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„Es ist das schönste Sommer-Souvenir: »Seliger Stillstand, die Unschuld der Zeitlosigkeit«, die Erinnerung an Ferien von der Welt und an ein Glück, das verantwortungslos ist und doch niemanden schaden will.“ (Kerstin Holzer, Thomas Mann macht Ferien, S. 184)

Die Journalistin Kerstin Holzer widmete sich bereits den Thomas Mann-Töchtern Monika (2022) und Elisabeth (2001) in eigenen Biographien. Anlässlich des 150. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers (1875-1955) von 1929 erschien im April ihr Sachbuch-Bestseller Thomas Mann macht Ferien. Das Werk bebildert einen harmonischen Sommer der Familie Mann 1918 in der Villa Defreka am Tegernsee kurz vor Kriegsende. Der über die Monate Juli, August und September in zehn Kapiteln gegliederte schmale Band liest sich atmosphärisch-stimmungsvoll, ohne an das sprachliche Feingefühl des schreibenden Titelhelden heranreichen zu wollen.

Die vielschichtigen Werke von Thomas wirken in den Alltag der Familie mit fünf Kindern ein. Der 43-Jährige versucht seine homoerotischen Fantasien in Literatur zu verarbeiten:


„Und da er es nicht weiß, bleibt diese Sehnsucht, »eine ewige Spannung ohne Lösung«, das stille Drama des Entsagens, von dem er dann in einem Werk erzählen kann.“ (S. 150)


Leise Spannung kommt auf, wenn Thomas’ Gattin Katia sich einen eigenen Reim auf das homosexuelle Begehren in der 1911 erschienenen Novelle Tod in Venedig macht und sozusagen zwischen den Zeilen liest:


„Sie weiß ja, dass Thomas Mann findet, nicht erfindet. Dass er sich in seinem Werk künstlerisch ausspricht, die Masken fallen lässt und von sich schreibt, 'von mir, von mir...', immer nur von sich, den Sehnsüchten, der Scham und vor allem von den Ängsten: dass jede Form von Anderssein zum Außenseiter macht und Gefühle einen preisgeben. Dass es eine 'Heimsuchung' wilder Leidenschaft geben könnte in einem kunstvoll konstruierten Leben. Und dass dann alles vernichtet wird: das Ansehen, die Würde, die Existenz.“ (S. 68)


Holzer ließ sich von einem reichhaltigen Fundus an Referenzen und Anekdoten in den Werken der berühmten Schriftstellerfamilie und ihren Tagebüchern inspirieren. Die Autorin listet auf den Seiten 198 bis 200 eine große Auswahl von gesichteten Werken, Tagebüchern, Briefen, Sekundärliteratur und weitere Literatur. In ihrer Erzählung bezieht Holzer auch mögliche Vorbilder für zentrale Grundfragen im damaligen Werk des bereits anerkannten Schriftstellers ein:


„Wer sagt eigentlich, dass Begehren eindeutig sein müsse? Und jede Beziehung den allgemeinen Verständlichkeitstest bestehen muss? 'So viele Herzen, so viele Arten der Liebe', schreibt der russische Schriftsteller Leo Tolstoi, Hausheiliger in der Mann’schen Bibliothek.“ (S. 149)


Gleichzeitig zeigt sie auf, wie Thomas sich aufgrund von zeitgenössischen Rezensionen getroffen fühlt und Wutanfälle in seinem Tagebuch niederschreibt:


„Er hatte sich schon für gefestigter gehalten. Doch der Artikel wirft eine Frage auf, die ihn ja selbst umtreibt: Ein richtiger Mann, was soll das überhaupt sein?“ (S. 155)


Leider gibt es auch weniger packende Auszüge, etwa wenn sich Holzer dem Leben Thomas Manns allzu anekdotenhaft nähert:


„Mal sehen: Was liest Thomas Mann denn gerade? Es ist Adalbert Stifter, wie während all der letzten Regentage.“ (S. 100)


Holzer findet auch allzu kurze, einfache Sätze, wenn sie den berühmten Schriftsteller in diesen Umbruchszeiten kurz vor Kriegsende beleuchtet:


„Seine Stimmung ist labil. Kein Wunder. Denn die Zeiten werden turbulent.“ (S. 187)


Es bleibt unklar, warum Holzer seitenlang andere Künstler am kreativen „Kraftort“ (S. 85ff.) Tegernsee skizzenhaft porträtiert, wenn etwa die Schriftsteller Mark Twain, D. H. Lawrence und Ludwig Thoma, die Maler Gabriele Münter und Wassilij Kandinsky, der Komponist Richard Strauss und viele andere erwähnt werden, die sich vor Ort wenigstens zeitweise aufhielten. Angeblich schuf hier so August Macke „Bilder des Lichts“ und ein bedeutender Heldentenor ging baden. Hier enden die Reminiszenzen mit der Ankunft von Thomas Schwiegereltern Pringsheim. Wenn später auch die Versorgungskrise in Kriegszeiten mit Anekdoten zum Hunger und zur Zuteilung von Kopfrationen erwähnt werden, wirkt dies wie dokumentarisches Füllmaterial (S. 107ff.). Ausführlich beschriebene Fotos, detailliert festgehaltene Eindrücke und Momentaufnahmen von Katias und Thomas Kindern oder der Umgebung (etwa S. 118) werden hingegen nicht durch bildliche Abdrucke bereichert.

Mitunter geraten die Innensichten von Thomas allzu blumig und rührselig, wenn es über seine Beziehung zu seinem jüngsten Kind, Elisabeth, heißt:


„Als wie heilsam empfindet er jetzt die Zeit mit dem Baby, in dessen Gegenwart verlässlich die Sonne aufgeht.“ (S. 130)


Trivial und ein bisschen seicht wird es, wenn Thomas seine Innenwelt während einer Wanderung betrachtet:


„Am Berg ist jeder allein. Man besinnt sich auf sich selbst.“ (S. 166)


Insbesondere wenn Holzer der innigen Beziehung des Familienvaters zu seinem Hund Bauschan mehr als ein ganzes Kapitel widmet, gewinnt die Erzählung wieder an Originalität und Strahlkraft:


„Was ist Komik? Verunglückte Würde. Zum Beispiel ein berühmter Schriftsteller, der, elend vor Eifersucht, seinem Hund eine Szene macht, weil der einen anderen Mann angeschaut hat.“ (S. 181)


Nach dem Sommerurlaub mit der Familie öffnet sich das deutsches Reich für ein parlamentarisches Regierungssystem. Die Regierung ist nun dem Reichstag und nicht mehr dem Monarchen gegenüber verantwortlich (S. 187). Holzer beschreibt schlussendlich nicht ohne Pathos, wie dieser politische Umschwung auch langsam ein Umdenken Thomas Manns und eine Art Wendepunkt in seinem literarischen Schaffen bewirkt.


„Seine 'Vaterliebe zur neuen Welt' wird sein Selbstverständnis als Schriftsteller neu entzünden.“ (S. 174)


Ansgar Skoda - 3. September 2025
ID 15439
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