Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 2

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Neue Bücher

Wiederkäuer der Moderne

oder: Die Innenwelt

der Außenwelt

der Innenwelt





Bewertung:    



Das fällt sofort auf. Nach wenigen Seiten. Da ist dieser hochbedeutsame Ton. Dieser seriöse, larmoyante Bachmannpreis-Sound. Ein Weckruf für alle Bewohner der Innenseite der Außenseite der Innenseite der gebildeten Mittelschicht. Komplexes, Anspruch liegt hier vor.

Wer diese Protokollsätze mit ihren endlosen Beschreibungsorgien liest, denkt andächtig: Da muss einer mit dem Duden durch die Welt gelaufen sein. Alles ist explizit. Das Wort ist Fleisch geworden und kommt zu sich. Ganz schwindelig wird dem Leser des Romans Fremde Verwandtschaften von Thomas Stangl vor lauter Interpretationsimmunität. Diesen Text deuten? Nicht nötig, mein Freund: Zaudere nicht! Nimm, was kommt! Denn hier ist alles exakt so gemeint, wie es da steht. „You get what you see.“ Nicht mehr und nicht weniger. Kein belastbarer Mehrwert in dieser Beamtenprosa. Einfach nur: Das offenbar recht erfolgreiche Statement, literarische Elite zu sein. Denn so sieht sie aus, die Sprache der oberen Zehntausend unter den deutschsprachigen Schriftstellern. Wir beobachten einen Satzingenieur von Feuilletons Gnaden. Von Lektors Gnaden. Einer, der semantischen Unkrautvernichter auf jedes poetische Pflänzchen spritzt, das sich im dreisten Symbolgrün rührt.

Nennen wir es ein Antipoetikum. Als hätte Hegel den Entschluss gefasst, eine Geschichte zu erzählen, indem er die Welt des Subjektes beschreibt. Das Ich, noch nicht außer sich, sondern ganz bei sich. Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Der Philosophenbeserker als blinder Passagier auf der Schulter der zeitgenössischen Belletristik. Welterklärungsweihwasser gegen den Dämon der Hermeneutik. Kein Hermes, nirgends. Stattdessen: Die Wüste fader Dekonstruktion. Seins-Intellektualismus bis zum Abwinken. Das Ganze als die Wahrheit ist die Wahrheit als das Ganze. Anders gesagt: Erkläre die Welt, indem du sie beschreibst! Die Renaissance des Wiener Kreises. Genau so klappts. Genau so gewinnt man Preise. Ein dreifach-dialektisches Hoch auf diesen atavistischen Kunstreigen.

Und worüber schreibt der Autor?

Ein Mann. Ein Architekt. In Wahrheit natürlich ein intellektueller Architekt. Reist nach Westafrika. Da ist es heiß und so ungemütlich. Alles, war nicht anders zu erwarten, recht fremd dort. Ein wenig clash of cultures, wenn das Thema nicht schon so ausgelutscht wäre. Und natürlich, zu Hause im sanft dahindämmernden Vienna, wartet die Frau auf den Herrn Architekten. Sagen wir also: Mittvierziger aus Wien, besserer Bezirk, auf der Suche nach Sinn. In Afrika. Dorthin ruft eine Konferenz. Aber halt, man hätte es sich, seien wir ehrlich, denken können: Die Konferenz, die Reise, die Handlung, alles: Nur Vorwand. Für das endlose Sprachmaterial. Die ermüdenden Reflexionsschleifen. Den basso continuo cartesianischer Beschreibungsreihen. Insgesamt: Eine Orgie sprachlicher Unkontrolliertheit.

Man stellt sich vor: Die Drucklegung des Textes begann schon während des frenetischen Beifalls, den der Autor beim Verlesen desselben vor der versammelten Kulturschickeria erregte, in irgendeinem stylishen Ort in upper-Vienna.

Dieser Roman ist nichts als die Kopie der Kopie eines Kunstexplizismus, eine Literatur, die ohne Hermeneutik auskommt. Da gibt es nichts zu deuten! Eine rhizomhafte Verlängerung der Essayistik ins Monströs-Fabulöse. Ein unzeitgemäßer Deskriptivismus, der vielleicht gerade dadurch so zeitgemäß ist.

Schließen wir mit Wittgenstein. Auch Österreicher. Es gibt diese geniale austristische Idee über Sprache und Literatur aus der Zeit der literarischen Moderne. Ein starker Gedanke. Wittgenstein notierte ihn einst in unnachahmlicher Weise: „Das Unaussprechliche ist unaussprechlich im Ausgesprochenen enthalten.“ Das hat was. Eine elegante Poesie, die man in Stangls Texten vergeblich sucht.



Jo Balle - 2. November 2018
ID 11008
Link zum Buch: https://www.droschl.com/buch/fremde-verwandtschaften/


Post an Dr. Johannes Balle

BUCHKRITIKEN



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeige:


LITERATUR Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUTORENLESUNGEN

BUCHKRITIKEN

DEBATTEN

ETYMOLOGISCHES
von Professor Gutknecht

INTERVIEWS

KURZGESCHICHTEN-
WETTBEWERB
[Archiv]

LESEN IM URLAUB

PORTRÄTS
Autoren, Bibliotheken, Verlage

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal





Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)