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Seit Jahren sind die Bücher der irischen Schriftstellerin Lucinda Riley erfolgreich, insbesondere mit ihrer Reihe Die sieben Schwestern scheint sie die Plätze auf internationalen Bestsellerlisten gepachtet zu haben. Nun erscheint innerhalb weniger Wochen der Roman um die fünfte Schwester - Die Mondschwester - fast parallel in vielen Sprachen. Das bewährt sich bei Mehrteilern, damit alle LeserInnen ähnliche Chancen haben, begleitet von umfassenden Marketingstrategien, vor allem durch die Social Media. Rileys Fangemeinde wächst stetig, und auch das Interesse am Schicksal der fiktiven Schwestern, die nach dem Siebengestirn Plejaden benannt sind und die von einem mysteriösen Mann adoptiert und großgezogen wurden, den sie Pa Salt nennen. Der ist kürzlich verstorben, womit sich seine Familie aber nicht so richtig abfinden kann. Während er den anderen Töchtern freigestellt hat, ihre leibliche Familie aufzuspüren und ihnen nur vage Hinweise zukommen ließ, teilte er der fünften Schwester Tiggy ihren Geburtsort direkt mit, weil er ihrer Familie versprochen hatte, sie zurückzubringen. Obwohl vier ihrer Schwestern diese Spurensuche schon erfolgreich abgeschlossen haben, ist es ausgerechnet Tiggy, die sich davor drückt.

Sie ist Zoologin und Tierschützerin, bewirbt sich gerade um eine Stelle in Schottland, wo sie einheimische Wildkatzen züchten und auswildern soll, und verliebt sich prompt in ihren Arbeitgeber Charlie Kinnaird. Der ist ein ganzes Stück älter als sie, verheiratet und hat eine fast erwachsene Tochter. Sie flüchtet beinahe in die abgelegene schottische „Wildnis“, muss aber feststellen, dass sie weder ihrem Herzen noch ihrer Vergangenheit entfliehen kann. Auf dem Anwesen arbeitete der mittlerweile alte und kranke Zigeuner Chilly, der in ihr eine Verwandte erkennt und ihr von ihrer Familie aus Andalusien erzählt. Tiggys Großmutter war eine berühmte Flamenco-Tänzerin, die durch das Tanzen der Armut und dem Elend der Gitanos, der andalusischen Zigeuner, entfliehen konnte. Von ihren Zigeunervorfahren hat Tiggy seherische und heilende Gaben geerbt, die sich derzeit nur in einem Interesse für Natur und Spiritualität zeigen, ansonsten aber weitgehend brach liegen. Nach einigen Irrungen und Wirrungen in Schottland fliegt sie spontan nach Spanien und findet tatsächlich mühelos einige noch übrig gebliebene Verwandte. Die leben im Zigeunerviertel Sacromonte in Höhlen, die sie vor Generationen selbst heraus gehauen haben, als die Gitanos aus der Stadt Granada vertrieben wurden.

Mit der Mondschwester lässt sich Riley zu Anfang ungewöhnlich viel Zeit und scheint sich in detaillierten Schilderungen fast zu verlieren. Dann zieht das Tempo an, verlangsamt sich wieder, es gibt ein Crescendo, und es variiert wie bei einem Flamenco. Die geneigte Riley-Leserin (die meisten dürften Frauen sein) kennt die Experimentierfreudigkeit ihrer Autorin, die z.B. ihre Geschichte über die Sturmschwester an Henrik Ibsens dramatischem Gedicht Peer Gynt und der Musik Edvard Griegs angelehnt hat. Wieder werden wir an magische Orte und in spannende Zeiten entführt, und dieses Mal ist es Sacromonte mit Blick auf die überragende Stadtburg Alhambra in Südspanien. Die Geschichte beginnt 1912 zur Blütezeit des Flamenco in Granada. Tiggys Urgroßmutter Maria, eine Tänzerin, und ihr Mann, der Gitarrist José, verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Flamenco, eine der wenigen Beschäftigungsmöglichkeiten für Zigeuner. Ihre kleine Tochter Lucia hat ein solches Talent, dass sie eines Tages internationale Karriere macht. Der Spanische Bürgerkrieg und der Zweite Weltkrieg verschlimmern die Lage, und unter Francos faschistischem Regime (1936-1975) geht es den Gitanos schlimmer als vorher.

*

Während die Episoden in Schottland solide geschrieben sind und mit überzeugenden Charakteren ausgestattet, sind es aber die Rückblicke in die Vergangenheit der Gitanos, die das Buch zu gelungener Literatur machen. Man kann die Enge und das Elend in den Höhlen fast spüren, in denen es kein Wasser und keine Elektrizität gibt. Die abgestandene Luft, der Schweißgeruch, die Mühsal des Lebens, die Verluste an materiellen Dingen und an Menschenleben, das Weiterleben ohne Illusionen, aber mit unvorstellbarer Kraft gehen unter die Haut. Tiggy, die privilegiert auf dem märchenhaften Anwesen „Atlantis“ am Genfer See aufwuchs, wusste nicht, dass Zigeuner, in diesem Fall Roma, unter ihren Vorfahren sind, und war nie der gesellschaftlichen Ausgrenzung ausgesetzt, die deren ganzes Leben bestimmt. Riley schildert den Tanz und die Musik des Flamenco, in dem sie ihren Schmerz und ihren Lebensmut ausdrücken, denn fast nur in diesen Momenten können sie ihre Menschenwürde fühlen. Im alltäglichen Leben sind die meisten von ihnen Analphabeten, die Arbeitslosigkeit unter ihnen ist besonders hoch, und wenn es Arbeit gibt, dann nur schlecht bezahlte.

Da Riley immer in die Vergangenheit zurückgeht, gehören viele Frauenfiguren noch zu den Recht- und Besitzlosen. (Das Erscheinungsdatum des Buches hier ist am 100. Jubiläum der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland). Aufgrund von verschiedenen Einwirkungen, wie Krieg, den Verlust oder die Unfähigkeit von Männern lernen sie, ein selbstbestimmteres Leben zu führen, manchmal aus einer Notlage heraus, manchmal erkämpfen sie sich ihre Freiheiten. Wie ihre Schwestern befreit sich Tiggy aus ihrem Kokon und breitet ihre Flügel aus. Denn das gilt für jeden Menschen in jedem Jahrhundert, der Mensch zu werden, der man ist. Nur dass das für Frauen meist schwieriger ist. Einige von Rileys weiblichen Figuren sind duldsam, verzeihen ihren Taugenichtsen von Männern, die sie betrügen und das wenige Geld für sich verwenden, während sie als Mütter unter schlimmsten Bedingungen die Familie durchbringen. Das ist ein Aufreger für manche Feministin, was verständlich ist, doch in Rileys Buch ist es genau diese Selbstaufopferung Marias, durch die wenigstens ein Teil ihrer Kinder und Enkel die Zeiten des Krieges und der Massenmorde unter Franco überleben konnten, so dass der Fortbestand gesichert ist. Die Roma stammen ursprünglich aus Indien und einige besitzen spirituelle Fähigkeiten, die sie über die Jahrhunderte geachtet und gepflegt haben. Sie gehen nur auf einige wenige über und Tiggy hat diese Gabe geerbt. Das Wissen wird nur von einem Lehrenden auf den Schüler oder die Schülerin übertragen und darf nirgendwo schriftlich verbreitet werden. Das ist auch eine sehr große Verantwortung, daher ist es kein Wunder, dass Tiggy so lange gebraucht hat, bis sie reif genug war, sich der damit verbundenen Lebensaufgabe zu stellen.

Natürlich hat Riley auch wieder ein ganzes Universum von Charakteren geschaffen. Es gibt auch egoistische, materialistisch ausgerichtete Frauen, die gutmütige Männer ausnützen. Die meisten sind irgendwo zwischen beiden Polen angesiedelt. Auch in Die Mondschwester dürfen Frauen Männer retten und umgekehrt. Es wird geliebt, gestritten und gekämpft. Das ist insgesamt das Erfolgsrezept von Lucinda Riley, die Befindlichkeit unterschiedlicher Menschen durch verschiedene Zeiten und Orte zu illustrieren. Das gelingt ihr besonders bei Frauen, die durch ihre Bücher in ihrer inneren Stärke und ihren Fähigkeiten bekräftigt werden, die nicht darin bestehen müssen, sich männliches Verhalten anzueignen, sondern sich als Frau wertzuschätzen, auszudrücken und dabei wohl zu fühlen.

Riley hat ein paar lose Enden gelassen und lässt die Leserschaft noch ein wenig mehr über Pa Salt erfahren. Über die siebte Schwester, die Pa Salt angeblich nicht gefunden hatte, gibt es noch keine Neuigkeiten, aber in einem Jahr geht es mit der sechsten Schwester Elektra weiter und Buch Nummer 7 ist angedacht.


Helga Fitzner - 13. November 2018
ID 11040
Link zum Buch: https://www.randomhouse.de/Buch/Die-Mondschwester/Lucinda-Riley/Goldmann/e507461.rhd


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