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Der Wald vor

lauter Bäumen





Bewertung:    



Wenn kulturelle Angebote in Krisenzeiten ihre Tore schließen, greift man auch schon einmal leichtfertig zum Zeitvertreib zu kostbar aufgemachten, großformatigen Prachtbänden wie Die Geschichte der Bäume (2020). Das vom Franzosen Thibaud Hérem hübsch illustrierte Buch im geprägten Einband will im Untertitel aufzeigen, wie Bäume die Lebensweise der Menschen verändert haben. Dieser Untertitel wirkt etwas statisch gedacht. Es stellt sich hier schon die Frage, inwieweit Bäume das Leben der Menschen veränderten. Musste sich nicht vielmehr in der Evolution doch das Leben der Menschen den Umweltbedingungen, bei denen eben auch Bäume eine wesentliche Rolle spielten, anpassen?

Zu jedem der insgesamt hundert beschriebenen Bäume gibt es jeweils ähnlich stilisierte, einseitige Farbillustrationen und zwei kleinere Zeichnungen, die besondere Details dieses Baumes (Frucht, Blatt oder Holz) darstellen. Diese Zeichnungen ähneln sich in ihrer Ausführung und Farbauftragung so sehr, dass sie doch eher etwas über den Stil des Illustrators Thibaud Hérem als über die Eigenarten des jeweiligen Baumes aussagen.

Neben einer ausführlichen einseitigen Beschreibung des Baumes werden stets am Seitenrand tabellenartig „HERKUNFT“, „KLIMA“, „LEBENSDAUER“, „WÜCHSIGKEIT“ und „MAXIMALE HÖHE“ skizziert. Es irritiert, wenn weiterhin auch „ANDERE VULGÄRNAMEN“ angegeben werden. Als Begrifflichkeit für die Baumbezeichnung wäre hier „Synonyme“ wertschätzender gewesen; „Ess-Kastanie“ oder „Marone“ etwa als Synonyme und nicht Vulgärnamen für „Edel-Kastanie“. Auch die Angabe der Lebensdauer verwundert mitunter, wenn es etwa bei der Aleppo-Kiefer unter Lebensdauer heißt „mindestens 150 Jahre“ (S. 46). Die maximale Lebensdauer ist das, was hier interessieren dürfte, was auch zumindest bei vielen der anderen Bäume genannt wird. Die Ausdrucksweise erscheint manchmal unangemessen wertend. Wenn etwa beim Eschen-Ahorn von „minderwertiges Holz“ (S. 115) gesprochen wird, ist damit nicht etwa vom Borkenkäfer befallenes Holz gemeint, sondern utilitaristisch eine mögliche Verwendung des Holzes als Holzbrei für Faserplatten.

Schon in der Einführung der Autoren Kevin Hobbs und David West fällt eine eher verstiegene Ausdrucksweise unangenehm auf, und man fragt sich nun, ob diese einer schlechten Übersetzung aus dem Englischen (durch Bettina Eschenhagen) geschuldet ist – hierzu ein Beispiel: „Im Folgejahr wurde die Wollemikiefer in Gewebekultur-Laboren zu der besonderen Konifere propagiert, die in milden gemäßigten oder wärmeren Regionen in aller Welt in Gärten gedeiht.“ (S. 10) Wer in "Gewebekultur" ein „r“ für "Gewerbekultur" vermisst, dann aber googelt, erfährt, dass hier kein „r“ fehlt, sondern es sich um die Technik des Klonierens von Pflanzen handelt. Derartiges fachliches Glatteis erschwert die Lektüre.

Als eher zurückhaltend im Kontakt mit unseren Bäumen entlarven sich die Autoren, wenn sie die Wildkirsche bzw. Vogelkirsche Prunus avium als "Süß-Kirsche" übersetzen und behaupten: „… für Menschen ist die Frucht von Prunus avium eine gewisse Enttäuschung. Sie schmeckt süßsauer und hat eine ziemlich dicke Schale.“ (S. 59) Liebhaber von Wildfrüchten wissen aber den Geschmack zu schätzen, er ist nämlich fruchtig-herb, viel würziger als der von gezüchteten Kirschen und kann manche Wanderung im Juni zu einem kulinarischen Erlebnis machen.

Die Autoren nehmen für sich in Anspruch über Bäume weltweit zu berichten, verfolgen aber eine Perspektive, die „very british“ erscheint. So wird bei der Eibe erwähnt, dass Shakespeare den Baum im Drama Richard II. als „doppelt tödlich“ (S. 14) beschrieben hat, weil er bis auf die Beeren giftig sei und zudem aus seinem Holz Speere und Bögen hergestellt wurden. Aber beim Gingko-Baum (Fächerbaum) (S. 13) wird nicht auf Goethes berühmtes Gedicht Gingo biloba (1815) über das zweigeteilte Blatt eines Gingko-Baumes verwiesen. Standorte einzelner besonderer Baumexemplare und historische Ereignisse beziehen sich sehr oft auf das ehemalige EU-Mitglied Großbritannien.

Ganz fatal und für ein solches Nachschlagewerk unverzeihlich ist es, wenn (auch hier gleich in einem Satz) behauptet wird, dass die „Nüsse“ (S. 79) der Marone zusammen mit Maisgrieß zu einem Grundnahrungsmittel für römische Legionssoldaten verarbeitet worden seien. Die Früchte der Marone sind keine Nüsse, und Mais gab es in römischer Zeit in Europa noch gar nicht, sondern er stammt ursprünglich aus Mexiko und gelangte somit erst nach der Entdeckung dieses Kontinents durch Europäer in die sogenannte Alte Welt. Auch bei der Rosskastanie stutzt man bei der stilistisch und orthographisch schlechten Übersetzung eines Satzes: „…und heute genießen einige Leute in ihrem Schatten ein paar Mass bernsteinfarbenes Bier.“ (S. 200)

Auf wichtige Schädlinge der beschriebenen Bäume wird kaum eingegangen. Bei der Rosskastanie steht nichts zur Miniermotte, die sich in Europa in den letzten zwanzig Jahren ausgebreitet hat und die Bäume nachhaltig schädigt. Beim Buchsbaum (S. 17) wird auf eine Pilzerkrankung hingewiesen, nicht aber auf den weitverbreiteten Buchsbaumzünsler. Insgesamt erscheinen die Informationen zu den Bäumen so recht beliebig zusammengestellt. Insbesondere Fremdwörter und Fachtermini erschweren den Lesefluss: „Omega 3-Fette und Antioxidantien“ (S. 36).

Viele vorgestellte Bäume – wie den Bier-, den Taschentuch- oder den Seifenrindenbaum – kennen wir hierzulande kaum. Bäume, die in heimatlichem Gärten oder Wäldern blühen und gedeihen, werden hingegen gar nicht porträtiert: so etwa die Linde und die Tanne. Weitere Bäume, die für die Menschheit von besonderer Bedeutung sind, werden ebenfalls nicht erwähnt: etwa Mangrove oder Gummibaum. Im Register findet man auch die „Birke“ nicht, aber unter Betulacea die Hänge-Birke. Die Rosskastanie findet man nur unter „Gemeine Rosskastanie“. Hier hätte man sich schlussendlich auch ein lesefreundlicheres Register gewünscht.


Ansgar Skoda - 2. Juli 2020
ID 12332
Verlagslink zur Geschichte der Bäume


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