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Buchkritik

Von Affenjungen, Wolfskindern und Schakalmädchen





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Von jeher haben sie die Phantasie der Menschen gereizt, Kinder, die von Tieren großgezogen wurden: Romulus und Remus, die Zwillingsbrüder des römischen Staatsgründungsmythos tranken die Milch einer Wölfin. Rudyard Kipling lässt seinen Protagonisten Mogli im indischen Urwald unter wilden Tieren heranwachsen. Vielleicht inspirierten ihn die vielen Überlieferungen, die in Indien über Wolfskinder, meist sind dies Jungen, erzählt werden und die auch im vorliegenden Buch [Kaspar Hausers Geschwister] beschrieben sind. Hier ist auch von Pavian- und Hundekindern die Rede, von Schweinekindern, ja sogar Antilopenkindern und immer wieder von wilden Menschen, die im Wald auf den verschiedenen Kontinenten gefangen werden.

All diese geschilderten Beispiele sind interessant, teilweise erschütternd oder auch erheiternd. Meist kann der Autor P.J. Blumenthal nicht klären, wie authentisch die Erzählungen sind. Manche sind wohl Fiktion, andere Wirklichkeit, meist wohl von jedem etwas. Sie schildern Menschen, die ohne Zivilisation und Kultur aufgewachsen sind, die rohes Fleisch und Kadaver essen.

Manche dieser Menschen wurden von wilden Tieren zunächst als Beute „entführt“, andere von den eigenen Eltern ausgesetzt, vielleicht aus Armut oder weil sie geistig zurückgeblieben waren. Die Sprachlosigkeit, die die meisten von ihnen zeigen, kann in ihren Ursachen längst nicht immer geklärt werden.

Keineswegs sprachlos war Kasper Hauser, der lange Zeit fast ohne menschliche Fürsorge aufwuchs und mit seiner Andersartigkeit für Aufsehen sorgte. Hauser war nicht nur wegen seiner vermutlich hochadeligen Herkunft so prominent, es war eben auch sein besonderes Leben, das er abgeschieden in einem Verließ fristen musste, dem er kurzfristig entkommen konnte, um dann doch Opfer eines Attentats zu werden. Hauser ist mit seinen Fähigkeiten sicherlich nicht der typisch wilde Mensch, der das zentrale Thema im Buche stellt. Die Frage dazu lautet, was macht das Menschsein aus, wo liegt die Grenze zwischen Mensch und Tier - das fragt sich auch Elfriede Jelinek in ihrem Geleitwort:



"Ich sehe, dass ich hier nur Fragen aufgeschrieben habe. Die Antworten können Sie hier suchen. An einsamen Plätzen lässt sich oft etwas entdecken. Woher wissen Sie dann aber, was es ist?" (S. 19)


Diese Fragen lassen sich auch im Buch, das wirklich sorgfältig recherchiert wurde und das wohl fast alle bekanntgewordenen Berichte über wilde Menschen dokumentiert, nicht beantworten. Und da sich Versuche in diese Richtung hin von vornherein verbieten, gibt es eben nur die Möglichkeit nach Fallbeispielen zu suchen.


„So viel haben wir festgestellt: Der wilde Mensch haust selten (wenn überhaupt) bei den Wölfen oder Bären, man begegnet ihm nur gelegentlich nackt im Wald auf der Suche nach Wurzeln, Nüssen und Beeren oder frohlockend in den Bächen. Aber es gibt ihn.
Man erkennt ihn daran, dass er ein absoluter Außenseiter ist, einer, der den Weg aus dem eigenen Inneren nicht (bzw. nicht mehr) findet und – noch wesentlicher – weil er ohne Sprache ist. Man wird erst dann zum wilden Menschen, wenn es einem unmöglich wird, das eigene Umfeld und die eigene Innenwelt auf eine Art in Gedanken und Gefühle zu fassen, die uns anderen Menschen zugänglich ist. Unsere Gesten, Verhaltensweisen und Erwartungen an ihn sind für ihn unbegreiflich."
(S. 413)


So bringt es Blumenthal auf einen Nenner. Jegliche weiterführende Spekulation wäre reißerisch und unseriös. Das Buch liefert wohl alles, was es zu dem Thema zu sagen gibt. Auch wenn die minutiös aufgeführten Fallbeispiele etwas langatmig daherkommen, bilden sie doch das solide Fundament für diese Publikation und ihre Fragestellung.


Ellen Norten - 18. Juni 2018
ID 10763


Siehe auch:
http://www.steiner-verlag.de/reihe/view/titel/61426.html


Post an Dr. Ellen Norten

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