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Geschichte, Hintergründe und Lost Places





Bewertung:    



Da meint man seine Heimat zu kennen und erfährt Neuigkeiten oder bekommt Antworten auf Fragen, die einem so noch nicht durch den Kopf gegangen sind.

Passend zum Titel [Schön & schaurig] beginnt Margit Kruse mit einer Mordgeschichte, und diese wird gerade zu einem leckeren Fischessen serviert. Doch manchmal liegen Frohsinn und Ort des Schreckens nah beieinander. So könnte einem das Essen fast im Halse stecken bleiben, wenn man sich an den traurigen Mord an einer jungen Frau erinnert, deren Leiche am Rand einer Gelsenkirchener Grünanlage, nahe dem Fischhandel, gefunden wurde.



"Nicht einmal einen Steinwurf entfernt wurde am gegenüberliegenden Sportplatz am Abend des 10. Oktober 1979 Erika A. auf ihrem Heimweg von der Arbeit, der durch diese dunkle kleine Straße führte, vergewaltigt und ermordet. Der Täter wurde bis heute nicht gefasst. In der 'XY-Aktenzeichen'-Folge vom 8.Februar 1980 wurde der Fall vorgestellt." (Dunkle Geschichten aus dem Ruhrgebiet, S. 4)


Unheimlich ist es, wenn die Autorin den ihr gegenüber sitzenden Gast in einem Gedankenexperiment verdächtigt der Täter zu sein - das Alter würde passen. Gruselig sind die Morde, die irgendwann vergessen werden und hinter denen sich womöglich der eigene Nachbar verbergen könnte.

Doch längst nicht alle Geschichten im Buch sind so schaurig. Sie alle blicken in die jüngere oder ältere Vergangenheit, erinnern an eine Zeit, in der Pferde noch die Milch auf einem Karren durch die Wohnviertel zogen oder unter Tage arbeiteten. Später übernahmen kleine Lieferwagen, zumindest über Tage – diese Aufgabe. So bewarb der Eiermann seine Produkte mit einem lauten Klingeln an seinem Auto, ein schrilles Schellen, was noch so manchem von uns in den Ohren klingen mag.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Brücken über Flüsse und Kanäle zerstört, gesprengt von der zurückweichenden Wehrmacht, die ein Vordringen der Alliierten verhindern wollte. Um trotzdem den Verkehr zu sichern, verkehrte 1946 eine kleine Fähre über den Kanal in Gelsenkirchen. Dass die Fahrt über die kurze Wasserstrecke zu einem tödlichen Risiko werden konnte, damit hatte wohl niemand gerechnet. Der Fährmann Karl May erinnerte sich später:



"Auf dem Wildenbruchplatz war Kirmes und Schalke spielte gegen Erle 08. Wir hatten außergewöhnlich schönes Wetter. Gut 80 Personen mögen auf der Fähre gewesen sein, als sie gegen 14:00 Uhr vom Buerschen Ufer ablegte und ins Schwanken geriet. Es entstand Unruhe. Das Floß kippte zur Seite, alle Fährgäste stürzten ins Wasser. Das Bedienungspersonal versuchte zu retten, was zu retten war. Doch es gab keine Hilfsmittel. (…) Bis die Feuerwehr und die Polizei eintrafen, war es für 21 Männer, Frauen und Kinder zu spät." (S. 17)


Wieoft bin ich selbst über die wiedererbaute Brücke über den Kanal gefahren, nie hatte ich geahnt, dass hier ein derart tragisches Unglück geschehen war. Die Orte erzählen ihre Ereignisse eben nicht von alleine, es bedarf immer eines Menschen, der sich daran erinnert.

Das gilt auch für die Lost Places, die allerdings mit ihrem „Innenleben“ zumindest einen Teil ihrer Geschichte erhellen können. Die Zukunft dieser verlorenen Orte liegt meist im Ungewissen. Die Autorin besucht den Reiterhof in Gelsenkirchen Heßler, das Hotel Seestern in Haltern, das Krefelder Stadtbad und die Geisterstadt Schlägel und Eisen in Gladbeck-Zweckel; und was die Gebäude selbst nicht offenbaren, liefert sie uns nach.

Auch wenn das Buch im Ruhrgebiet spielt, so stellen die Geschichten auch für den Nicht-Kohlenpöttler ein wunderbares Zeitdokument dar, das durch die vielen Schwarz-Weiß-Bilder ideal ergänzt wird. Manche der Erzählungen sind nicht spektakulär, sondern spielen im Alltag, was ihnen etwas Vertrautes verleiht. Vielleicht sind einige der Lost Places alte Bekannte, die wir schon immer gekannt haben, deren Innenleben wir schon als Kinder erkundeten oder die noch völlig intakt von uns mit unseren Eltern besucht wurden. Und so erinnern wir uns vielleicht selbst an Dinge, die gar nicht im Buch stehen, deren Erinnerung aber durch die detaillierten Schilderungen in uns wachgerufen werden. So macht es trotz „dunkler Geschichten“ Spaß das liebevoll aufgemachte Lesebuch in die Hand zu nehmen. Durch seine festen Seiten und den robusten Einband hält es auch einen etwas rauheren Umgang aus, wenn darin vielleicht gemeinsam mit Kindern oder Enkeln gestöbert wird.



Ellen Norten - 2. November 2018
ID 11007
Link zum Buch: https://www.wartberg-verlag.de/programm/titel/1298-dunkle-geschichten-aus-dem-ruhrgebiet-schoen-schaurig.html


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