kam bei den Besatzern nicht gut an. Das ging auch gut, bis er die rheinische Frohnatur Eva kennenlernte und heiratete. Die beiden führen eine sehr glückliche Ehe, nur dass Eva gerne mehr Anschluss an die Gesellschaft hätte. Zabel ist da zurückhaltend, weil er die Ordnung zu hüten hat, was bei den Kölnern keine leichte Aufgabe ist. Bei der feucht-fröhlichen Gründung des Festkomitees des Kölner Karnevals ist er aber zugegen. Die Mitglieder hatten es geschafft, den Behörden die Erlaubnis für einen Maskenumzug abzuringen, doch ein grausamer Mord gefährdet das närrische Unterfangen; solange ein Mörder in der Stadt frei herumläuft, wird er wohl abgesagt werden müssen.

Der Unterweltboss Arthur Schmoor ist als Täter sehr schnell ausgemacht, und die Indizien sprechen für ihn. Doch je mehr Zabel der Sache auf den Grund geht, desto größer werden seine Zweifel. Sein Vorgesetzter Georg Karl Philipp von Struensee, (1774-1833), hält aber an Schmoor als Täter fest, damit der Fall gelöst bleibt. So wäre auch der Umzug gerettet. Doch der Preuße in ihm gibt keine Ruhe, Zabel recherchiert gründlich weiter und sieht sich auch gezwungen, die Prostituierte Cécile Travail zu beschützen, deren Zuhälter Schmoor mittlerweile in Haft ist, was in der Unterwelt einen Kampf um seine Nachfolge ausgelöst hat. Davon erfährt seine Frau Eva, die nicht sehr erbaut ist, dass ihr Mann mit einer Prostituierten gesehen wurde, selbst wenn das in dienstlicher Mission war.

Zabel gerät von einer Zwickmühle in die andere. Die Karnevalisten wollen beim Umzug Uniformen tragen und einen Prinz Karneval ausrufen. Sie beabsichtigen auch, Gewehre mit sich zu führen. Zabel möchte auf der einen Seite den Wunsch seiner Frau nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit erfüllen, ist aber dem Prinzen Friedrich Wilhelm Ludwig von Preußen (1794-1863) verpflichtet, der ihn persönlich kennt und große Stücke auf in hält. Wie Zabel diesen Spagat hinbekommen soll...

Und schlimmer geht immer: Das Mordopfer stellt sich als Erpresser heraus und hat ein Notizbüchlein hinterlassen mit verdeckten Namen der Erpressten. Das könnte nun jede Person sein und jede Art von Vergehen. Wenn es um eine außereheliche Liebschaft ginge, wäre es lediglich ein Skandal, es könnten aber auch Verbrechen sein. Und plötzlich geht das Misstrauen um. Ist sein Freund, der von der Zensur geplagte Verleger Marcus DuMont (1784-1831) vielleicht auf der Liste? (Das Verlagshaus existiert heute noch und verlegt u.a. den Kölner Stadtanzeiger). Warum erstarren auf einmal viele Honoratioren der Stadt, als sich die Sache mit der Liste herumspricht? Verbirgt sich unter ihnen der wahre Mörder?

Es ist herrlich, wie authentisch Stassen die Figuren entwirft, wie sorgfältig er das Zeitkolorit skizziert und wie er sich für Schilderungen des alltäglichen Lebens vor 200 Jahren Zeit nimmt, ohne die Krimihandlung zu vernachlässigen. Eine Spur führt zum Wartburgfest 1817, eine Studentenrevolte, auf die die Obrigkeit mit Härte reagierte. Eine Schar von jungen Menschen und einige Professoren wollten einen deutschen Nationalstaat und eine eigene Verfassung. Das sah man als versuchte Revolution an. Auf diese Weise baut Stassen den Musiker und Komponisten Christian Samuel Schier (1791-1824) ein, der das erste Karnevalslied schrieb. Der war nämlich Teilnehmer an dem Aufstand und zwischendurch in die USA geflohen.

Der erste Karnevalsprinz war der Italiener Emanuel Ciolina Zanoli (1796-1832), der sich allerdings nicht Prinz, sondern "Held Carneval" nennen musste. Er war ein Hersteller von Parfüm, dem Eau de Cologne, und auch der Parfümhersteller Johann Baptist Farina (1758-1844) ist mit von der Partie, dessen Nachfahren das Geschäft noch heute betreiben. Am gelungensten sind aber die fiktiven Figuren, weil der Autor da mehr Freiheiten hatte. Stellenweise lässt Stassen sie kölsch sprechen, was nicht jeder versteht. Aus dem Kontext ergibt sich schon der Sinn, aber für einige Nicht-Kölner ist das wohl eine Herausforderung. Zur Glaubwürdigkeit der Handlung trägt es allemal bei.

Es ist nicht zu viel verraten, dass nach allem Bangen und Hoffen der Maskenumzug am Rosenmontag 1823 tatsächlich stattgefunden hat. Die Roten Funken trugen Uniformen, und ihre Holzgewehre waren mit Blumen im Lauf geziert. Damit nahmen sie die ehemaligen Kölner Stadtsoldaten aufs Korn, die sich nicht gerade durch Kampfeswillen ausgezeichnet hatten, im Gegensatz zu den disziplinierten Preußen. Und der Mörder...

Lorenz Stassen lässt das alte Cöln so lebhaft auferstehen, dass man es zu sehen glaubt. Kein Wunder, er ist auch Drehbautor. Mit Rosenmontag ist ihm ein wunderbarer und spannender Roman gelungen, an dessen Charakteren man Anteil nimmt. Hat man ihn zu Ende gelesen, und es geht nicht weiter, fühlt man sich, als wären langjährige Nachbarn weggezogen. Viel besser geht nicht.


Helga Fitzner - 16. Februar 2023
ID 14052
Ullstein link zum Krimi Rosenmontag


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